Frage an Michael Frieser von Heiko S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Frieser,
auch ich habe mehrere Fragen, die sich alle irgendwie darum drehen, dass ich Politiker nicht mehr verstehe, bzw. oft nur dann verstehe, wenn ich sie als korrupte, egozentrische und merkbefreite Karrieristen betrachte, die sich nicht trauen, konkrete Antworten auf konkrete Fragen zu geben. Ich hoffe, Sie können mir helfen, dieses Bild ein wenig gerade zu rücken.
Ich wende mich auch deshalb an Sie, weil Sie hier bisher nicht (wie man leider viel zu oft bei Politikern erlebt) mit rhetorischen Spielchen reagierten. Auf Antworten, die aus Auszügen eines Parteiprogramms bestehen, kann ich ebenso verzichten wie auf nichtssagendes Gelaber. Lieber lese ich ein "das weiß ich nicht" oder ein "das ist mir egal" als mich durch seitenweise Redundanz quälen zu müssen. Das nur vorab.
Hier meine Fragen:
1. Weshalb hat - Ihrer Meinung nach - die Bundesrepublik die UN-Resolution 58/4 vom 31.10.2003 zur Bekämpfung der Korruption noch nicht ratifiziert? Nächsten Monat werden es 10 Jahre, die die Bundesrepublik dafür Zeit hatte.
Erst im Juni wurde eine Verschärfung der Regeln gegen die Bestechung von Abgeordneten - abgelehnt!
2. Man hört immer wieder, dass Gesetze mehr oder weniger direkt von Lobbyisten geschrieben und von der Politik dann nur noch abgenickt werden. Halten Sie den Einfluss der Industrie auf die Politik in diesem Maß für problematisch? Glauben Sie, dass die Lobbyisten der Bürgerinitiativen denselben Einfluss auf die Politik haben wie die der Industrie?
3. Im Bundestag muss etwa ein Drittel der Parlamentarier Nebeneinkünfte ausweisen. Ab welcher nebenparlamentarischen Arbeitslast ist Ihrer Meinung nach mit einer Beeinträchtigung des Mandats zu rechnen? Abgeordnete sind schließlich auch nur Menschen mit begrenzter Leistungsfähigkeit.
4. Wie bewerten Sie die Tatsache, dass bei Großprojekten das angesetzte Budget häufig überschritten wird? Wird da zur Durchsetzung eines Projektes vorher schöngerechnet?
mit freundlichen Grüßen
Heiko Schwalm
Sehr geehrter Herr Schwalm,
vielen Dank für Ihre Fragen.
1. Die Frage, weshalb die Koalition die UN-Resolution bisher noch nicht ratifiziert hat, habe ich auf Abgeordnetenwatch bereits mehrmals ausführlich beantwortet.
http://www.abgeordnetenwatch.de/michael_frieser-575-37573--f380848.html#q380848
Daher fasse ich zusammen: Noch ist es uns nicht gelungen, die Vorschriften der Abgeordnetenbestechung über § 108e StGB hinaus so zu verfassen, dass sie einerseits in strafrechtlich hinreichend bestimmter Art der besonderen Situation der Abgeordneten gerecht werden und dabei den Vorgaben des Übereinkommens der Vereinten Nationen entsprechen. Die Vorschläge der Opposition waren ebenfalls nicht hinreichend, um dieses Problem zu lösen, sodass wir dies erst in der neuen Legislaturperiode angehen können. Ich stimme Ihnen jedoch zu, dass in dieser Sache eindeutig Handlungsbedarf besteht. Wann wir zu einer Einigung kommen werden, kann ich Ihnen – in aller Ehrlichkeit – leider nicht sagen. Je früher das Problem gelöst wird, desto besser.
2. Diesen Vorwurf kann ich getrost ausräumen. Es ist korrekt, dass alle Fraktionen im Bundestag Meinungen von Vertretern aus Wirtschaft, von Verbänden, Stiftungen, usw. einholen. Dies geschieht in einem gesetzlich bzw. durch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgesehenen Rahmen in Anhörungen oder Kommissionen. Dies Praxis gehört notwendigerweise zur parlamentarischen Arbeit, da es für den einzelnen Abgeordneten schlichtweg unmöglich ist, sich stets selbst ein umfassendes Bild vor Ort zu machen oder alle komplexe Sachthemen komplett zu erfassen, ohne selbst Experte in diesen Gebieten zu sein. Die Politik muss meines Erachtens so viel Input und Expertenmeinungen wie möglich einholen, um Entscheidungen zu fällen. Natürlich werden so auch einige Interessen aufgenommen und fließen im Entscheidungsprozess ein. Daher bin ich der Meinung, dass Bürgerverbände ebenso Gehör finden, wie Vertreter der Wirtschaft oder der Industrie. Am Ende muss ein fairer Interessensausgleich stehen, der - so selbstkritisch zu sein gehört dazu - sicher nicht immer in dem Umfang gelingt, wie man es sich selbst wünscht.
3. Ich halte es für richtig und wichtig, dass Bundestagsabgeordnete Nebeneinkünfte beziehen können, schließlich sollen sie Vertreter des Volkes sein und aus der Mitte des Volkes kommen. Das bedingt, dass sie z. B. nicht völlig die Anbindung an den vorher erlernten bzw. ausgeübten Beruf verlieren oder deshalb bspw. ein Selbständiger seinen Betrieb aufgeben muss. Problematisch würde es, sobald Abgeordnete ihre parlamentarischen Pflichten zugunsten ihrer Nebentätigkeiten vernachlässigen und das Mandat nicht als ihre Haupttätigkeit wahrnehmen bzw. es als „Hebel" für Interessen Dritter instrumentalisieren.
4. Da ich denke, dass die jeweiligen Projekte einzeln zu bewerten sind, kann ich Ihnen keine abschließende Meinung dazu geben. Ich stimme Ihnen jedoch zu, dass zu oft Fehlplanungen zustande kommen oder Baukosten falsch berechnet werden. Dies kann aus vielen Gründen geschehen (lange Planungsdauer, nachgereichte Extrawünsche, Preissteigerungen bei Baumaterialien etc.). Am Beispiel des Flughafenbaus BER können Sie sehen, was geschieht, wenn sich die öffentliche Hand selbst überfordert, um zu sparen. Man kann keinen Flughafen für 1,7 Mrd. Euro bauen wollen, der eigentlich das doppelte kosten muss. Auch aus Stuttgart 21 wurde gelernt, dass umfangreiche Bauprojekte mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung brauchen. Daher bewerte ich dieses Thema äußerst kritisch, da beim Umgang mit Steuergeldern stets die höchste Sorgfaltspflicht gilt und nicht über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden werden darf.
Mit freundlichen Grüßen nach Langwasser
Michael Frieser, MdB