Frage an Markus Kurth von Ralf V. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Markus Kurth,
ich bitte Sie freundlichst um die Beantwortung der folgenden Fragen. Die Sachverhalte wirken zwar primär eher speziell, bei näherem Hinsehen sollten Sie jedoch feststellen das die Thematik starke Brisanz besitzt. Denn: 1,2 Millionen professionell Pflegende sowie ca. 5 Millionen zu pflegende Menschen und deren Angehörige möchten wissen, welche Partei für sie wählbar ist!
Vielen Dank für Ihre Antworten vor Mitte September,
mit freundlichen Grüßen,
Ralf Vonier
• Wie sieht das Programm Ihrer Partei zum Umbau des
Gesundheitswesens aus?
• Welche Vorstellungen hat Ihre Partei zur Prävention
und Gesundheitsförderung entwickelt und in welcher
Rolle sehen Sie die professionelle Pflege?
• Wie stellt sich Ihre Partei die Steuerungs- und Lotsenfunktion
professioneller Pflege vor?
• Wie kann Ihrer Meinung nach rechtzeitige pflegerische
Intervention erhebliche Kosten im Gesundheitswesen
einsparen?
• Wie will Ihre Partei die Personalsituation von Pflegenden
und Mitarbeitern im Gesundheitswesen verbessern?
• Bestehen in Ihrer Partei konkrete Überlegungen, dieses
Wachstumspotential gezielt zu nutzen und Fördermittel
in den Arbeitsmarkt Pflege umzuleiten?
• Welche Möglichkeiten sieht Ihre Partei, dass sich die
Personalbemessungen in allen Handlungsfeldern der
Pflege zukünftig am realen Pflegebedarf der zu versorgenden
Klienten orientiert?
Wie steht Ihre Partei zum Erhalt
der Fachkraftquote von 50
Prozent und wie wollen Sie die Versorgungsmängel
beheben?
• Welche Pläne hat Ihre Partei zur weiteren Finanzierung
der Pflegeversicherung?
• Wie steht Ihre Partei zu einer möglichen Erweiterung
der Begutachtungskriterien zur Einstufung der Pflegebedürftigkeit
um psychosoziale Hilfebedarfe?
• Welche Steuerungsmöglichkeiten sieht Ihre Partei, um
den sinnvollen Grundsatz "Ambulant vor Stationär"
konkret zu fördern?
• Wie steht Ihre Partei zur Hospizarbeit und zu Fragen
der finanziellen Absicherung?
• Sieht Ihre Partei Chancen, die Regelung der Arbeitsplatzsicherung
in der Zeit der Begleitung sterbender
Angehöriger auch in Deutschland einzuführen?
• Wie steht Ihre Partei zur strukturellen Zusammenführung
der Pflegeausbildungen?
• Wie planen Sie die Evaluationsergebnisse von Modellprojekten
der Ausbildung in die gesetzliche Berufszulassung
umzusetzen?
• Wie steht Ihre Partei zur Verlagerung der bisherigen
Pflegeausbildung an Hochschulen, wie dies in den
meisten europäischen Ländern bereits heute üblich
ist?
• Mit welchen Maßnahmen will Ihre
Partei dem absehbaren
Pflegepersonalnotstand und der Unterversorgung der
Pflegebedürftigen in Deutschland entgegenwirken?
• Welche Anforderungen stellt Ihre Partei an professionelle
Pflege und wie soll diese finanziell durch Fort und
Weiterbildungen sichergestellt werden?
• Mit welchen Maßnahmen will Ihre Partei Hochschulen
und Praxisfelder der Pflegeforschung fördern und die
Umsetzung in die Pflegepraxis unterstützen?
• Werden Sie einen Ausbau der Forschungskapazitäten
für Pflege an Universitäten fördern?
• Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese Ansätze zu unterstützen
und wie fördert Ihre Partei die Schaffung
der Rahmenbedingungen für die professionelle Umsetzung
in die Pflegepraxis?
• Wird Ihre Partei weiterhin unqualifizierte und unkontrollierte
Pflege zulassen?
• Wie steht Ihre Partei zu der gesetzlichen Registrierung
und Lizenzierung von Pflegenden?
• Wird Ihre Partei die Errichtung von Pflegekammern in
Deutschland unterstützen?
• Könnten Sie sich vorstellen, eine/einen Bundesbeauftragten
für alle Pflegeberufe zu etablieren?
Sehr geehrter Herr Vonier,
nachfolgend möchte ich auf Ihren umfangreichen Fragenkatalog antworten:
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist ein leistungsfähiges und in der Bevölkerung breit akzeptiertes Sozialsystem. Die Einkommensabhängigkeit der Beiträge - und der damit verbundene Solidarausgleich zwischen höheren und niedrigeren Einkommen - steht für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und sorgt für die Teilhabe aller am medizinischen Fortschritt. Wir wollen die GKV erhalten und fortentwickeln. Reformmodelle, die auf die Zerschlagung der solidarischen Krankenversicherung hinauslaufen und ihre Privatisierung vorsehen, lehnen wir strikt ab. <>
Damit die GKV trotz steigender Anforderungen leistungsfähig bleibt, ist eine Reform ihrer Finanzierungsseite erforderlich. Durch ihre Weiterentwicklung zu einer Bürgerversicherung wollen wir ihr eine nachhaltigere Finanzierungsgrundlage geben, sie effizienter machen und bestehende Gerechtigkeitslücken schließen.
Konkret streben wir eine Ausweitung der Versicherungspflicht auf alle Bürgerinnen und Bürger an. Dass bisher ausgerechnet die Bevölkerungsgruppen mit den höchsten Einkommen und der durchschnittlich auch besten Gesundheit nicht an der Finanzierung der solidarischen Krankenversicherung beteiligt sind, halten wir für falsch. Außerdem wollen wir die Beitragspflicht auf alle Einkunftsarten ausweiten. Bisher müssen die ganzen Solidarlasten nur über die Erwerbseinkommen finanziert werden. Steigende Beiträge und zu hohe Lohnnebenkosten sind die Folge. Durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage würden auch die Einkunftsarten in die Finanzierung einbezogen, deren Anteil am Sozialprodukt wächst. An der paritätischen Finanzierung der Beiträge auf Erwerbseinkommen halten wir fest.
Die mit der Gesundheitsreform eingeführten Zuzahlungsregelungen halten wir grundsätzlich für richtig. Finanzielle Selbstbeteiligungen der Patientinnen und Patienten helfen, den steigenden Anforderungen an unser Gesundheitswesen durch eine älter werdende Bevölkerung und den medizinischen Fortschritt zu begegnen. Die Alternativen dazu wären entweder die Rationierung medizinisch notwendiger Gesundheitsleistungen oder ständig steigende Beitragssätze mit schädlichen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Beides ist aber nicht akzeptabel. Zudem sie einen Anreiz bieten, mit den Ressourcen des Gesundheitswesens verantwortlich umzugehen.
Allerdings hat die Praxis gezeigt, dass einzelne Gruppen durch die Zuzahlungen besonders belastet werden und bisweilen von einer rechtzeitigen Aufnahme der medizinischen Behandlung abgehalten werden. Wir wollen deshalb die Zuzahlungen für Bezieherinnen und Bezieher von Sozialgeld und Altersgrundsicherung abschaffen.
Darüber hinaus sind aber auch weitere Strukturveränderungen in unserem Gesundheitswesen erforderlich. Für besonders wichtig halten wir dabei, dass mehr Zusammenarbeit auch über Sektorengrenzen hinweg stattfindet. Dies ist auch deshalb wichtig, weil die Zahl chronisch und mehrfach Erkrankter, die gut aufeinander abgestimmte Versorgungsketten benötigen, weiter wachsen wird. Mit der Gesundheitsreform 2004 haben wir die Rahmenbedingungen für mehr Zusammenarbeit in unserem Gesundheitswesen deutlich verbessert. Durch die Förderung der Integrationsversorgung, die Verbreitung von Hausarztsystemen und die Zulassung von medizinischen Versorgungszentren zur Regelversorgung, haben wir wichtige Impulse für die Weiterentwicklung kooperativer Versorgungsstrukturen gesetzt. Diesen Weg wollen wir weiter verfolgen.
Einen weiteren Schwerpunkt wollen wir auf die Prävention liegen. Wir werden unser Ziel weiter verfolgen, die Prävention neben der Akutmedizin, der Rehabilitation und der Pflege zu einer eigenständigen Säule unseres Gesundheitswesens zu machen. Eine gute Gesundheitspolitik setzt ein, bevor Krankheiten beginnen. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass Prävention und Gesundheitsförderung endlich eine gesetzliche Grundlage erhalten.
Wir wollen Prävention und Gesundheitsförderung als eigenständige Säule im Gesundheitswesen verankern, weil wir überzeugt davon sind, dass darüber Wohlbefinden gesteigert, Erkrankungen und demzufolge hohe Folgekosten reduziert werden können. Wichtig sind uns vor allem lebensweltbezogene Programme, mit denen sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen erreicht werden können. Hier liegen signifikant höhere Erkrankungs- und Sterblichkeitsrisiken vor:
Ziel von Pflegepolitik muss es auch sein, die Ressourcen und Potenziale der Versicherten für eine möglichst eigenständige Lebensführung so lange wie möglich zu erhalten, zu fördern, wiederherzustellen. Gesundheitsförderung, Prävention, Rehabilitation und soziale Begleitung - auch zuhause - sind durch entsprechende Anreize und durch die bessere Verknüpfung der Pflegeversicherung mit anderen gesetzlichen Leistungsbereichen zu stärken. Eine wirkungsvolle Verzahnung ist bspw. über die Anwendung der integrierten Versorgung auf die Bereiche Häusliche Krankenpflege und die Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung möglich.
Professionell Pflegende haben alltagsnahe Kontakte zu den betroffenen Menschen und verfügen deshalb über ein hohes Potential, präventiv, gesundheitsförderlich und rehabilitativ tätig zu sein. Zentrale pflegerische Aufgaben sind hierbei: Patientenedukation und Beratung, emotionale Unterstützung und Motivation bei Krankheitsanpassung und Verhaltensänderungen, Unterstützung zur Herstellung von Versorgungskontinuität, Anwendung und Vermittlung aktivierender und rehabiliativer Techniken in der körperbezogenen und therapeutischen Pflege. Während sich die zuletzt genannten Aufgaben vor allem auf den Umgang mit Patienten mit chronischen Erkrankungen beziehen, haben professionell Pflegende zusätzlich eine Multiplikatorenfunktion, indem sie im Rahmen ihrer Kontakte zu Patienten auf die vielfältigen Angebote von Prävention und Gesundheitsförderung in verschiedenen Lebensbereichen hinweisen.
Das Anforderungsprofil der professionellen Pflege wird sich rapide verändern und ausdifferenzieren. Koordinierende und beratende Tätigkeiten im Sinne von Case-Management und die Verlagerung von Aufgaben aus der klinischen Pflege auf teilstationäre, ambulante Tätigkeiten werden erheblich zunehmen. Case-Management hat vor allem die Funktion, die Realisierung eines individuellen Hilfe-Mixes aus professionellen und nichtprofessionellen Angeboten zu unterstützen.
Wir treten ein für den Ausbau von niedrigschwelligen Pflege- und Wohnberatungsangeboten. Die unabhängige Pflegeberatung soll vor allem zur Entlastung von pflegenden Angehörigen beitragen. Informationen zu den professionellen Angeboten von Hilfe und Pflege müssen breiter zugänglich gemacht werden. Aufgaben im Rahmen der integrierten Versorgung und bei der Koordination von Gesundheits- und Pflegeangeboten sowie Hilfen bei der Bewältigung des Alltags sind multiprofessionelle Tätigkeiten.
Mit der Modernisierung des Krankenpflegegesetzes wurde unter grüner Regierungsbeteiligung ein erster notwendiger Schritt getan, um die Ausbildung an die neuen Anforderungen anzupassen. Für die Auszubildenden bedeutet dies zum Beispiel, dass die praktische Ausbildung verstärkt auch im ambulanten und teilstationären Bereich erbracht wird. Denn die professionelle Pflege wird immer weniger auf die stationäre Behandlung im Krankenhaus begrenzt sein. Präventive Hausbesuche dienen der Erhaltung der Selbstständigkeit und der Vermeidung von Pflegebedürftigkeit bei älteren, noch selbstständigen Menschen mit Hilfe eines multidimensionalen Assessments und wiederholter risikoorientierter individueller Beratung. In einer Reihe von Ländern wurden bereits positive Erfahrungen mit dem Instrument gemacht. Allerdings verfügen diese Länder flächendeckend über ein staatliches Gesundheitswesen. Bei einer Regeleinführung in Deutschland würden Ausgaben in Höhe von mehreren Milliarden Euro entstehen. Deshalb teilen wir die Empfehlung des Deutschen Forums für Prävention und Gesundheitsförderung, das einen Klärungsbedarf vor Implementierung in die Regelversorgung vorschlägt. Faktoren, wie die Definition der konkreten Zielgruppe, Umfang, Art und Qualifikation der beteiligten Fachkräfte, sind in evaluierten Modellprogrammen genauer zu bestimmen. Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) führt im Auftrag der Bosch-Stiftung eine solche Evaluation durch, die 2007 abgeschlossen sein wird.
Beim präventiven Hausbesuch ist die Beteiligung von dafür qualifizierten Pflegekräften sinnvoll, die Einbeziehung von Hausärzten hat sich nach bisher vorliegenden Studien als wichtige Voraussetzung für den Zugang zur Zielgruppe erwiesen. Kürzlich wurden mehrere Modellprojekte unter dem Titel "Gesund in der zweiten Lebenshälfte" mit dem Deutschen Präventionspreis 2005 geehrt. Wir werden nach Vorliegen weiterer Ergebnisse die Einführung von Modellen in die Regelversorgung unterstützen, die ein sinnvolles Verhältnis von Kosten und Nutzen nachweisen können.
Eine im Detail einheitliche Lösung wird in unserer föderalen Ordnung aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Vorgaben, organisatorischer Zuständigkeiten und finanzieller Handlungsspielräume kaum möglich sein. Unsere Reformpläne zur Pflegeversicherung (s.u.) zielen unter anderem darauf ab, die Finanzierungsgrundlage für die Pflege zu erweitern und damit auch die fiskalischen Rahmenbedingungen für Pflegende und Pflegedienstleister zu verbessern. Mit der unter grüner Regierungsbeteiligung erfolgten Umfinanzierung im Krankenhausbereich auf DRGs wurde die gedeckelte Budgetfinanzierung beendet. Nun gilt: Gleiches Geld für gleiche Leistung. Davon werden viele Kliniken profitieren, es werden stärkere Anreize für mehr Effizienz und Transparenz geschaffen. Eng mit der Frage hängen aber auch die Konzepte zu den beruflichen Grundlagen ab
Die Gesundheitswirtschaft ist mit etwa 4 Millionen Beschäftigten der größte deutsche "Arbeitgeber" und unbestritten ein Riesen-Wachstumsmarkt, auf dem zukünftig hunderttausende neuer Arbeitsplätze entstehen werden. Der demografische Wandel, der medizinischer und medizinisch-technische Fortschritt sowie die steigende Bereitschaft der Menschen, in ihre Gesundheit und Lebensqualität zu investieren, sprechen für Prosperität. Im Bereich der Pflege sind seit Einführung der Pflegeversicherung bereits über 200.000 Arbeitsplätze neu entstanden. Durch den weiteren Ausbau der Pflegeinfrastruktur bestehen immense Beschäftigungspotentiale vor allem bei pflegebegleitenden und haushaltsnahen Dienstleistungen.
Mit den Instrumenten RAI oder LEP stehen im Ausland bereits erprobte Personalbemessungsinstrumente zur Verfügung, die ein objektives und transparentes Verfahren zur Personalbemessung ermöglichen könnten. Diese müssten in pflegewissenschaftlicher Forschung für die Anwendung hierzulande hinreichend empirisch abgesichert werden.
Darüber hinaus fordern wir seit längerer Zeit eine Struktur- und Finanzreform der Pflegeversicherung. Die Leistungen müssen dynamisiert werden; dazu ist eine regelmäßige Anpassung der Leistungssätze an die allgemeine Preis- und Lohnentwicklung erforderlich.
Es müssen außerdem zeitgemäße Arbeitszeit- und Arbeitsorganisationsmodelle eingesetzt werden, die die Zufriedenheit der Pflegebedürftigen und der professionell Pflegenden verbessern. Wir bewerten die Fachkraftquote als Mindestquote, deren Ausgestaltung nach Art und Umfang der Pflege flexibel sein muss. Damit die Fachkraftquote den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen mehr entspricht, sind multiprofessionelle Teams erforderlich, die aus pflegerischen, hauswirtschaftlichen, therapeutischen und sozialpädagogischen Berufen bestehen. Der sich ändernde Pflegebedarf wird verstärkt die Frage aufwerfen: Wann ist eine Fachkraft eine Fachkraft? Dies macht eine stärkere Ausdifferenzierung notwendig.
Keine andere Partei hat in der Vergangenheit so auf eine Reform der Sozialen Pflegeversicherung gedrängt und tut dies in ihrem Wahlprogramm so deutlich wie wir GRÜNE. Wir wollen die Pflegeversicherung schnellstmöglich finanziell wie strukturell weiterentwickeln und, wie auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung, als solidarische Bürgerversicherung ausrichten. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen sich gleichermaßen nach ihrer Leistungsfähigkeit an der Finanzierung der Pflege beteiligen. Die Bürgerversicherung ist jedoch kein Allheilmittel. Angesichts der Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft, sind ergänzende Maßnahmen erforderlich, um auf die steigenden Pflegekosten reagieren zu können. Dabei sind verschiedene Formen der Ausgestaltung denkbar, zum Beispiel als individuelle Zusatzversicherung, als gemeinschaftliche Demografiereserve oder auch als Teil der privaten Altersvorsorge ("Pflege-Riester"). Die Pflegeversicherung wird auch als Bürgerversicherung eine Teilkasko-Versicherung bleiben. Allerdings sind die gedeckelten Leistungssätze (Pflegestufen) seit Bestehen der Pflegeversicherung konstant geblieben, so dass sie im Verhältnis zur Preisentwicklung einen Realwertverlust erleiden. Wir wollen deshalb die Leistungssätze regelmäßig dynamisieren, das heißt mindestens der Preisentwicklung anpassen.
Die psychosoziale Betreuung von Menschen mit Hilfe und Pflegebedarf ist eine bedeutsame Aufgabe der Pflege. Der somatische und verrichtungsbezogene Pflegebegriff nach dem SGB XI trägt zu einem verengten Verständnis von Pflege bei und verhindert die Einbeziehung der psychosozialen Bedürfnisse von pflegebedürftigen Menschen. Dieser Mangel ist besonders gravierend angesichts des höheren Beaufsichtigungsbedarfs von Menschen mit einer Demenzerkrankung, mit einer geistigen oder psychischen Behinderung.
Als ersten Schritt schlagen wir einen Zuschlag von 30 Minuten für den
genannten Personenkreis vor, der im Rahmen der Einstufung zur Anwendung
kommen soll. Für viele Leistungsberechtigte würde dies eine höhere oder
erstmalig überhaupt eine Pflegestufe bedeuten. Mittelfristig brauchen
wir einen überarbeiteten Pflegebegriff und damit verbunden ein
Begutachtungsverfahren (Assessment), welches ganzheitlich den realen
Pflegebedarf abbildet. Wir setzen uns verstärkt für Modellprojekte zur
Weiterentwicklung von verwendbaren Assessmentverfahren ein, die im Sinne
von Case-Management eine Einstufung erlauben und auch Ausgangspunkt für
die Beratung eines geeigneten Pflege- und Hilfemixes sind.
Der unter anderem im SGB XI ausgewiesene Vorrang ambulanter vor stationärer Pflege muss auch in der Refinanzierung durch die Pflegeversicherung zum Ausdruck kommen. Wir schlagen deshalb eine allmähliche Angleichung der bisher unterschiedlichen ambulanten und stationären Leistungssätze vor.
Pflegebedürftige Menschen haben in aller Regel den Wunsch, so lange wie möglich in einer eigenen Häuslichkeit zu leben. Diesen Wunsch nach maximaler Selbstbestimmung und Selbständigkeit nehmen wir sehr ernst. Unser Ziel ist ein individueller Pflege- und Hilfemix. Deshalb wollen wir auch alternative Neue Wohnformen stärken, wie zum Beispiel Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz. Dazu muss auch eine unabhängige Wohn- und Pflegeberatung gefördert und das Heimgesetz überarbeitet werden. Eine umfassende Pflegreform muss auch auf eine bessere Unterstützung der pflegenden Angehörigen abzielen, um sie vor Überforderung und negativen gesundheitlichen Folgen zu schützen. Dabei ist zu beachten, dass die unentgeltliche Pflege bisher überwiegend von Frauen geleistet wird. Neben den o.g. Leistungsverbesserungen zählt dazu vor allem die Schaffung bzw. Optimierung von (trägerunabhängigen) Beratungsangeboten. Ein weiterer Schritt ist der Ausbau insbesondere kommunaler Netzwerke, um professionelle, ehrenamtliche und familiäre Hilfen besser miteinander in Einklang zu bringen.*
*Die Schnittstellenprobleme zwischen dem SGB V und SGB XI, die zu
Abgrenzungs- und Verschiebesituationen führen, müssen beseitigt werden.
Wir wollen eine bessere Verzahnung zwischen medizinischer und
pflegerischer Leistungen erreichen. Dazu schlagen wir eine weitere
Präzisierung von trägerübergreifender Budgets und einen fließenden und
flexiblen Übergang der Finanzierung durch die Pflege- und Krankenkassen
im Rahmen der integrierten Versorgung vor. Auch die bereits geltenden
gesetzlichen Möglichkeiten des Vorrangs von Prävention und
Rehabilitation müssen im Rahmen der integrierten Versorgung und bei der
Novellierung des SGB XI besser als bisher eingelöst werden.
Das aktive Engagement der Hospizbewegung hat dazu beigetragen, dass in vielen Bundesländern, Städten und Gemeinden ein beachtenswertes Netz von Hilfen für die Sterbegleitung entstanden ist. Dabei sind in erheblichem Umfang ambulante Hospizdienste, stationäre Hospize sowie Beratungs- und Fortbildungsangebote für professionell Pflegende und für andere Berufsgruppen entstanden. Bündnis 90/Die Grünen werden sich auch weiterhin regional engagieren, um ein flächendeckendes Angebot ambulanter und stationärer palliativer Behandlung, psychosozialer Begleitung Sterbender und eine fachgerechte Schmerztherapie zu erreichen. <> Die Praxis der Sterbegleitung war und ist in vielen Initiativen der Bundesregierung Teilgegenstand von Forschungs- und Modellprojekten der Altenhilfe, bspw. in dem Programm "Altenhilfestrukturen der Zukunft", beim "Runden Tisch Pflege" oder in dem Forschungsprojekt "Praxis der Sterbegleitung in Sachsen".
Aufgrund der Alterung der Gesellschaft wird uns das Thema weiterhin begleiten. Wir werden insbesondere darauf achten, dass im Rahmen der Einführung der DRGs palliativmedizinische und palliativpflegerische Leistungen im klinischen Bereich ausreichend sicher gestellt sind. In der besonders wichtigen ambulanten Hospizarbeit treten wir für eine kontinuierliche Verbesserung der Kooperation und Vernetzung im Sinne einer ganzheitlichen und umfassenden Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen ein. Eine Pflegezeitregelung für die Begleitung sterbender Angehöriger ist eine von vielen Möglichkeiten zur Entlastung von Angehörigen in der häuslichen Versorgung. Da immer noch vorwiegend Frauen informell pflegen und vor allem sie es sind, die ihren Beruf zu Realisierung der oft langwierigen Pflege aufgeben, ist ein Gesamtkonzept bestehend aus vielen Bausteinen erforderlich. Pflegezeitregelungen analog zur Elternzeit können für Frauen auch erhebliche Nachteile auf dem ohnehin angespannten Arbeitsmarkt herbeiführen. Deshalb treten wir für vielfältige Lösungen ein. Dazu zählen insbesondere auch niedrigschwellige Beratungsangebote für pflegende Angehörige sowie die Möglichkeit, flexibler, schnell verfügbarer professioneller Dienstleistungsangebote zur Entlastung von Pflegenden. Wir benötigen in diesem Bereich eine Vielfalt von Möglichkeiten, um den unterschiedlichen Situationen und Bedürfnissen entsprechen zu können.
Eine große Rolle hat bei der Beratung des Krankenpflegegesetzes die Frage gespielt, ob eine generalistische Pflegeausbildung eingeführt werden sollte. Dabei geht es vor allem darum, Pflegefachkräfte so auszubilden, dass diese auch in anderen EU-Staaten problemlos arbeiten können. Letztendlich entschied sich der Gesetzgeber für die Beibehaltung des Spezialistentums in der Kinderkrankenpflege, um den Erfordernissen einer adäquaten Versorgung von Kindern gerecht zu werden. Verändert wurde jedoch im Hinblick auf die "Europatauglichkeit", dass die Ausbildung neben einer Differenzierungsphase auch gemeinsame Ausbildungsanteile enthalten. Die gefundene Regelung bedeutet aus Sicht der Grünen eine gute Weiterentwicklung der Krankenpflegeausbildung. Inwieweit es weitere gesetzliche Anpassungen geben muss, wird auch von den Ergebnissen der Modellprojekte abhängen, die ab 2007 vorliegen werden.
Die im Krankenpflegegesetz verankerte Modellklausel ermöglicht, dass die Länder Unterricht auch an Schulen vermitteln können, die nicht mit Krankenhäusern verbunden sein müssen. Außerdem können sie zu diesem Zweck auch von Ausbildungs- und Prüfverordnung abweichen. Diese zeitlich befristeten Erprobungen von Ausbildungsangeboten, die dazu dienen sollen, den Pflegeberufe unter Berücksichtigung der berufsfeldspezifischen Anforderungen weiterzuentwickeln, befürworten wir. Es ist eine Chance, Ausbildungsstrukturen zu erproben, um richtungsweisende Erkenntnisse für eine gemeinsame Ausbildung in der Pflege zu erhalten. Nach Vorliegen der Ergebnisse ist das derzeitige Krankenpflegegesetz auf Anpassungsbedarf hin zu überprüfen.
Für das Berufsfeld der Pflege ist auch ein akademischer Ausbildungszweig in Bezug auf die Entwicklung der Pflegewissenschaft und für Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung von Pflegefachkräften notwendig. Entsprechend sieht das Krankenpflegegesetz vor, dass Leitungs- und Lehrkräfte zukünftig im Rahmen einer Hochschulausbildung entsprechende pädagogische und fachliche Kenntnisse erworben haben müssen. Hochschulen sollten darin unterstützt werden, Bachelor-, Master- oder andere weiterführende Studiengänge einzurichten. Professionelle Pflege soll wissenschaftlich fundiert sein (evidence-based-nursing) und braucht daher wissenschaftlich gestützte Konzepte.
Daraus sollte jedoch nicht abgeleitet werden, dass alle beruflich Pflegenden eine akademische Ausbildung absolvieren müssen. Dieses exklusive Bild der Pflegeprofession scheint uns für die konkrete Pflegearbeit vor Ort wenig sinnvoll und auch nicht sachgerecht. Hier geht es um Praxisbezug und Umgang mit dem Menschen. Auch die von Ihnen angesprochenen europäischen Nachbarländern sehen stufenorientierte - und damit durchlässige - Differenzierungen vor.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist eine der größten Herausforderungen, den Berufsnachwuchs sicherzustellen. Trotz des wachsenden Bedarfs an Pflege- und Betreuungsleistungen entscheiden sich derzeit zu wenige Menschen für einen Beruf in der Pflege. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Fehlende Aufstiegsmöglichkeiten, Überforderung im Arbeitsalltag etc. Diese Punkte müssen in einem gemeinsamen gesellschaftlichen "Kraftakt" angegangen werden. Ein attraktiveres Berufsbild Pflege kann nur durch das Zusammenwirken verschiedenster Maßnahmen entstehen. Hier sind einzelne Klinikbetreiber und Pflegedienste ebenso gefordert wie der Gesetzgeber auf Landes- und Bundesebene.
Da aufgrund der Veränderungen im Bereich der "informellen" Pflege auch verstärkt Aufgabenprofile entstehen, die eher in den Bereich der Betreuung im karitativen Sinn fallen, geht es neben einer guten Erstausbildung auch um niedrigschwellige Ausbildungsangebote für Arbeitsbereiche, die nicht unbedingt von einer Pflegefachkraft ausgeführt werden müssen. Deshalb begrüßen wir, dass in immer mehr Bundesländern die Ausbildung zu Gesundheits- und Krankenpflegehelfern und -helferinnen nach Landesrecht möglich sein soll. Die Zahl der Ausbildungsplätze halten wir allerdings aufgrund des hohen Bedarfs an Pflegekräften für zu gering.
Seit Januar 2005 ist mit der endgültigen Einführung des Fallpauschalensystems (DRG´s) in deutschen Krankenhäusern auch die Ausbildungsfinanzierung neu geregelt. Mit der Einführung der DRGs wurde die überfällige wettbewerbsneutrale Ausbildungsfinanzierung durch Ausgliederung der Ausbildungsbudgets sowie Einrichtung von Umlagefonds auf Landesebene ab 2006 realisiert.
Eine zentrale Herausforderung, der sich die Pflege wird stellen müssen, ist die Veränderung des Aufgaben- bzw. Anforderungsprofils. Die Pflege muss vor allem präventive, rehabilitative und palliative Maßnahmen stärker berücksichtigen. Darüber hinaus muss die Pflege fachlich und sozial-kommunikativ auf die Veränderung der Patientengruppen reagieren: Die Bedarfe werden sich aufgrund des immer unterschiedlicheren familiären, kulturellen und sozialen Hintergrunds zunehmend ausdifferenzieren. Des Weiteren hängt die Veränderung des Tätigkeitsprofils mit den aktuellen und zukünftigen Veränderungen der Strukturen des Gesundheitswesens zusammen. So wird die Pflege innerhalb der sich entwickelnden ambulanten und teilstationären Versorgungsangebote und der Arbeit in multidisziplinären Teams stärker als bisher beratend, unterstützend und koordinierend tätig werden können bzw. müssen. Dies geht mit einer steigenden individuellen Verantwortung einher.
Angesichts der beschriebenen Anforderungen brauchen wir ein hohes Erstausbildungs- und Weiterbildungsniveau der Pflegekräfte. Auf Bundesebene haben wir Grünen im letzten Jahr die Modernisierung des Krankenpflegegesetzes mit beschlossen. Aus unserer Sicht wurden damit erste notwendige Schritte getan, um die Ausbildung der Krankenpflegeberufe an die neuen Anforderungen in der Pflege anzupassen und attraktiver zu machen. Die im Krankenpflegegesetz ebenfalls verankerte Modellklausel ermöglicht, neue Ausbildungsstrukturen und -inhalte zu erproben. Die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung liegt im Verantwortungsbereich der Einrichtungsträger und wird durch Initiativen von Arbeitgebern und der Beschäftigten realisiert.
Die rot-grüne Bundesregierung hat bereits dazu beigetragen, die Grundlage für umfassende wissenschaftliche Untersuchungen zur Pflegeforschung zu legen. Beispielsweise wurden finanzielle Mittel für Förderung von Forschungsprojekten bereitgestellt, die sich mit der Ausarbeitung von Konzepten und Methoden für die Pflege kranker und hilfsbedürftiger Menschen befassen (u.a.: "Patientenorientierte Pflegekonzepte zur Optimierung der Bewältigung chronischer Krankheit", "Optimierung des Pflegeprozesses durch neue Steuerungsinstrumente"). Derzeit werden allein durch das BMFSFJ fünfzehn Forschungsvorhaben gefördert. Darüber hinaus fördern auch das BMGS und das BMBF Forschungsprojekte und Pflegeforschungsverbünde. Angesichts des weiter bestehenden Forschungsbedarfs in Theorie und Praxis wird dieser Weg von Bündnis 90/ Die Grünen auch in Zukunft unterstützt werden.
Rot-grün hat den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttonationaleinkommen gesteigert: 1997 lag es bei 2,3%, 2003 lag es bei über 2,5%. Im nächsten Jahr steigern wir die Mittel nochmals: durch einen überproportionalen Zuwachs steigt der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) um 3,2 Prozent auf 8,727 Milliarden Euro von 8,456 Milliarden Euro 2005. Bis 2011 stehen in der Exzellenzinitiative für die drei Förderlinien Graduiertenschulen, Exzellenznetzwerke und Spitzenuniversitäten 1,9 Milliarden Euro bereit. Der Bund trägt drei Viertel davon. Für den wissenschaftlichen Wettbewerb stellt das BMBF im kommenden Jahr 142,5 Millionen Euro zur Verfügung. Der Hochschulbau bleibt bei 925 Millionen Euro. Wir werden das 3%-Ziel konsequent weiterverfolgen, d.h. Bund und Länder müssen bis 2010 jährlich um 6,6 Prozent aufstocken. Dazu müssen wir Mittel umschichten und die Effizienz steigern. Das komplexe Instrument "Expertenstandard", welches der Qualitätssicherung in unterschiedlichen Anwendungsbereichen nutzen soll, kann nur die Grundlage für einen hausinternen Standard sein. Diesen zu erarbeiten bedarf es Fachwissen vor Ort. Empfohlen wird deshalb beispielsweise, innerhalb des Pflegeteams oder der Pflegeeinrichtung einen Beauftragten zu benennen, der sich über Weiterbildungen das notwendige Wissen aneignet und die Umsetzung und Einhaltung des Standards begleitet. Dies entspricht auch der Idee, die mit der Einführung der Pflegeversicherung und der Forderung nach Pflegestandards einherging.
Zentral für die zukünftige Weiterentwicklung der Pflegeversicherung ist, dass sich das Leistungsspektrum nicht nur quantitativ verändert, sondern sich vor allem stärker an den heterogenen Anforderungen der Pflegebedürftigen orientiert und auf gute Pflegeergebnisse abzielt. Die Orientierung im Pflegerecht auf Prozess- und Strukturqualität kann sich nicht vollständig bewähren, ohne auch die Ergebnisqualität stärker in den Blick zu nehmen. Die Verbesserung der Pflegequalität bewerten wir als eine kontinuierliche und nicht als eine einmalige Aufgabe. Qualitätssicherung ist insofern eine beständige Aufgabe, für die Einrichtungsträger regelmäßig sorgen müssen.
Von einigen Initiativen und Forschungsprojekten der Bundesregierung sind Vorschläge und Anregungen für die Praxis zu erwarten. So wurde mit dem Ziel, die Pflegequalität in der häuslichen Versorgung und in stationären Einrichtungen zu verbessern, durch das BMFSFJ und das BMGS der "Runde Tisch Pflege" ins Leben gerufen. Gemeinsam mit relevanten Vertreterinnen und Vertretern aus Berufsverbänden, Verbände der Anbieter und aus der Forschung wurden bedeutsame Problemfelder im Bereich der Pflege in vier Arbeitsgruppen bearbeitet. Zum Herbst 2005 werden praxisnahe Handlungsempfehlungen erwartet.
Im ambulanten Bereich wird mittelfristig das Persönliche Pflegebudget - nach erfolgreicher Erprobung - zu mehr Wettbewerb um Leistungsqualität führen. Da Auswahl und Kontrolle der Leistungen direkter durch den Betroffenen erfolgt, sind die Anbieter gehalten, sich auf den individuellen Bedarf der zu Pflegenden einzustellen. Das Image und Profil eines Anbieters kann davon erheblich profitieren, die Leistungspalette kann sich erweitern und verbessern.
Ein Großteil der häuslichen Pflegeleistungen wird nicht von professionellen Pflegenden erbracht, sondern von Laien, also Angehörigen und Freunden oder Bekannten. Eine umfassende Pflegereform, die wir Grüne seit langem nachdrücklich einfordern, muss deshalb auch auf eine bessere Unterstützung der (meist weiblichen) pflegenden Angehörigen abzielen, um sie vor Überforderung und den Pflegebedürftigen vor unsachgemäßer Versorgung zu schützen. Neben konkreten Leistungsverbesserungen im Rahmen der Sozialen Pflegeversicherung zählt dazu zum einen die Schaffung bzw. Optimierung von (trägerunabhängigen) Beratungsangeboten. Die unabhängige Information und Beratung für Pflegebedürftige und deren Angehörige ist eine wesentliche Voraussetzung, um einen Überblick über die örtlichen Angebote und auch die leistungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu erhalten. Erfolgreich umgesetzte Beispiele einer unabhängigen Beratung, die wir für notwendig halten, bestehen bereits in vielen Kommunen und Landkreisen. Dieses Angebot muss flächendeckend ausgebaut werden. Zum anderen setzen wir uns für den Ausbau insbesondere kommunaler Netzwerke ein, um professionelle, ehrenamtliche und familiäre Hilfen besser miteinander in Einklang zu bringen.
Der zu beobachtende Anstieg illegaler Pflegekräfte in der häuslichen Pflege ist aus unserer Sicht wie in jedem Beschäftigungsbereich inakzeptabel. Aus pflegepolitischer Sicht verstehen wir dieses Ausweichen auf billige ausländische Pflegekräfte jedoch auch als ein Signal, dass bezahlbare und flexible Dienstleistungen gerade im ambulanten Bereich entstehen müssen. Denn die Pflegebedürftigen bzw. die Angehörigen, die ausländische oder illegale Pflegekräfte beschäftigen, tun dies in der Regel aus einem Gefühl höchster privater Not. Oft handelt es sich um Betroffene mit schwerer Demenz, die ein Höchstmaß an allgemeiner Betreuung und Pflege(hilfe) bedürfen. Dahinter verbirgt sich nicht automatisch falsch verstandene "Sparsamkeit" oder mangelndes Interesse an qualitativ guter Pflege. Illegale Beschäftigung in der Pflege ist deshalb auch ein Resultat des in vielen Bereichen unzureichenden bzw. privat kaum zu finanzierenden Leistungsspektrums der Pflege(versicherung) sowie mangelhafter Informations- und Beratungsangebote. Auch aus diesem Grund setzen wir uns für eine umfassende Pflegereform ein.
Diese Frage hängt eng zusammen mit der Diskussion um die Einrichtung von Pflegekammern (s.u.). Grundsätzlich zu bedenken ist, ob die Vielzahl der verschiedenen pflegerischen Berufe und Qualifikationen die Ziele einer Lizenzierung und Registrierung von "Pflegenden" nicht infrage stellt. So würde eine Beschränkung auf die qualifizierten ausgebildeten Pflegekräfte beispielsweise die Mehrzahl der in der Altenpflege beschäftigten Helferinnen außen vor lassen. Zudem wäre die Heilerziehungspflege und damit der große Bereich der Behindertenpflege nicht berührt. Voraussetzung etwa einer Zertifizierung sollten aber u.E. einheitliche, gesetzlich abgesicherte Standards sein.
Die Idee einer umfassenden berufsständischen Vertretungs- und Organisationsform für die Pflege wird von Bündnis 90/ Die Grünen bereits seit den frühen 1990er Jahren positiv diskutiert. Eine Pflegekammer, die im Übrigen in Deutschland in die Länderzuständigkeit fiele, ist dabei eine der Ausgestaltungsoptionen, den Stellenwert der Pflege zu verbessern.
Aus unserer Sicht muss es dabei um eine gebündelte, stärkere Vertretung der Pflege und damit um mehr Professionalisierung und Eigenständigkeit gehen. Ob die bloße, gesetzlich induzierte Einrichtung einer Kammer dies löst, sehen wir skeptisch. Zudem beinhaltet das Konzept einer Kammer eine Pflichtmitgliedschaft, der wir GRÜNE grundsätzlich kritisch gegenüberstehen. Neben damit verbundenen zu klärenden verfassungsrechtlichen Fragen, kann nur der Berufsstand selbst klären, ob er eine Kammer oder ggf. andere Optionen für die geeignete Vertretungsform hält.
Dennoch halten wir es für sehr sinnvoll, diese Debatte konstruktiv fortzuführen.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen hat in der 15. Wahlperiode eine Vorreiterrolle eingenommen und erstmals die Funktion einer Pflegepolitischen Sprecherin eingerichtet, die mit der Bundestagsabgeordneten Petra Selg besetzt wurde. Damit gelang es, im parlamentarischen Raum die Kompetenzen rund um die Pflege - nicht nur bezogen auf Pflegeberufe - zu bündeln und eine Ansprechpartnerin für pflegepolitische Verbände, wie den Deutschen Pflegerat, zu haben. Auch die anderen Fraktionen des Bundestages haben inzwischen nachgezogen. Unsere Erfahrungen sind durchweg positiv, weswegen wir auf diesem Weg weitergehen wollen.
Bezüglich eines/ einer Bundesbeauftragten für Pflegeberufe, also einer Position auf Regierungsseite, wäre zu klären, welche Aufgaben und Kompetenzen mit dieser Position verbunden sein sollen, wo diese/ dieser Beauftragte/er anzugliedern wäre, inwiefern sie/er über einen eigenen Beraterstab und Haushaltsmittel verfügen kann etc. Diesbezüglich wäre eine umfassende Diskussion zu führen. Insbesondere wäre jedoch zu klären, ob ein Bedarf besteht, der durch die heutigen Strukturen nicht gedeckt wird.
Ich hoffe, dass ich Ihren Fragen gerecht werden konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Markus Kurth