Frage an Matthias W. Birkwald von Marco B. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Birkwald,
denken sie das ein Verbot etwas bezwecken würde? Die Nazis dürfen oft auf ihren Veranstaltungen machen was sie wollen unter den Augen der Polizei. Da sehe ich die ersten Probleme! Eine demokatische Auseinandersetzung mit der NPD und eine alternative die man den Menschen erschliessen muss die sich von den Nationalsozialisten angesprochen fühlen auch wenn dieser Gesammte Prozess schwierig ist!
Ein Verbot hat doch nur die Stärkung dieser Bewegung zur Folge, da man sich nicht mit ihnen auseinander setzt sondern es einfach nur nicht wahr haben will!
Dies ist zwar keine direkte Frage aber sie können gerne darauf Antworten.
MFG,
Marco Bodenstein
Sehr geehrter Herr Bodenstein,
haben Sie vielen Dank für Ihre ausgesprochen schwierige Frage. Meine Meinungsbildung zum NPD-Verbot hat in den vergangen Jahren so lange gedauert, wie sonst nur selten bei politischen Fragen. Ihre Argumente sind stichhaltig und die Meinungsfreiheit liegt mir ausgesprochen am Herzen. Das gilt auch für die Demonstrationsfreiheit und selbstverständlich auch für Meinungen, die ich nicht teile oder gar kämpferisch ablehne. Auch das Parteienprivileg und vor allem das demokratische Mehrparteiensystem gebietet es, in einer pluralistischen Gesellschaft mit dem Instrument des Parteienverbotes sehr zurückhaltend umzugehen. In der Vergangenheit wurden zudem mit diesem Instrument auch unliebsame linke Parteien, wie z.B. die KPD im Jahre 1956, verboten. Von daher können Sie sich sicher sein, dass ich es mir in dieser Frage nicht leicht gemacht habe. Aber es gibt auch zahlreiche Argumente, die für ein Verbot der NPD sprechen. Meines Erachtens überwiegen sie, wenn auch nur knapp. Was meine ich? Fremdenhass, Faschismus, Antisemitismus, Rassismus und Homophobie richten sich gegen die Fundamente einer demokratischen Gesellschaft. Sie leugnen das Prinzip demokratischer Gleichheit und propagieren Lösungen auf Kosten von Schwächeren und Minderheiten. DIE LINKE – und ich als LINKER Kandidat - fordern, rechtsextreme Gewalt zu ächten, staatlich zu verfolgen und konsequent zu ahnden. Dagegen muss bürgerschaftliches Engagement gegen rechtsextreme Gewalt anerkannt und gefördert werden. Es sollte eine unabhängige Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus eingerichtet und die Beobachtung von NPD und Nazistrukturen nicht allein dem Verfassungsschutz überlassen werden. Wichtig sind in unseren und meinen Augen auch mobile Beratungsteams und Exit-Angebote sowie eine entsprechende Bildungsarbeit in Schule, Ausbildung und Politik. Ja, meine Partei, DIE LINKE, und ich fordern ein Verbot der NPD und eine offensive gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, weil gilt: Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen, das im vergangenen Jahrhundert mehr als 55 Millionen Tote gefordert hat.
Hinzu kommt: Neofaschismus und Gewalt von rechts sind ein Dauerproblem und werden seit einigen Jahren von einer zunehmenden, vor allem auf kommunaler Ebene stabilen, parlamentarischen Präsenz rechtsextremistischer Parteien begleitet. Darunter ist die NPD mit etwa 150 kommunalen Mandatsträgern die erfolgreichste. Ein NPD-Verbot wird seit langem von großen Teilen der antifaschistischen Bewegung und der LINKEN, der SPD und von Teilen der Grünen gefordert. Lange tat ich mich damit schwer, nun nicht mehr, denn der demokratische Konsens ist in dieser Frage sehr deutlich. Im Jahre 2002 scheiterte zwar ein Verbotsantrag der Regierung (SPD/Grüne) vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Verfassungsschutzämter waren damals nicht - und sind es bis heute nicht - bereit, ihre Verbindungsleute in der NPD abzuschalten. Angeblich ist ihre Arbeit aus Sicherheitsgründen in den rechtsextremistischen Organisationen unverzichtbar. Folglich konnte das Gericht nicht entscheiden, ob es über originäre NPD-Aussagen urteilt oder über die Aussagen von V-Leuten des Staates, die oft auf Führungsebene tätig und für Propaganda und Aktionen der Partei zuständig sind. Das Bundesverfassungsgericht hat dann auch unmissverständlich klar gemacht, dass unter diesen Bedingungen ein neuerlicher Verbotsantrag keinerlei Aussicht auf Erfolg haben kann. Das muss aber nicht so bleiben.
Für ein NPD Verbot gibt es darum aus meiner Sicht vor allem zwei Gründe: Der Staat darf nicht neutral sein, wenn eine Partei das Lebensrecht anderer bestreitet, nationalsozialistisches Gedankengut wieder belebt und die Demokratie abschaffen will. Und es ist nicht zu akzeptieren, dass eine rechtsextremistische, rassistische und antisemitische Partei von der gesetzlich vorgesehenen Parteifinanzierung profitiert. Im Jahr 2006 waren immerhin 45 Prozent des NPD-Haushalts staatliche Gelder (Wahlkampfkostenerstattung v.a.). Versuche aus den Reihen der Regierungsparteien, immer wieder die Verbotsfrage aufzuwerfen, sind kein ernsthafter Beitrag zur Auseinandersetzung mit der NPD, so lange nicht die Verfassungsschutz-Mitarbeiter zurückgezogen worden sind.
DIE LINKE unterstützt ein Verbot der NPD. Aber zuallererst müssen die Bund und Länder die grundlegenden Voraussetzungen schaffen, damit ein Verbot überhaupt ernsthaft geprüft werden kann: die V-Leute der Verfassungsschutzämter innerhalb der NPD müssen abgeschaltet werden. Ganz wichtig ist mir folgendes: Für DIE LINKE und mich ist ein Verbotsverfahren keine Ersatzhandlung für die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Neofaschismus, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Mit einem NPD-Verbot wären sie nicht aus der Welt, da haben Sie völlig Recht. Entscheidend ist daher, dass die staatlichen Mittel zur Förderung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus deutlich erhöht und vor allem verstetigt werden. Das reicht von Opferschutz über Schulung demokratischer KommunalpolitikerInnen bis hin zu (Aus-)Bildungs- und Lehrinhalten. Beobachtung, Analyse und Kampf gegen Rechtsextremismus sind keine Spezialaufgabe des geheim arbeitenden Verfassungsschutzes. Die dürftigen Ergebnisse, die weit hinter der Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit der antifaschistischen Initiativen zurückbleiben, rechtfertigen diese Sonderstellung des Verfassungsschutzes nicht. Wie schon oben gesagt, fordern wir darum eine unabhängige Beobachtungsstelle, die die Entwicklung der extremen Rechten beobachtet, analysiert und bewertet und ihre Ergebnisse laufend der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.
Mit freundlichen und abwägenden Grüßen,
Ihr Matthias W. Birkwald