Frage an Matthias W. Birkwald von Bernhard P. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Birkwald!
In einer Pressemitteilung der DRV Bund v. 27.06.2019 steht (einkopiert): "...Buntenbach forderte abschließend, dass Leistungen der Rentenversicherung, die wie die Mütterrente nicht auf Beiträgen beruhen, vollständig aus Steuermitteln zu finanzieren seien. Jüngste Berechnungen hätten gezeigt, dass derzeit eine jährliche Unterdeckung nicht beitragsgedeckter Leistungen durch den Bund in Höhe von 30 Milliarden Euro bestehe..."https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Presse/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen-archiv/2019/2019_06_27_bvv_buntenbach.html
Am 23.01.2020 wurde gemeldet, daß ein Rekord-Überschuss beim Bund für 2019 i.H.v. 13,5 Milliarden Euro erzielt worden wäre https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/milliarden-ueberschuss-bund-steuersenkungen-haushalt-berlin-altmaier-scholz-1.4753443
Meine Fragen:
1. Wieso fand die Pressemitteilung der DRV Bund in den gängigen Nachrichten keinen Eingang?
2. Wer verbreitet hier eigentlich "Fake News" - die DRV Bund oder die Bundesregierung? Oder gibt es eine "andere Erklärung"?
Für eine aussagekräftige Antwort wäre ich Ihnen sehr dankbar!
Bleiben Sie gesund!
Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Pieper
Sehr geehrter Herr Pieper,
vielen Dank für Ihre Nachfrage vom 29. April, die ich gerne beantworte und bei deren zeitnaher Übermittlung es technische Probleme gab. Entschuldigen Sie also die lange Wartezeit.
Die Kritik von Annelie Buntenbach in ihrer damaligen Funktion als alternierender Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund steht in keinem direkten Widerspruch zur aktuell (noch) guten Kassenlage der Rentenversicherung. Aktuell geht die DRV davon aus, dass Rentenansprüche, für deren Erwerb weder von den Versicherten oder ihren Arbeitgebern noch von Dritten den Anwartschaften adäquate Beiträge entrichtet wurden, je nach Abgrenzung derzeit bis zu 40 Prozent der gesamten Rentenausgaben ausmachen. Nicht nur DIE LINKE im Bundestag, sondern auch Gewerkschaften und Sozialverbände fordern seit Langem - und aktuell bezogen auf die sogenannte „Mütterrente“ oder die extrem hohen Verwaltungskosten bei der sogenannten "Grundrente" - immer wieder, dass für diese, in vielen Fällen sozialpolitisch wichtigen, Rentenausgaben ausreichend Steuermittel in Form der Bundeszuschüsse bereitgestellt werden mögen (Drucksache 18/1497 und Drucksache 19/20736 ).
Während man in der Vergangenheit durchaus den Vorwurf begründen konnte, dass die Rentenkasse „geplündert“ wurde und damit die Spielräume für Leistungsverbesserungen erheblich eingeschränkt wurden, ist die aktuelle Situation etwas differenzierter zu betrachten. Bei der Debatte um die sogenannte „Mütterrente“ war es noch so, dass die Union - und hier vor allem die CSU - diese Leistung unbedingt ausweiten wollte, sich aber einer Steuerfinanzierung verweigerte und damit Kürzungen bei anderen Leistungen in Kauf nahm bzw. für Verbesserungen zum Beispiel bei den Erwerbsminderungsrenten angeblich kein Geld mehr da gewesen sein sollte. SPD, Gewerkschaften, die Deutsche Rentenversicherung und DIE LINKE aber forderten immer wieder einen höheren Steuerzuschuss ein. Bei der sogenannten „Grundrente“ lag die Situation etwas anders. Es gab von vornherein die Zusage, die Kosten aus Steuermitteln gegenzufinanzieren und so wurde im Gesetz auch festgeschrieben, dass im Jahr 2021 der Bundeszuschuss um 1,3 Milliarden und in den Folgejahren um 1,4 Milliarden Euro erhöht werden wird. Strittig ist nur, inwieweit dies den echten Kosten der sogenannten „Grundrente“ entspricht. Wir LINKEN haben deshalb in unserem oben genannten Änderungsantrag gefordert, dass die Kosten nicht über einen pauschalen Betrag, sondern vollständig erstattet werden mögen!
Eine sehr gute Beitragsentwicklung in den vergangenen Jahren und eine sozialpolitisch problematische Kürzung der Rentenausgaben haben dazu geführt, dass diese Finanzierungslücke sich NOCH nicht in der Kassenlage der Rentenversicherung niederschlägt. Sie ist nach dem Einbruch in der Zeit nach der Wiedervereinigung seit 2005 von 1,7 Milliarden Euro auf aktuell 34 Milliarden Euro angestiegen. Und das, obwohl der Beitragssatz mit 18,6 Prozent der niedrigste seit 25 Jahren ist! Auch im Jahr 2020 sind die Einnahmen nicht eingebrochen - trotz Wirtschaftskrise. Das liegt daran, dass die Beiträge der Bundesagentur für Arbeit an die Rentenversicherung aufgrund der Kurzarbeit und des Arbeitslosengeldes I massiv gestiegen sind. Auch das Verhältnis steuerfinanzierter Bundeszuschüsse (Bundeszuschuss und zusätzlicher Bundeszuschuss) zu den Beitragseinnahmen ist seit den 90er Jahren erstaunlich stabil geblieben. Es liegt bei knapp 30 Prozent. Im Jahr 2021 leistet der Bund Bundeszuschüsse in Höhe von 79 Milliarden Euro, dazu kommen aber nochmal 17 Milliarden Beiträge für die Kindererziehungszeiten und weitere Bundesmittel. Insgesamt belaufen sich die Bundeszuschüsse inklusive Erstattungen auf 97,4 Milliarden Euro.
Sie finden diese Zahlen aus dem aktuellen Bundeshaushalt hier https://www.bundeshaushalt.de/#/2021/soll/ausgaben/funktion/22.html und hier finden Sie eine genaue Auflistung und Beschreibung der einzelnen Bundesmittel https://www.bundeshaushalt.de/fileadmin/de.bundeshaushalt/content_de/dokumente/2021/soll/epl11.pdf#page=21
Modellrechnungen, die von einer noch unsicheren wirtschaftlichen Erholung in diesem Jahr ausgehen, zeigen aber auch, dass sich in den kommenden Jahren die Rentenkasse massiv leeren wird. In diesem Jahr könnte demnach die Nachhaltigkeitsrücklage auf 28 Milliarden zurückgehen und dann bis 2024 auf acht Milliarden Euro absinken. Erst ab 2024 würde eine Beitragssatzerhöhung - und damit auch eine Ausweitung der Bundeszuschüsse - die Rentenkasse wieder stabilisieren.
Sie finden die offiziellen Zahlen der DRV dazu hier https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Experten/Zahlen-und-Fakten/Kennzahlen-zur-Finanzentwicklung/kennzahlen-zur-finanzentwicklung_node.html unter " Mittelfristige Finanzentwicklung".
Von daher besteht aus rein finanzieller Sicht aktuell zwar kein Anlass für eine große Debatte um eine geplünderte oder gar eine leere Rentenkasse. Außerdem ist die Frage, was beitragsfinanziert werden sollte und was steuerfinanziert, gar nicht so einfach zu beantworten. Als Beispiel kann man die Umrechnung der Ostlöhne anführen (Kosten 2017: 29 Mrd. Euro) oder auch die Hinterbliebenenrenten (Kosten: 13,5 Mrd. Euro), die nicht auf eigenen Beiträgen beruhen und die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage , die Stand März 2021 noch 34 Milliarden Euro beträgt.
Aber nichts desto trotz muss die Politik jetzt endlich für eine sichere Zukunft der gesetzlichen Rente handeln.
Höhere Leistungen für Alle – also eine Anhebung des Rentenniveaus – wären, so meine und unsere Position, mit einem moderaten Beitragssatzanstieg und einer Beseitigung der gröbsten Fehlfinanzierungen gut finanzierbar. Diesen Weg zu verfolgen, erscheint mir strategisch sinnvoller, als jetzt zu fordern, riesige Summen an versicherungsfremden Leistungen über Steuererhöhungen zu finanzieren, was eher unrealistisch erscheint. Außerdem würden wir durch eine scharfe Politisierung der “versicherungsfremden Leistungen“ auch Gefahr laufen, dass viele dieser sozialpolitisch sinnvollen Leistungen dann in Zeiten knapper Kassen hinterfragt werden würden. Anstatt Steuergelder locker zu machen, drohten dann eher Kürzungen. Also haben wir LINKEN uns für den umgekehrten Weg entschieden: Erst zu formulieren, was wir unter eine lebensstandardsichernden, armutsfesten und solidarischen, guten Rente verstehen und dann Vorschläge für ihre Finanzierung zu machen, die sich nicht auf ein Zurückfordern alter Fehler beschränkt, sondern einen stabilen Beitragssatzpfad und entsprechende Steuermittel ausgewogen ins Gleichgewicht bringt.
Dazu kommt, dass aktuell bis 2025 eine Beitragssatzgarantie gilt und damit der Beitragssatz nicht über 18,6 Prozent steigen soll. Gleichzeitig hat sich der Bund verpflichtet, im Falle einer Unterdeckung der Rentenkasse, Steuermittel zuschießen. Konkret: Bis zum Jahr 2025 wird das Rentenniveau vor Steuern nach neuer Definition auf mindestens 48 Prozent und der Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung auf mindestens 18,6 Prozent stabilisiert und auf höchstens 20 Prozent begrenzt.
Für die Jahre 2022 bis 2025 sind deshalb Sonderzahlungen an die Deutsche Rentenversicherung in Höhe von vier Mal 500 Millionen Euro (plus Dynamisierung analog zum allgemeinen Bundeszuschuss) gesetzlich fixiert. Zudem steigen die Beiträge für Kindererziehungszeiten und der allgemeine Bundeszuschuss, da deren Fortschreibung mit der Veränderung des Beitragssatzes verknüpft ist.
Außerdem wurde gesetzlich festgeschrieben, dass der zusätzliche Bundeszuschuss gegebenenfalls um den Betrag angehoben wird, der notwendig ist, um bei einem Beitragssatz von 20 Prozent die Mindestnachhaltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben zu eigenen Lasten zu gewährleisten („Beitragssatzgarantie“).
Kurz zusammengefasst: Ich nehme die Debatte um versicherungsfremde Leistungen sehr ernst, gehe hier aber nicht mit Maximalforderungen, sondern mit radikalen und gleichzeitig realistischen Finanzierungsvorschlägen in die Debatte.
Genau jetzt wäre die Zeit für eine außerordentliche Rentenerhöhung um das zur Zeit künstlich hochgerechnete Rentenniveau in den kommenden Jahren schrittweise wieder auf 53 Prozent anzuheben und die angekündigte Nullrunde bei den Renten zu verhindern. Die Riesterrente ist gescheitert, der Ausbau der Betriebsrenten stockt. Das bedeutet: Wir müssen jetzt die Gesetzliche Rente ausbauen. Sie muss wieder den Lebensstandard sichern und vor Altersarmut schützen. Wir LINKEN schlagen vor, die finanziellen Spielräume sofort für eine außerordentliche Rentenerhöhung zu nutzen.
Die Anhebung des Rentenniveaus um einen Prozentpunkt würde statt einer Nullrunde eine Rentenerhöhung um zwei Prozent bedeuten. Die notwendigen Beitragseinnahmen von 6,5 Milliarden Euro wäre nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung mit einer moderaten Beitragssatzerhöhung um 0,4 Prozentpunkte finanzierbar. Der steuerfinanzierte Bundeszuschuss würde um 1,1 Milliarden Euro steigen. Dazu müsste nur die für das kommende Jahr geplante Erhöhung des Verteidigungshaushaltes um 2,4 Milliarden Euro gestrichen werden.
Die Bundesregierung verschweigt, dass sie 2021 und in den Folgejahren das Rentenniveau künstlich hochrechnet. Darauf haben der DGB und der renommierte Sozialexperte Johannes Steffen in ihren Stellungnahmen deutlich hingewiesen. Ohne den Revisionseffekt der beitragspflichtigen Entgelten betrüge das Rentenniveau derzeit nämlich lediglich 48,3 Prozent. Dann müssten durchschnittlich verdienende Beschäftigte und ihre Chefinnnen bzw. Chefs im Durchschnitt nur 34,26 Euro mehr im Monat Rentenbeitrag zahlen, um ein Rentenniveau von 53 Prozent zu finanzieren. Viele Beschäftigte könnten dann auf ihre Riesterbeiträge von vier Prozent ihres Bruttoeinkommens verzichten. Unterm Strich hätten sie mit 53 Prozent Rentenniveau und ohne Riestervertrag rund 90 Euro im Monat mehr in der Tasche. Ihre Renten wären nach 45 Beitragsjahren nach aktuellen Zahlen auch um 133 Euro netto höher!
Ich hoffe, damit Ihre Frage beantwortet zu haben.
Für Rückfragen steht Ihnen mein Berliner Büro gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Matthias W. Birkwald MdB