Was ist für Sie die "soziale Basis" der Partei DIE LINKE, wenn Sie als Unterzeichner des Aufrufs für eine populäre Linke auch die Forderung nach einem emanzipatorischen BGE ablehnen?
Sehr geehrter Herr B.,
Sie haben den Aufruf für eine populäre Linke (URL: https://populaere-linke.de/ ) unterzeichnet (URL: https://populaere-linke.de/unterstuetzerinnen-unterstuetzer/ ).
In dem Aufruf schlagen Sie vor, dass DIE LINKE die "Ungleichheit von Einkommen, Vermögen und Macht (...) zurückdrängen und die sozialen und kulturellen Spaltungen überwinden" solle. Etwas später lehnen Sie aber die Festlegung der Partei auf die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) unter Hinweis auf eine abstoßende Wirkung einer solchen Forderung bei der sozialen Basis der Partei ab. Was aber machen Sie mit den ein emanzipatorisches BGE befürwortenden und ersehnenden Teilen der sozialen Basis? Oder aber was genau ist die "soziale Basis" Ihrer Partei? Wie wollen Sie mit einer Ablehnung eines emanzipatorischen BGE die soziale Spaltung überwinden? Wie können Sie diese Widersprüchlichkeit für sich, DIE LINKE und die soziale Basis auflösen?
Es grüßt Sie
G. K.
Sehr geehrter Herr G.K.,
Ihre Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, da sie die sowohl innerparteiliche Auseinandersetzungen in meiner Partei DIE LINKE berührt wie auch die grundsätzliche Haltung zur Forderung nach der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Es ist kein Geheimnis, dass ich persönlich die Forderung nach der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ablehne. Dies habe ich auch schon hier bei Abgeordnetenwatch begründet, zum Beispiel in meiner Antwort an Gotthilf K vom 21. September 2021.
Meine Genossin Katja Kipping ist bekanntermaßen eine glühende Befürworterin des Bedingungslosen Grundeinkommens. Das hat weder Sie noch mich als Fraktionskollegin:nnen in der vergangenen Legislaturperiode davon abgehalten, gemeinsam und leidenschaftlich und im Interesse der gesamten sozialen Basis unserer Partei im Bundestag für eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie individuelle Mindestsicherung von 1200 Euro zu streiten.
Mit dieser Forderung nach sozialen Garantien auf der Basis solidarischer Umlagesysteme, zu denen auch eine lediglich einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarisiche Mindestrente vom 1200 Euro netto zählt, hat DIE LINKE eine gemeinsame Position gefunden. Mit dieser Position können wir – ganz ohne Vertiefung der kulturellen Spaltungen in der sozialen Basis unserer Wählerschaft - das gemeinsame Interesse von LINKEN Befürwortern und Gegnern des Bedingungslosen Grundeinkommens verwirklichen: Niemand soll von weniger als 1200 Euro leben müssen, und niemand soll Angst davor haben müssen, dass sein oder ihr Existenzminimum vom Wohlverhalten gegenüber Ämtern und Behörden abhängig gemacht werden kann. „Zusammengefasst wollen wir ein garantiertes Mindesteinkommen von 1.200 Euro in jeder Lebenssituation, in der es gebraucht wird,“ stand in unserem Wahlprogramm.
in dem von Ihnen angesprochenen Aufruf für eine populäre LINKE schlagen die Unterzeichner nach den von Ihnen zitierten Sätzen deshalb ausdrücklich vor: „Die Partei sollte bei ihrer bisherigen Offenheit in dieser Frage bleiben.“
Gemeinsam mit den Mitunterzeichner*innen dieses Aufrufes werbe ich also dafür, auf die Zuspitzung sozialer und kultureller Spaltungen in der Partei und ihrer sozialen Basis durch einen Mitgliederentscheid zu verzichten und bei der bisherigen Offenheit der Diskussion zum Bedingungslosen Grundeinkommen zu bleiben. Damit böte die Partei DIE LINKE auch weiterhin den ein bedingungsloses Grundeinkommen befürwortenden Teilen Ihrer sozialen Basis Platz, ohne andere Teile abzuschrecken.
Am Rande sei hier noch festgestellt, dass Sie in Ihrer Frage den Aufruf für eine populäre LINKE falsch zitieren: Während Sie mit der Formulierung „der sozialen Basis“ der Partei uns in Ihrer Frage eine verkürzte und vereinfachte Sichtweise unterstellen, reden wir Unterzeichner*innen in Anerkennung der Verschiedenheit von sozialen Interessen und kulturellen Identitäten ausdrücklich nur von „wichtigen Teilen der Mitgliedschaft und sozialen Basis unserer Partei.“
„ Eine meiner Hauptkritiken am bedingungslosen Grundeinkommen lautet, dass so Geld mit der Gießkanne verteilt wird anstatt Unterstützung dort zu leisten, wo sie dringend notwendig ist.“
So habe ich hier auf abgeordnetenwatch.de in meiner Antwort an Gotthilf K vom 21. September 2021 argumentiert.
Ausgehend von diesem Aspekt meiner Kritik möchte ich hier abschließend noch kurz erklären, worin ich gemeinsam mit den inzwischen rund 5.000 Mitunterzeichnenden die möglicherweise abstoßende Wirkung der Forderung auf „wichtige Teile der Mitgliedschaft und sozialen Basis unserer Partei“ begründet sehe.
Zur Finanzierung eines „garantierten Mindesteinkommens von 1.200 Euro in jeder Lebenssituation, in der es gebraucht wird,“ wie es die LINKE in Ihrem Wahlprogramm ist eine kräftige Umverteilung nötig, die aber mit der Besteuerung großer Vermögen, höchster Einkommen und der Einführung einer Erwerbstätigenversicherung bei der Rente darstellbar ist.
Würde, wie es die Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens fordern, jedoch ein solcher Betrag auch an diejenigen gezahlt, die ihn nicht brauchen, wäre eine steuerliche Umverteilung gigantischen Ausmaßes erforderlich. Mein Freund Christoph Butterwegge, der bekannte Kölner Armutsforscher ging 2015 von einer zusätzlichen steuerlichen Belastung aus, welche ein Vielfaches des damaligen Volumens des Bundeshaushaltes von rund 300 Milliarden Euro betragen müsste.
Somit wäre das BGE mit erheblichen steuerlichen Mehrbelastungen für abhängig Beschäftigte mit mittleren und höheren Einkommen verbunden, und auch diejenigen, die im Ergebnis nach Zahlung der BGE mehr Geld in der Tasche hättet, wären verschärften Kontrollen durch das Finanzamt ausgesetzt.
Für Erwerbslose ersetzte schlicht das Finanzamt das Jobcenter als Kontrollbehörde, sodass von Emanzipation weit weniger übrig bleiben wird, als sich die Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens erträumen.
Auf meiner Website finden Sie eine sehr informative Broschüre, die sich kritisch mit den Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen oder einem Bürgergeld auseinandersetzt:
https://www.matthias-w-birkwald.de/de/article/2269.das-bedingungslose-grundeinkommen-keine-gute-idee.html“
Mit besten Grüßen,
Ihr Matthias W. Birkwald