Frage an Oliver Kaczmarek von Annette D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Kaczmrek,
mit großer Trauer und Entsetzen habe ich heute gelesen, dass Sie für den Einsatz der deutschen Streitkräfte gegen den IS in Syrien gestimmt haben. Dies bedeutet, dass Sie es befürworten, dass vom deutschen Boden wieder in den Krieg gezogen wird. Da es keinen sauberen Krieg gibt, werden viele unschuldige Menschen, darunter auch viele Kinder, durch den Einsatz in Syrien sterben oder werden schwer verwundet. Wie können Sie als Abgeordneter des Kreises Unna bei dieser total unklaren Ausgangslage und Zielsetzung dafür stimmen? Leider kann ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an Demonstrationen teilnehmen, sonst wäre ich genau wie vor den Golfkriegen auf der Straße, und würde mein Gesicht dagegen zeigen. Mit Politik und Wirtschaftssanktionen kommt man weiter- warum dann dieses Blutvergiessen von uns aus?
Ihre bisherige Wählerin
Mit freundlichen und enttäuschten Grüßen
A.Dieckmann
Sehr geehrte Frau Dieckmann,
vielen Dank für Ihre Fragen zum Thema Syrien. Ich möchte Ihnen darlegen, wieso ich trotz einiger Bedenken ich dem vorgelegten Mandat zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ zugestimmt habe.
In mittlerweile drei Resolutionen hat der VN-Sicherheitsrat festgestellt, dass der IS weltweit eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit ist - zuletzt in Resolution 2249 vom 20. November 2015. Darin hat der Sicherheitsrat nach den Anschlägen von Paris die Staatengemeinschaft aufgerufen, alle notwendigen Maßnahmen gegen diese Bedrohung zu ergreifen. Ebenfalls nach den Anschlägen von Paris hat sich Frankreich als erster Mitgliedstaat der EU auf die Beistandsklausel in Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages berufen.
Deutschland unterstützt Frankreich, den Irak und andere Länder im Kampf gegen den IS auf Grundlage des Rechts der kollektiven Selbstverteidigung, wie es in Artikel 51 der VN-Charta zum Ausdruck gebracht wird. Somit ist dieser Einsatz aus meiner Sicht völkerrechtlich legitimiert.
Unser militärisches Engagement ist eingebettet in ein breites, politisches und humanitäres Engagement in Syrien und Irak. Seit 2011 haben wir hierfür in der Syrienkrise über 1,2 Milliarden Euro eingesetzt. Im Haushalt 2016 haben wir den Ansatz für Humanitäre Hilfe und die zivile Krisenprävention um über 400 Millionen Euro erhöht. Es gilt, unser Engagement für die Flüchtlinge und Hilfsbedürftigen in der Region in Abstimmung mit unseren internationalen Partnern und den Partnerorganisationen vor Ort fortzusetzen und wo möglich und nötig zu verstärken. In Anbetracht der über 6 Millionen Binnenflüchtlinge und über 4 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern und in Europa müssen wir weiterhin humanitäre Hilfe und die sogenannte Übergangshilfe leisten.
Wir investieren in Projekte, die den Menschen eine Perspektive bieten, ihr Land schnell wieder aufzubauen. Schon heute werden mit deutscher Hilfe wir in den vom IS befreiten Gebieten im Irak Strommasten, Wasserleitungen, Schulen und Krankenhäuser wieder aufgebaut, so dass die Vertriebenen nach Hause zurückkehren können.
Leider haben die diplomatischen Bemühungen und die verhängten Sanktionen seitens der EU nicht zu einer Lösung des Konflikts geführt. Trotzdem bin ich überzeugt, dass es für den zugrundeliegenden Syrienkonflikt letztlich nur eine politische Regelung geben kann. Hierfür hat sich die Bundesregierung und insbesondere Außenminister Frank-Walter Steinmeier seit Amtsübernahme mit ganzer Kraft eingesetzt. Ziel war und ist es, den Vereinten Nationen und ihrem Sonderbeauftragten, Staffan Domingo de Mistura, eine führende Rolle in diesem Konflikt zu verschaffen. Eine erste Konferenz zur Bündelung der Kräfte zur humanitären Hilfe wurde auf deutsche Initiative im November 2014 in Berlin durchgeführt. Im Rahmen des politischen Prozesses zur Konfliktregelung (Konferenzen in Wien) hat Deutschland sich mit Nachdruck für die Einbeziehung unter anderem von Iran und Saudi Arabien eingesetzt. Beide Länder spielen jeweils eine wichtige Rolle in diesem Krieg. In der aktuellen Situation müssen wir alles daran setzen, dass beide Staaten Teil des Prozesses bleiben.
Ich unterstütze den politischen Ansatz des UN-Sondergesandten de Mistura, auf dessen Initiative vier Arbeitsgruppen unter Einbeziehung der Konfliktparteien (ohne ISIS) zu Kernfragen des Konflikts gegründet wurden. Aus den Ergebnissen der vier Arbeitsgruppen könnte die Grundlage für eine Vereinbarung geschaffen werden, um einer politischen Konfliktregelung näher zu kommen.
Ebenso müssen die in der Resolution aufgeführten Maßnahmen zur Unterbindung der Finanzierung des Terrorismus konsequent und von allen Staaten angewendet werden. Der illegale Verkauf von Öl und anderen Ressourcen sowie der ungehinderte Finanzzufluss an den IS – oftmals durch staatliche Institutionen geduldet oder gar organisiert – muss mit allen Mitteln gestoppt werden. Dazu hat der VN-Sicherheitsrat im Dezember ein einstimmiges Votum gefällt. Mit strengeren Sanktionen sollen die Geldzuflüsse des IS abgeschnitten werden.
Der wichtige politische Prozess bezieht nicht die Terrorgruppe ISIS ein, die weder Verhandlungspartner sein will noch sein kann. Daher haben wir auch im letzten Jahr entschieden, die kurdische Regionalregierung im Nordirak in Abstimmung mit der irakischen Zentralregierung mit militärischer Ausbildung und Ausrüstung in ihrem Abwehrkampf gegen ISIS im Irak zu unterstützen. Dieses Engagement hat sich als sinnvoll und notwendig erwiesen. Mehrere von ISIS besetzte Gebiete im Norden Iraks konnten zurückerobert werden – die aus den Dörfern und Städten geflüchteten Menschen beginnen, in ihre Heimat zurückzukehren.
Man kann die Haltung vertreten, dass militärische Mittel keine Option sein dürfen. Das respektiere ich und ich kenne keinen Kollegen und keine Kollegin, die sich die Entscheidung darüber leicht macht. Für mich ist der Schutz der Zivilbevölkerung ein wichtiges Argument. Deshalb wünsche ich mir, dass die deutsche Öffentlichkeit die Frage debattiert, ab wann wir die Verpflichtung haben, die Zivilbevölkerung mit allen Mitteln zu schützen. Angesichts der globalen Konflikte scheint mir das unausweichlich.
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Kaczmarek