Frage an Mathias Stein von Daniela B. bezüglich Recht
Wie kann man einem "Barrierefreiheitsstärkungsgesetz", das das Papier nicht wert ist, auf dem es geschrieben wurde, zustimmen? Bei dem Menschen mit Behinderung nach wie vor nicht wählen können, in welches Restaurant, in welches Geschäft, zu welchem Arzt sie gehen möchten, sondern die Beschaffenheit des Eingangs es ihnen vorschreibt? Warum verpflichtet man nicht ENDLICH die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit?
Viele Grüße
Daniela B.
Sehr geehrte Frau Bieler,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz“ (BFSG) die ich als Ihr SPD-Bundestagsabgeordneter für Kiel, Altenholz und Kronshagen natürlich gern beantworte.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden von vielen Betroffenenverbänden und engagierten Einzelpersonen wie Ihnen immer wieder darauf hingewiesen, dass das alltäglicher Leben vieler Menschen mit Behinderung durch zahlreiche bauliche Barrieren in und um Gebäuden behindert wird. Auch wenn wir uns der hohen Bedeutung des Themas für viele Menschen bewusst sind, ist unser Einfluss an dieser Stelle aber leider sehr begrenzt. Vorschriften, auf welche Art und Weise Gebäude ausgestaltet sein müssen, sind in den jeweiligen Bauordnungen der Bundesländer festgeschrieben. Gemäß der föderalen Kompetenzverteilung in Deutschland können wir als Bundesgesetzgeber hier nicht eigenständig aktiv werden.
Die einzelnen Bundesländer sind hier in den vergangenen Jahren aber durchaus tätig geworden und haben die Belange von Menschen mit Behinderungen in ihren Bauordnungen stärker berücksichtigt. Neu eingeführte Vorschriften zur Barrierefreiheit gelten allerdings nur für Neubauprojekte oder bei einer grundlegend anderen Nutzung von alten Gebäuden. Für ältere Bauwerke besteht zunächst Bestandsschutz, die Eigentümer können nicht dazu verpflichtet werden, ihre Gebäude barrierefrei umzubauen.
In den Bereichen, in denen wir als Bundesgesetzgeber handeln können, waren wir jedoch aktiv. So wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche Gebäude von Bundesverwaltungen oder Bahnhöfe der Deutschen Bahn barrierefrei umgestaltet. Auch Privatpersonen werden beim barrierefreien Umbau ihrer Wohnung von der bundeseigenen Förderbank „KfW“ finanziell unterstützt. Die Probleme, die bei einem nachträglichen barrierefreien Umbau von Gebäuden auftreten, haben uns gezeigt, wie wichtig es ist, Barrierefreiheit so früh wie möglich mitzudenken.
Durch die Coronapandemie wurde uns allen noch einmal sehr deutlich gemacht, welche überragende Bedeutung der digitale Raum für das öffentliche Leben spielt. Ähnlich wie im analogen Raum stoßen Menschen mit Behinderung auch hier regelmäßig auf Barrieren, die ihrer uneingeschränkten Teilhabe im Wege stehen. Genau hier setzt das von Ihnen kritisierte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) an, das wir am 20.Mai 2021 verabschiedetet haben.
Dabei war es uns sehr wichtig, mit dem BFSG die Messlatte für eine barrierefreie Nutzbarkeit von elektronischen Geräten, Webseiten oder digitalen Dienstleistungen möglichst hoch anzusetzen. Damit verhindern wir, dass sich die in der Vergangenheit bei der Gestaltung des „analogen“ Raumes gemachten Versäumnisse in der digitalen Welt wiederholen. Der Anwendungsbereich des Gesetzes umfasst dabei zum Beispiel Produkte wie Computer, Smartphones, Tablets, Zahlungsterminals, Geld-, Fahrausweis- und Check-In-Automaten, Selbstbedienungskassen, Router, Fernseher oder auch E-Book-Lesegeräte. Im Bereich der Online-Dienstleistungen werden unter anderem Internetbrowser, Suchmaschinen, Online-Handel, Internettelefonie, Online-Banking und E-Books erfasst.
Unser Ziel als SPD-Bundestagsfraktion ist es, nicht nur die bereits bestehenden Barrieren für Menschen mit Behinderung abzubauen, sondern auch das Entstehen von neuen Barrieren zu verhindern. Deshalb haben wir in den Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner vehement darauf gepocht, das BFSG noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Auch wir sind mit dem neuen Gesetz nicht vollständig zufrieden, da es unter anderem lange Übergangsfristen beinhaltet (zum Beispiel bei der barrierefreien Umstellung von Geld- oder Fahrscheinautomaten). Wir mussten hierbei jedoch Rücksicht auf unseren Koalitionspartner CDU/CSU nehmen, die hier - wie leider bei vielen fortschrittlichen Gesetzesvorhaben - massiv auf die Bremse getreten haben. Insgesamt sind wir als SPD-Bundestagsfraktion aber durchaus zufrieden mit dem BFSG, da wir damit dem Ziel einer barrierefreien digitalen Welt ein ganzes Stück näherkommen.
Auch wenn wir aus den eingangs beschriebenen Gründen durch das BFSG leider keinen Einfluss auf die bauliche Barrierefreiheit nehmen konnten, kann ich Ihnen ausdrücklich versichern, dass ein ambitioniertes Vorgehen auch in diesem Bereich ganz sicher nicht am Widerstand der SPD-Bundestagsfraktion scheitern wird. Dafür wäre allerdings nicht nur ein umfangreicher Abstimmungsprozess mit allen Bundesländern erforderlich, sondern auch ein Koalitionspartner, der die Profitinteressen der Privatwirtschaft weniger vehement verteidigt, als es CDU/CSU derzeit tun. Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden uns auch in der nächsten Legislaturperiode für eine inklusive Gesellschaft und den Abbau von Barrieren engagieren.
Mit freundlichen Grüßen
Mathias Stein