Frage an Matthias W. Birkwald von Simon K. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Bartke,
Sie wissen, dass der größte Teil des Bundeshaushalts für die gesetzliche Rentenversicherung zugezahlt wird. Dies ist für mich ein Indiz, dass das Rentensystem an sich schlecht geregelt ist. Die Frage: (1) Was halten Sie von der Beitragsbemessungsgrenze und (2) sehen Sie eine Rentenreform für nötig? (>100.000.000.000€ Bezuschussung ist kein kleiner Makel des Systems).
Zahlen nachzulesen auf https://www.bmas.de/DE/Themen/Rente/Fakten-zur-Rente/Gesetzliche-Rentenversicherung/indikator-anteil-bundesmittel-an-ausgaben-gesetzlicher-rentenversicherung.html.
Wenn Unternehmer*innen und Beamt*e*innen einzahlen würden, mit Abflachung nach oben, könnte man doch das Geld in Bildung und Schuldenabbau stecken. Wie stehen Sie als Linker zu diesem 2-Klassen-Rentensystem?
Sehr geehrter Herr Klanke,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage, mit der Sie zu meiner Freude zwei unserer zentralen rentenpolitischen Forderungen aufgreifen.
Gemeinsam mit meiner Partei DIE LINKE fordere ich, die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung von aktuell 6.900 Euro / Monat (West) in einem ersten Schritt auf die bereits existierende Grenze der knappschaftlichen Rentenversicherung (derzeit in Westdeutschland monatlich 8.450 Euro) anzuheben, in späteren Schritten dann weiter drastisch zu erhöhen und sie perspektivisch ganz abzuschaffen.
Wer monatlich 10.000 Euro und mehr verdient, muss meiner Ansicht nach auch für 10.000 Euro und mehr Beiträge in die Rentenkasse (und die anderen Sozialversicherungen) einzahlen. Gleichzeitig möchten wir LINKEN die Rentenhöhe der Rentenansprüche über dem doppelten der sogenannten Standardrente (der Bruttorente eines Arbeitnehmers, der oder die 45 Jahre lang exakt für das Durchschnittsgehalt gearbeitet hat, derzeit 1.538,55 Euro / Monat), unter Ausreizung der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten degressiv gestalten, also abflachen.
Es soll somit gewissermaßen eine „Beitragsäquivalenzgrenze“ eingeführt werden.
Ebenso ist der Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung eines der zentralen Elemente der rentenpolitischen Reformpläne von uns LINKEN. Erwerbstätigenversicherung bedeutet, dass alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden und entsprechend für alle Erwerbseinkommen Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden müssen – auch für die von Selbstständigen, Freiberufler*innen, Beamt*innen, Manager*innen und Politiker*innen, egal, ob sie Abgeordnete, Minister*innen, Staatssekretär*innen oder Bundeskanzler*in sind. Analog werden dann im Ruhestand natürlich auch alle demselben Leistungsrecht unterworfen sein.
Hierbei geht es nicht nur um den Abbau von Privilegien bestimmter Gruppen: Untersuchungen zur Erwerbstätigenversicherung zeigen, dass mit einer solchen Ausweitung die gesetzliche Rentenversicherung auch auf mittlere Sicht deutlich stabilisiert werden würde.
Dies gilt umso mehr, wenn ebenfalls die von der LINKE und mir geforderte, oben beschriebene Beitragsäquivalenzgrenze eingeführt werden würde.
Allerdings bin ich der Meinung, dass die hierdurch entstehenden Mehreinnahmen der Rentenversicherung nicht für die Bildung oder den Schuldenabbau, sondern systemgerecht für Leistungsverbesserungen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung verwendet werden sollten:
Je nach Ausgestaltung und Zeitpunkt der Umstellung würde der Beitragssatz bis ins Jahr 2040 gegenüber aktuellen Kalkulationen sinken, das sogenannte Rentenniveau würde hingegen spürbar steigen (das Rentenniveau setzt die Standardrente zum Durchschnittsgehalt der Arbeitnehmer*innen ins Verhältnis). Für Arbeitnehmer*innen würde der Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung also eine höhere Rente bei einem niedrigen Beitragssatz bedeuten!
Der Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung ist allerdings ein langwieriger Prozess ist, der nicht mit einem einzelnen Gesetz abgeschlossen werden kann. Die Erwerbstätigenversicherung muss vielmehr über einen längeren Zeitraum realisiert werden, in dem für die neu miteinzubeziehenden Gruppen Übergänge gesichert werden und aus verfassungsrechtlichen Gründen erworbene Anwartschaften geschützt bleiben müssen (Vertrauensschutz).
Wir finden übrigens, dass Bundestagsabgeordnete mit gutem Beispiel vorangehen sollten und haben entsprechend im Februar diesen Jahres als ersten Schritt hin zur Erwerbstätigenversicherung den Antrag „Bundestagsabgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen“ (siehe https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/172/1917255.pdf) in den Deutschen Bundestag eingebracht.
Einen Überblick über unsere weiteren renten- bzw. alterssicherungspolitischen Reformvorhaben können Sie sich bei Interesse gerne unter https://www.die-linke.de/fileadmin/download/themen/folder2019/rente/2._Auflage_Supplement_der_Zeitschrift_Sozialismus_2_2017.pdf verschaffen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Matthias W. Birkwald