Frage an Michael Piazolo von Sibylle M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Piazolo,
mein Sohn (27 Jahre) wartet mit einem Abitur-Notenschnitt von 2,1 über hochschulstart.de seit 2009 auf einen Studienplatz in Medizin. Mit den Boni für seine Berufsausbildung bzw. Berufstätigkeit als Rettungsassistent und für den Medizinertest (überdurchschnittlich) reduziert sich der Notendurchschnitt je nach Universität beim Auswahlverfahren der Hochschulen auf 1,4, bzw. 1,5.
Meine Frage an Sie ist: Warum werden nicht auch bei hochstulstart.de die Boni für eine Berufsausbildung oder Berufstätigkeit und den Medizinertest berücksichtigt. Da sich viele Universitäten beim Auswahlverfahren auch nur nach dem Abitur-Notenschnitt richten wie hochschulstart.de, bleiben die Boni praktisch wirkungslos.
Mein Sohn hat nach dem Realschulabschluss nach seiner Berufsausbildung als Rettungsassistent an der Berufsoberschule noch das Abitur nachgeholt um Medizin studieren zu können. Er ist hochgradig motiviert. Das lange Warten auf einen Studienplatz bedeutet aber auch hochgradigen Frust. Vorallem auch deshalb, weil völlig intransparent ist, wie die Studienplätze über die Warteliste vergeben werden und weil völlig unkalkulierbar ist, wann man einen Studienplatz zugeteilt bekommt. Diesem Verfahren fühlt man sich hilflos ausgeliefert.
Hinzu kommt, dass er mit Abiturienten aus anderen Bundesländern um einen Studienplatz
kämpfen muss, für die ein Notenschnitt von 2,1 leichter erreichbar war, da die Abiturprüfungen unterschiedlich schwer sind.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich dieser Frage annehmen könnten. Oder mir erklären könnten, warum eine Berücksichtigung der Boni auch bei hochschulstart.de nicht möglich ist. Die Gesellschaft würde dadurch doch nur gewinnen, da Studienanwärter, die bereits mehrere Jahre in entsprechenden Berufen gearbeitet haben und einen herausragenden Medizinertest bestanden haben, beste Voraussetzungen und auch den Willen mitbringen ein Medizinstudium durchstehen zu können.
Sehr geehrte Frau Morawskyi,
vielen Dank für Ihre Frage.
Erlauben Sie mir, dass ich zunächst auf das mehrstufige Vergabesystem der Stiftung für Hochschulzulassung (ehemals ZVS) eingehe.
Nach Abzug einer Vorabquote (u.a. Sanitätsoffiziere der Bundeswehr, Härtefälle, ...) werden zunächst 20 Prozent der Studienplätze an die Abiturbesten und 20 Prozent an Bewerber nach der angesammelten Wartezeit vergeben. Die verbleibenden 60 Prozent der Studienplätze werden ja nach Hochschule zunächst nach einer Vorauswahl (u.a. nach Abiturnote und Ortspräferenz) oder gleich nach dem Ergebnis eines hochschuleigenen Auswahlverfahrens vergeben.
Die Stiftung Hochschulstart berücksichtigt beim Auswahlverfahren der Hochschulen die Testergebnisse im Medizinertest und eine entsprechende Berufsausbildung immer nach Vorgabe der jeweiligen Universität. Teils werden von den Universitäten auch weitere Zusatzkriterien, wie bspw. ein Auswahlgespräch, berücksichtigt. Dabei werden die Zusatzkriterien oder "Boni" nicht zusammengezählt sondern nur das für den Studienplatzbewerber günstigere Kriterium (d. h. entweder Ergebnis des Medizinertests oder die Berufsausbildung) berücksichtigt. Bei der Vergabe der o.g. 40 Prozent sowie bei den Hochschulen, die ihre Bewerber über eine Vorauswahl auswählen, zählt -- wie Sie berechtigterweise monieren -- zunächst nur die Abiturnote und die Wartezeit. Die Wartezeit berechnet sich wiederum nach der Zahl der Halbjahre, die seit dem Erwerb der Studienberechtigung verstrichen sind. Eine Warteliste gibt es nicht. Die Wartezeit wird bei jeder Bewerbung neu berechnet.
Bei der Studienplatzvergabe für das Studium der Medizin stellt sich aufgrund der hohen Bewerberzahlen seit jeher die Gerechtigkeitsfrage. Leider müssen geeignete Bewerber, wie Ihr Sohn, oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen, um einen der begehrten Studienplätze zu ergattern.
Ich gebe Ihnen daher Recht: Die Vergabe ist nicht sehr transparent und die unkalkulierbaren Wartezeiten schicken viele geeignete Bewerber in eine unnötige Warteschleife. In der Folge werden viele qualifizierte junge Menschen teilweise für längere Zeit dem Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte entzogen und viele geeignete Studenten gehen dem betreffenden Studienfach für immer verloren. Allerdings muss die Vergabe der begrenzten Studienplätze nach bestimmten Kriterien erfolgen.
Die in einem Staatsvertrag geregelte Vergabe der Medizinstudienplätze über ein zentrales, bundesdeutsches Vergabesystem hat sich seit Jahrzehnten eingespielt und es wäre schwierig, ein neues Vergabesystem zu etablieren, das von allen Bundesländern mitgetragen wird.
Im Bereich der Bildungspolitik hat der Föderalismus in Deutschland eine lange Tradition. Ein Vorteil davon wäre, dass im Wettbewerb Maßstäbe und Standards für die Bildung von morgen gesetzt werden können. Sie haben angesprochen, dass Ihr Sohn mit Abiturienten aus anderen Bundesländern konkurrieren muss. Hier sind wir bei einer der Schwächen des konkurrierenden Bildungsföderalismus: Da Bildung im Kompetenzbereich der Bundesländer liegt, ist die Vergleichbarkeit des Abiturs bisher nur unter Einschränkungen gegeben. Die Länder arbeiten zwar daran, das Abitur in Zukunft gleichwertiger zu gestalten, aber von einer echten Chancengleichheit bei der Zulassung zum Hochschulstudium kann noch nicht die Rede sein. Bei zulassungsbeschränkten Studiengängen kann dies zum Problem werden. Daher begrüßen wir Freie Wähler ausdrücklich die Einführung bundesweit vergleichbarer Bildungsstandards für alle Schulabschlüsse.
Persönlich würde ich es befürworten, wenn in Zukunft die Kombination aus Abiturnote, Studieneingangstest und Berufsausbildung den Zugang zum Hochschulstudium regeln. Damit wäre gesichert, dass auch die persönliche Eignung eines Bewerbers ausreichend berücksichtigt wird.
Ein weiteres Problem ist von den Ländern hausgemacht: In Bayern werden trotz Ärztemangels derzeit zu wenig Studienplätze für Mediziner geschaffen. Ein Grund für diese Entscheidung des zuständigen Ministeriums dürfte sein, dass in Bayern geschaffene Studienplätze auch Bewerbern aus anderen Bundesländern zur Verfügung stehen, Bayern aber für die alleinige Finanzierung der im Vergleich teuren Studienplätze aufkommen muss.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Michael Piazolo