Frage an Markus Kurth von Jürgen H. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
vielleicht haben Sie davon erfahren, daß auf dieser Plattform eine gehäufte Anfragetätigkeit zum Problem der rückwirkenden Eingriffe auf die Altersversorgungen der ehemaligen DDR-Flüchtlinge zu verzeichnen ist. Das Thema als solches werden Sie kennen. Ich verweise auf die BT-Drucksache 16/5571 (Kleine Anfrage der FDP). Ich hatte Ihnen als Sozialpolitischem Sprecher am 05.09.2007einen grundlegenden Kommentar zu diesem Papier geschickt und Sie darum gebeten, daß Ihr Arbeitskreis sich mit der Materie befassen möchte. Antwort habe ich von Ihnen nicht bekommen. Ihr Fraktionskollege Wieland hat sich allerdings informiert und selbst festgestellt, daß im Zusammenhang mit dem Beitritt der DDR durch Bundesbehörden ein Unrecht zu Lasten der ehemaligen DDR-Flüchtlinge praktiziert wird. Beschämenderweise ist die Legislative bislang nicht dazu zu bewegen gewesen, ihre ursprüngliche gesetzgeberische Absicht dagegen zu stellen und dem Mißbrauch des RÜG zu Lasten einer bestimmten Kategorie von Bundesbürgern (Altübersiedler) Einhalt zu gebieten.
Warum haben Sie es bislang nicht für nötig gehalten, Ihren Arbeitskreis mit dem Thema zu konfrontieren? Sehen Sie nicht, daß hier in rechtlicher sowie verfassungsrechtlicher Hinsicht etwas im Argen liegt? Können Sie es ertragen zu wissen, daß DDR-Flüchtlnge, die in den 70-er, 80-er Jahren ihre Eingliederung in das gesellschaftliche und soziale System der alten Bundesrepublik durchlaufen haben, nach dem Beitritt der DDR rückwirkend einen Absturz ihrer Altersversorgung verordnet bekommen? Eine Wieder-Ausgliederung also, weil der Beitritt der DDR so viel gekostet hat? Vielleicht deswegen, weil sich der Staat mit der großherzigen Übernahme der Rentenanwartschaften für die alten SED-Kader ziemlich übernommen hat? Eine unglaubliche Geschichte, die leider wahr ist. Bitte überzeugen Sie sich. Lesen Sie die Papiere, die ich Ihnen geschickt habe! Sprechen Sie mit Ihrem Fraktionskollegen! Warum äußern Sie sich nicht?
Sehr geehrter Herr Holdefleiß,
bitte geben Sie mir die Möglichkeit, etwas ausführlicher zu antworten und das generelle Problem noch einmal zu beschreiben. In der von ihnen geschilderten Sache handelt es sich im Prinzip um ein rentenrechtliches Problem. Flüchtlinge, die vor 1989 in den „Westen“ gekommen sind, wurden nach dem sog. Fremdrentenrecht behandelt. Danach wurden sie fiktiv so gestellt, als hätten sie in der DDR alle Rentenbeiträge gezahlt, insbesondere die sog. Zusatzrenten wurden gutgeschrieben.
Dieser Umstand wurde im „Westen“ auch immer als Anreiz für eine Flucht angepriesen. Ausreisewillige, Flüchtlinge und pol. Häftlinge haben dementsprechend diese Renten in der DDR nicht bezahlt. Sie konnten nach ihrer Flucht natürlich nicht mehr darauf hoffen, Zahlungen in Ostmark aus der DDR zu erhalten. Kamen sie allerdings in den „Westen“, erhielten sie von der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) Bescheinigungen nach dem Fremdrentenrecht.
Das System wurde zu teuer, als ab Sommer 1989 Hunderttausende ungehindert in den „Westen“ konnten. Im Zuge der Einheit wurde dann das Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG) geschaffen. Mit dem RÜG wurde allen Ostdeutschen eine sehr gute Rente zu verschaffen, welche sich allein auf die „Ostbiografien“ stützte. In diesem Zusammenhang kam es zu § 256a SGB VI.
Der Paragraph unterstellte alle nach 1937 Geborenen dem RÜG, unabhängig davon, wo sie am 9.11.1989 wohnhaft waren. Für die Rente war nun plötzlich allein die DDR-Biografie ausschlaggebend - und das für Neu- wie für Altaussiedler.
Die BfA nahm die alten Rentenbescheide für Altaussiedler zurück, zählte die effektiven „Ostbeiträge“ (die die Altübersiedler allzu häufig nicht aufzuweisen hatten) und erteilte neue, wesentlich niedrigere Bescheinigungen. Juristisch haben schon viele Gerichte die Praxis der BfA abgesegnet, denn eine Rechtsgrundlage besteht.
Der Bundesregierung geht es sehr offenkundig allein um Geldeinsparungen, die sich politisch (Vertrauen, Willkür- warum nur die vor 1937 Geborenen, warum kein Wohnortprinzip) nur schwer vertreten lassen. Es handelt sich aber um einen sehr überschaubaren Personenkreis (die Flüchtlinge, die aus
politischen oder wirtschaftlichen Gründen vor 1989 nicht in die Zusatzrenten eingezahlt haben). Die finanziellen Auswirkungen sind individuell oft gravierend (eine Rente im „Osten“ wurde erst durch eine Zusatzrente wirklich tragfähig).
Politisch wird die Sache nach und nach bedeutsam. Es gelangen immer mehr Jahrgänge der Altübersiedler in Rente, die erst jetzt das Problem sehen. Im Bundestag wurden die Auswirkungen des insgesamt ja recht positiven RÜG für Altaussiedler nicht vollständig erkannt.
Richtig war die Entscheidung, Übersiedler, die mit Beginn der Friedlichen Revolution die DDR zu Hunderttausenden verlassen haben, nicht nach dem Fremdrentenrecht zu bewerten. Das hätte die Auswanderung aus dem Beitrittsgebiet noch weiter verschärft. Die daraus folgende Gleichmachung der Neu- und der Bestandsaussiedler vermengt aber zwei Gruppen, die individuell hätten behandelt werden müssen. Die Bundesregierung, die zu einer Vereinheitlichung des Rentenrechts kommen will und das Prinzip der Selbstverantwortung für die Zahlung in die Freiwillige Zusatzrentenversicherung betont, argumentiert statt dessen formal.
Seien Sie gewiss, dass ich mich für Ihr Anliegen und die dafür erforderliche gesetzliche Neuregelung in der Opposition einsetzen werde. Wie bei der Schaffung der Opferpension werden wir dafür im Sinne der Betroffenen fraktionsübergreifend nach einer Lösung suchen. Dieser Erkenntnisprozess kann aber erfahrungsgemäß Zeit beanspruchen. Ich kann Sie daher nur ermuntern, Ihr berechtigtes Anliegen beharrlich weiterzuverfolgen und sich von ersten Ablehnungen nicht entmutigen zu lassen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Markus Kurth