Frage an Matthias W. Birkwald von F. H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Birkwald,
wofür stehen Sie im Russland-Ukraine-Konflikt ein, was kann man im Detail (da steckt der Teufel) von Ihnen und Ihrer Partei erwarten? Es ist zuweilen von einer historischen Verantwortung Deutschlands für die Russ. Föderation die Rede, die aus dem deutschen Vernichtungskrieg gegen die damalige Sowjetunion abgeleitet wird. Gibt es eine historische Verantwortung Deutschlands für die Ukraine (die sog. "Kornkammer Europas" in nationalsozialistischen Besatzungsplänen) und wie sieht sie aus Ihrer Sicht aus? Werden Sie mit deutschen Parteien zusammenarbeiten, die eine andere Sicht auf den Russland-Ukraine-Konflikt haben?
Vielen Dank.
H.
Sehr geehrter Herr H.,
haben Sie besten Dank für Ihre Frage. Ja, es gibt eine historische Verantwortung Deutschlands, ein gutes Verhältnis zu den Staaten, die aus der Sowjetunion hervorgegangen sind, zu suchen und auf diese Weise den Frieden in Europa zu sichern. Das betrifft Russland ebenso wie die Ukraine. Sie haben die entscheidenden Stichworte in Ihrer Frage angesprochen. Wir sind der Meinung, dass die Bundesregierung in der EU und in der NATO dieser Verantwortung nicht nachgekommen ist. Die Ausdehnung des Militärbündnisses NATO nach Osten, das bis an die Grenze Russlands reicht und Nachfolgestaaten der Sowjetunion einschließt, ist aus unserer Sicht kein Beitrag dazu, diese Verantwortung wahrzunehmen. Denn sie hat dazu beigetragen, eine Spaltung zu vertiefen, die zwischen Russland und einigen seiner Nachbarn ohnehin angelegt war. Auch das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine war in diesem Sinne schädlich, denn es verletzt wirtschaftliche Interessen Russlands und zerschlägt wirtschaftliche Beziehungen zwischen diesen Ländern.
Damit rechtfertigen wir nicht die Politik Russlands. Im Gegenteil: Die Annexion der Krim war völkerrechtswidrig, ist völkerrechtswidrig und bleibt völkerrechtswidrig. Uns geht es aber vor allem darum, was Deutschland zur Entspannung und zur Problemlösung beitragen könnte. Wir wollen die NATO-Osterweiterung stoppen und die NATO durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands ersetzen. (Das stand übrigens so ähnlich auch im Berliner Programm der SPD.) Die Aufrüstungsspirale an der Grenze zwischen NATO und Russland wollen wir stoppen und die Sanktionen der EU gegen Russland beenden. Damit wollen wir eine neue Entspannungspolitik einleiten und Gespräche ermöglichen. Das wäre sicher im Sinne einer politischen Lösung für die schlimme Situation im Osten der Ukraine. Am Abkommen von Minsk muss festgehalten werden. Seit über einem Jahr jedoch steht dessen Umsetzung faktisch still. Das ist gefährlich. Die Unterzeichner des Minsker Abkommens, Deutschland, Frankreich, Russland sowie die Ukraine, fordern wir auf, Minsk II neu zu beleben. Notwendig wäre ein Zeitplan für die ausgehandelte Roadmap, der exakt und verbindlich festschriebe, bis wann welcher Schritt kontrollierbar vollzogen sein müsste, darunter: Waffenruhe, Abzug der schweren Geschütze von der Demarkationslinie, Gefangenenaustausch und Einlösung der sozialen Verpflichtungen der Kiewer Regierung gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen von Donezk und Lugansk, darunter die Auszahlungen ihrer Renten. Das würde die Basis für Verhandlungen über eine neue Verfassung und Autonomierechte für die Regionen schaffen.
Die der LINKEN nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung unterhält übrigens ein Regionalbüro in Moskau und ein Verbindungsbüro in Kiew. Die Kollegen und Kolleginnen arbeiten dort mit Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zur Entspannung und Entmilitarisierung der Konflikte. Selbstverständlich arbeiten wir auch mit anderen Parteien zusammen, um Fortschritte auf diesem Weg zu erreichen. Wir tun dies bereits jetzt und stellen dabei fest, dass es in den anderen Parteien ganz unterschiedliche Konzeptionen gibt, was den Umgang mit Russland in der Ukraine-Frage und unser Verhältnis zu Russland und zur Ukraine ganz grundsätzlich betrifft. Wir werben dabei für den Standpunkt, dass nur eine auf Entspannung orientierte Politik zu einer politischen Lösung führen kann.
In diesem Sinne und mit freundlichen Grüßen,
Ihr Matthias W. Birkwald