Hat sich Ihre Meinung bzgl. eines AfD-Verbotsverfahrens vor dem Hintergrund des ofenen Briefes von 200 Jurist*innen geändert?
Sehr geehrter Herr Birkwald, wie sie vielleicht mitbekommen haben, haben sich gerade 200 Jurist*innen mit einem offenen Brief an die öffentlichkeit gewandt, in dem sie für eine Unterstützung des AfD-Verbotsverfahrens aufrufen. Sie selbst haben sich ja in der Vergangenheit zurückhaltend gezeigt. Hat sich dies vor dem Hintergrund des offenen Briefes geändert, der ja von Expert*innen stammt, die über die juristischen Schwierigkeiten eines solchen Verfahrens bestens informiert sind?
(Hier der offene Brief: https://www.deutschlandfunk.de/mehr-als-200-juristen-fordern-einleitung-von-afd-verbotsverfahren-saemtliche-voraussetzungen-dafuer--100.html)
Sehr geehrter Herr L.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift.
Derzeit erreichen mich viele Schreiben, in denen ich aufgefordert werde, ein Verbotsverfahren nach Artikel 21 Grundgesetz gegen die AfD zu unterstützen. Diese Diskussion wurde jüngst durch den Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sowie die Ankündigung eines Antrags einer fraktionsübergreifenden Gruppe aus Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der Grünen und der LINKEN befeuert, mit dem der Bundestag ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anstoßen möge.
Ich versichere Ihnen, dass wir diese Frage unter den Bundestagsabgeordneten der LINKEN, aber auch unter denen aller anderen demokratischen Parteien, intensiv diskutieren. Mit den Abgeordnetenkollegen bin ich mir darin einig, dass unsere Demokratie wehrhaft sein muss und sich nicht solchen Kräften ausliefern darf, die sie unterlaufen oder abschaffen möchten. Ich teile auch die Empörung der Menschen, die im Januar 2024 in großer Zahl gegen die AfD protestierten.
Dass politische Kräfte bekämpft werden müssen, die – wie Björn Höcke – Positionen vertreten, die auf die Entrechtung von Menschen nur aufgrund ihrer Herkunft hinauslaufen, muss unter Demokratinnen und Demokraten Konsens sein. Über den richtigen und Erfolg versprechenden Weg der Bekämpfung extrem rechter Parteien gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen, auch und gerade bezogen auf ein Parteiverbotsverfahren.
So sehr ich die zum Teil rechtsextremen Ziele der AfD, die entsprechenden Überzeugungen und das diesbezügliche Verhalten ihrer Mitglieder auch ablehne, so skeptisch bin ich jedoch nach jetzigem Stand hinsichtlich eines Verbotsverfahrens gegen diese Partei.
Selbst unter denjenigen, die ein Verbot der AfD fordern, sind sich Viele nicht sicher, ob die Anforderungen hierzu nach Artikel 21 des Grundgesetzes, dem vom Bundesverfassungsgericht in seiner Ablehnung eines NPD-Verbots in 2017 genannten Maßstäben sowie vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits erfüllt seien.
Für ein Verbot einer Partei reicht es nicht aus, dass diese oder ihre Mitglieder Ziele verfolgten, die andere Menschen als verfassungsfeindlich bewerten.
„Das Parteiverbot“, so damals das Bundesverfassungsgericht, „ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot“.
Für ein Verbot qualifiziert sich eine Partei nicht schon durch Anschauungen, die dem Grundgesetz widersprechen, sondern erst durch ein „planvolles Vorgehen im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung“, um die grundgesetzliche Ordnung abzuschaffen. Sollte die AfD ein solches Vorgehen planen, ist sie allerdings klug genug, keine dies abbildenden Beschlüsse zu fassen. Dass es unerträgliche rassistische, völkische und illiberale Bemerkungen auch führender Mitglieder der AfD gibt, ist bekannt. Für einen erfolgreichen Verbotsantrag müssten diese jedoch erstens der AfD als Partei insgesamt zugerechnet und zweitens glaubhaft mit einem planhaften Vorgehen gegen die grundgesetzliche Ordnung in Verbindung gesetzt werden können. „Wenn Björn Höcke etwas Rassistisches über Afrikaner sagt, ist das eine rechtsextreme Weltanschauung, aber noch kein konkreter Plan, afrikanischstämmige Menschen zu entrechten“, so Justus Bender in der FAZ am Sonntag.
Diesen wichtigen Punkt berücksichtigt nicht nur meiner Einschätzung nach die rechtswissenschaftliche Stellungnahme, die 17 Professorinnen und Professoren der Rechtswissenschaft unter
https://verfassungsblog.de/stellungnahme-parteiverbotsverfahren-afd/
veröffentlicht und an viele politisch Entscheidungsträger gesendet haben, zu wenig.
Die Autorinnen und Autoren führen eine Vielzahl von in der Tat politisch furchtbaren Statements von Mitgliedern der AfD an. Doch verfehlen sie damit die Beweislast eines Parteiverbotsverfahrens deutlich. Wie der frühere Landesminister Mathias Brodkorb (SPD) in seiner Kritik zutreffend bemerkt:
„Relevant ist ja vielmehr, ob der AfD tatsächlich als Gesamtorganisation nachgewiesen werden kann, verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne von Artikel 21 Grundgesetz zu verfolgen. Einzelbeispiele reichen dafür nicht aus. Und genau an dieser Stelle wird die Argumentation der Professoren ausgesprochen dünn“ (siehe https://www.cicero.de/innenpolitik/rechtswissenschaftler-legen-stellungnahme-zu-afd-verbot-vor-professoren-in-selbstuberschatzung). Denn in ihrer Stellungnahme reihen die Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlicher zur Beweisführung gegen die AfD nur verschiedene, als verfassungsfeindlich interpretierbare Aussagen aneinander. Jedoch ist es, wie Brodkorb anhand der Aufhebung der Verbotsverfügung gegen das rechte Nachrichtenmagazin Compact durch das Bundesverwaltungsgericht zitiert, nach „höchstrichterlicher Rechtsprechung (.) dabei verboten, grundlos die für den Betroffenen nachteilige (sprich: verfassungsfeindliche) Auslegungsmöglichkeit zugrunde zu legen“. Zudem: wie der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek betont hat, wird auch durch eine Zusammenstellung nicht eindeutiger verfassungsfeindlicher Aussagen keine verfassungsfeindliche Position nachgewiesen. Es bleibt also weiterhin dabei, dass sich der AfD kein planhaft-verfassungsfeindliches Vorgehen zurechnen lässt, welches einen Verbotsantrag aussichtsreich erscheinen ließe.
Wenig verwunderlich weiß die FAZ daher auch zu berichten, dass sich alle dazu Antragsberechtigten – Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung – in der Frage eines AfD-Verbots stark bedeckt halten.
Diese Vorsicht ist nach meinem Eindruck nicht mit fehlender Ablehnung der AfD gleichzusetzen. Sie wird auch von Politikerinnen und Politikern unterschiedlicher Parteien aus den neuen Bundesländern geteilt, in denen die AfD im Spätsommer bzw. Frühherbst 2024 erschreckend gute Ergebnisse eingefahren hat. Politikerinnen und Politiker demokratischer Parteien befürchten jedoch – wie ich selbst – dass ein Verbotsverfahren die AfD sogar noch stärken könnte: Auch solche Menschen, die bisher die AfD nicht gewählt haben, aber den anderen Parteien misstrauen, könnten im Verbotsfahren den Versuch sehen, sich eine missliebige Konkurrenz vom Halse zu schaffen. Und wer die AfD bereits gewählt oder dies erwogen hat, könnte sich sagen: „Jetzt erst recht!“.
Dies gilt es zu verhindern.
Scheiterte ein AfD-Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht, wäre der damit angerichtete Schaden nach meiner Befürchtung erheblich. Die AfD würde dann – obwohl sachlich unzutreffend – den Verfahrensausgang wie einen Persilschein ihrer demokratischen Unbedenklichkeit vor sich her tragen. Bei jeder erdenklichen Gelegenheit würde sie die Kritik an menschenfeindlichen Äußerungen und Taten aus ihrer Mitgliedschaft damit abtun, dass der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit gegen sie ins Leere geht. Der Schaden für die Glaubwürdigkeit der Verfassungsorgane und der Wahrnehmung ihrer Integrität fiele um ein Vielfaches größer aus, als er bereits nach der gescheiterten Verbotsversuch gegen die Zeitschrift „Compact“ gewesen ist. Dieses Risiko ist aus meiner Sicht nach allen derzeitigen Erkenntnissen und Einschätzungen unannehmbar hoch.
Dieses Problem und viele weitere Hürden und Schwierigkeiten gilt es im Kampf gegen die AfD zu bedenken. An der Wichtigkeit und Notwendigkeit, die AfD zu bekämpfen, gibt es keinerlei Zweifel.
Der größte Teil dieses Kampfes muss aber nach meinem Dafürhalten die politische Auseinandersetzung sein. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die herrschende Politik und die anderen Oppositionsparteien endlich diejenigen Themen in den Mittelpunkt stellten, bei denen bei weiten Teilen der Bevölkerung Übereinstimmung besteht, wie hinsichtlich eines höheren gesetzlichen Mindestlohns, höherer flächendeckender Tarifgehälter, bezahlbarem Wohnraum, ausfinanzierter und flächendeckend verfügbarer Kinderbetreuung sowie einer gesetzlichen Rente, die endlich wieder den Lebensstandard sichern und zuverlässig vor Altersarmut schützen möge.
Bei diesen und vielen anderen Themen hat die AfD nichts an den Füßen oder bezieht sogar Positionen, die die überdeutliche Mehrheit der Menschen aus guten Gründen ablehnt. Zudem müssen alle politisch Handelnden zur Kenntnis nehmen, dass sie mit ihrer Autonomie beschneidenden Politik viele Menschen verprellen. Das gilt beispielsweise für das sogenannte Heizungsgesetz, eine Energie verteuernde Politik, Coronamaßnahmen, eine Impfpflicht mit mRNA-basierten Impfstoffen, ein immer wieder gefordertes generelles Tempolimit auf Autobahnen, Sprache mit Glottisschlag, Leugnen der Probleme mit der an sich notwendigen Migration und Zufluchtsgewährung und im Vergleich zu früheren Dekaden eingeschränkten Freiräumen der freien Meinungsäußerung ohne berufliche oder sonstige Konsequenzen.
Solange die herrschende Politik sich aber nicht zu einem – vor allem sozialen – Kurswechsel zugunsten der Selbstbestimmung der Menschen durchringen kann, wird sie auch die AfD nicht stellen und ihre Erfolgsserie nicht ausbremsen und stoppen können.
Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir, Ihnen dieses Buch zu empfehlen:
Juli Zeh, Simon Urban, „Zwischen Welten“, 2023 erschienen bei Luchterhand, siehe
https://www.penguin.de/Buch/Zwischen-Welten/Juli-Zeh/Luchterhand-Literaturverlag/e615352.rhd.
In der Hoffnung, Ihnen meine Position verständlich gemacht und Sie vielleicht sogar überzeugt zu haben, Sie in Ihrem demokratischen Engagement ermutigend und um Ihre Unterstützung für den demokratischen und inhaltlichen Streit gegen die AfD werbend, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Matthias W. Birkwald MdB