Frage an Markus Kurth von Christian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kurth,
mit Sorge beobachte ich die derzeitige, hitzig geführte Debatte um so genannte "Killerspiele". Sorgenvoll deshalb, weil sie einseitig geführt wird und ein Verbot von "Killerspielen" als Allheilmittel gegen die angebliche sittliche Verwahrlosung der Jugend gepriesen wird. Mittlerweile geht es sogar darum, erwachsenen Menschen den Zugang zu diesen Spielen zu verwehren, Personen, die möglicherwiese bereits bei der Bundeswehr das Töten von Menschen mit echten Waffen simuliert und geübt haben - und an dieser Stelle gleitet die "Killerspiel"-Debatte endgültig ins Lächerliche ab.
Gewaltverherrlichende Spiele sind in Deutschland bereits jetzt verboten, eine Verschärfung der Rechtslage in diesen Fällen ergibt daher keinen Sinn. Dafür wird die Arbeit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), vor allem aber der Spieler an sich polemisch von Menschen diffamiert, bei denen ich das Gefühl habe, dass der Blinde über Farben spricht, der Taube über Musikkonzerte, der Lahme über den Marathon. Das angebliche "Killerspiel" dient aus meiner Sicht als Sündenbock für die jahrzehntelangen Versäumnisse von Jugend-, Sozial- und Bildungspolitik.
Wie stehen Sie zu einem Verbot von Gewalt beinhaltenden Spielen, die per Alterskennzeichnung für bestimmte Altersgruppen - etwa ab 16 oder ab 18 Jahren - freigegeben sind?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Beste Grüße aus Ihrem Wahlkreis,
Christian Schramm
Sehr geehrter Herr Schramm,
vielen Dank für Ihre Anfrage bei "abgeordnetenwatch.de" zur Verbotsdebatte um sog. Killerspiele, in der Sie deren Einseitigkeit und die Unzweckmäßigkeit schärferer Verbote kritisieren.
Wir, die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, finden, dass Gewalt in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen nichts zu suchen hat. Nicht zuletzt deshalb hat Rot-Grün im Jahr 2003 den Jugendmedienschutz verschärft.
Seitdem braucht ein Computerspiel eine staatliche genehmigte Alterskennzeichnung, um frei verkauft werden zu können. Gewaltverherrlichende, rassistische und die Menschenwürde verletzende Spiele können seitdem auch verboten werden.
Schon damals waren wir uns mit der Fachwelt einig, dass darüber hinaus gehende Maßnahmen und Verbote keinen besseren Jugendschutz bieten könnten. Entgegen weit verbreiteter Meinung sind die Bestimmungen des deutschen Jugendschutzes im internationalen Vergleich sehr streng. Tatsache ist aber, dass seine Umsetzung im Zeitalter des Internets immer schwieriger wird, weil die Bestimmungen in anderen Ländern weniger streng sind als bei uns. Mediale Gewalt lässt sich allein durch Gesetze nicht mehr aus den Kinderzimmern verbannen.
Gewaltausbrüche junger Menschen wie in Erfurt oder Emsdetten lassen sich ohnehin nicht eindimensional erklären. Wir plädieren für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Ursachen. Strengere Verbote jedenfalls können solche Amokläufe nicht verhindern. Wer dies behauptet, will die Menschen in die Irre führen. Soziale und psychische Probleme und der allzu leichte Zugang zu Waffen spielen, im Vergleich zu den Spielen selbst, nach unserer Überzeugung eine viel wichtigere Rolle.
Wir haben in Deutschland einen großen bildungs- und gesellschaftspolitischen Nachholbedarf. Die Medienkompetenz, also der kritische und selbstbewusste Umgang von Jugendlichen und Erwachsenen mit Medien muss konsequent ausgeweitet werden. Vor allem in der Schulpolitik haben die Bundesländer hier ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Notwendig sind auch eine "Kultur des Hinsehens" und das Wahrnehmen von Erziehungsverantwortung.
Außerdem fehlt bei uns eine wirksame Förderung der Herstellung qualitätsvoller Computerspiele, wie es sie in anderen Ländern längst gibt.
*Deutsche Jugendschutzbestimmungen ausreichend*
Seit der Novellierung des Jugendmedienschutzes durch die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2003 unterliegen alle Medien, so auch Computerspiele, einer umfassenden Kontrolle:
Um frei verkauft werden zu können, brauchen alle Computerspiele eine amtlich genehmigte Altersfreigabe. Diese wird von der, auch in Ihrer Anfrage erwähnten Sebstkontrolleinrichtung "Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle" (USK) vergeben (ohne Altersbeschränkung, frei ab 6, 12 oder 16 Jahren) und vom Staat geprüft. Nur Spiele mit einer USK-Bewertung dürfen ausgestellt, beworben und entsprechend der Alterskennzeichnung verkauft werden.
Wenn Spiele für Jugendliche gar nicht geeignet sind, gibt es mehrere Möglichkeiten: Spiele, die als "jugendbeeinträchtigend" bewertet werden, erhalten "keine Jugendfreigabe" (entspricht frei ab 18 Jahren). Sie dürfen nur an Erwachsene verkauft werden. Sie dürfen aber beworben werden und im Regal stehen.
Spiele, die die USK als "jugendgefährdend" einstuft, erhalten "keine Kennzeichnung". Sie können von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) auf den so genannten "Index" gesetzt werden, sobald sie veröffentlicht sind. Dann dürfen sie zwar an Erwachsene verkauft, aber weder beworben noch ausgestellt werden ("unterm Ladentisch"). Für Spieleverlage ist das kaum rentabel, weil niemand Spiele kauft, von dessen Existenz er oder sie nichts weiß. Deswegen haben die Hersteller ein großes Interesse daran, eine Alterskennzeichnung der USK zu erhalten.
Darüber hinaus gelten auch für Computer- und Konsolenspiele die Bestimmungen des § 131 des Strafgesetzbuches. Danach sind Produktion und Vertrieb von Spielen verboten, die extrem gewaltverherrlichend, rassistisch oder anderweitig verfassungswidrig sind. So wurde zum Beispiel 2004 das Spiel "Manhunt" verboten.
Die bestehenden Gesetze reichen aus, Computerspiele heute schon dem Markt zu entziehen oder ganz zu verbieten. Zwar halten wir manche Entscheidungen der USK für diskussionswürdig. Die Prüfkriterien müssen selbst geprüft werden. Generell aber hat sich das System der "regulierten Selbstregulierung" bewährt.
*Komplexe Ursachen für Gewaltausbrüche*
Gewaltausbrüche von Jugendlichen können die unterschiedlichsten Ursachen haben. Die Konzentration auf nur eine scheinbare Ursache, wie sie nach dem Amoklauf von Erfurt und Emsdetten allzu deutlich ist, kann daher nur falsch sein. Wir müssen nachfragen, was in einem Schüler vorgeht, der zu Taten wie in Erfurt oder Emsdetten bereit ist. Dazu brauchen wir eine Diskussion darüber, wie wir gefährdete Kinder und Jugendliche so in unsere Gesellschaft integrieren, dass sie sich nicht als Versager fühlen. Wir brauchen eine "Kultur des Hinsehens", um gefährdete Jugendliche nicht erst zu erkennen, wenn es zu spät ist.
*Suchtgefahr von Computerspielen*
Wir sehen die Gefahr, dass Computerspiele süchtig machen können. Die Ursachen dafür sind jedoch, wie bei jeder anderen Sucht auch, sehr vielschichtig. Verschiedene Dispositionen müssen zusammen kommen, damit ein Mensch abhängig wird. Soziale Probleme oder die Suche nach Entspannung können zu einem übermäßigen Konsum führen, gefährdete Personen können Verhaltensstörungen im Gebrauch mit Computerspielen entwickeln. Wichtig ist, die Ursachen für isoliertes Spielen zu erkennen und zu vermeiden, dass Computerspieler reale soziale Kontakte verlieren. Der Bezug zur realen Welt bleibt das wichtigste Korrektiv, um einer Suchtgefahr entgegenzuwirken.
*Zugang zu Waffen*
Gewaltausbrüche wie die von Erfurt oder Emsdetten waren immer nur möglich, weil die Täter Zugang zu Waffen hatten und diese auch beherrschen konnten. Wir müssen uns also fragen, wie die Täter in den Besitz solcher Waffen gekommen sind und wie sie den Umgang damit erlernt haben. Wenn es scheinbar so einfach ist wie im Falle von Sebastian B., sich Waffen über das Internet zu besorgen und legal zu besitzen, so muss an dieser Stelle angesetzt werden.
*Computerspiele: Jugendkultur, Wirtschaftsgut, Kulturgut*
Computerspiele sind elementarer Bestandteil einer lebendigen Jugendkultur. Die Hälfte aller 11- bis 18jährigen Jungen spielt täglich zwei Stunden am Computer. Computerspiele sind nicht mehr Hobby einiger weniger, sondern zu einem Massenmedium und Wirtschaftsgut avanciert. Die Games-Branche ist Innovationsmotor der Computerindustrie und schafft schon heute zahlreiche neue Berufswege und Arbeitsplätze. Der Umsatz der Branche war im Jahr 2005 mit 1,3 Mrd. Euro schon doppelt so hoch wie der Umsatz in der Kinobranche. Der Computerspielmarkt wächst um 4-5 Prozent jährlich. Wir erkennen die kulturelle Bedeutung von Computerspielen an. Genauso wie Filme weisen sie eigene Inhalte, Ästhetik, Farben und Musik auf.
Die aktuelle Diskussion zeichnet ein verzerrtes Bild der Computerspiele-Landschaft. Die wenigsten sind sog. Killerspiele. Wir finden zudem diesen Begriff wenig tauglich für die Diskussion, weil schon die verurteilende Begrifflichkeit eine echte Auseinandersetzung mit den gemeinten Spielen verbaut. Eine rechtliche Definition des Begriffs "Killerspiele" existiert nicht. In die politische Debatte eingebracht wurde er vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein. Gemeint sind demnach Spiele, bei denen das simulierte Töten wesentlicher Bestandteil des Spielerfolgs ist. Im Fachjargon werden diese Spiele als "Egoshooter" bezeichnet. Diese machen nur 8 Prozent aller Computerspiele aus. Die undifferenzierte Debatte über sog. Killerspiele rückt aber die große Mehrzahl der Spiele in ein schlechtes Licht.
*Für Medienkompetenz und Erziehungsverantwortung*
Wir teilen Ihren Eindruck, dass Computerspiele immer dann als Sündenbock herhalten müssen, wenn es eigentlich um fehlende Medienkompetenz und nicht wahrgenommene (Erziehungs-) Verantwortung geht. Es herrscht eine "digitale Kluft" zwischen jungen Spielenden und älteren Nicht-Spielenden, die zu gegenseitigem Unverständnis führt. Ziel muss es sein, dieses Unverständnis aufzulösen. Computerspieler müssen ernst genommen, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher verstärkt im Umgang mit Computer und Computerspielen geschult werden. Wichtig ist z.B., dass die ältere Generation einmal selbst Computerspiele spielt. Im Gegensatz zu Filmen lassen sich manche Aspekte von Computerspielen nicht durch bloßes Anschauen bewerten, sie sind nur verständlich, wenn man sie aktiv spielt.
Erziehungsberechtigte müssen Verantwortung für ihre Schützlinge übernehmen und sich dafür interessieren, was ihre Kinder vor dem Computer machen. Sie müssen Grenzen aufzeigen und attraktive alternative Angebote machen können. Letztlich gilt: Statt Verboten müssen wir die Medienkompetenz stärken. Wer gelernt hat, kompetent mit Computerspielen umzugehen, wird in der Lage sein, die Realität von einer simulierten Welt zu unterscheiden. Anstatt die bestehenden Verbote zu verschärfen, muss dafür gesorgt werden, dass sich mehr hochwertige Spiele auf dem Markt etablieren. Dazu halten wir ein einheitliches Qualitätssiegel für sinnvoll, das Eltern bei der Kaufentscheidung helfen kann. Außerdem wollen wir, dass schon in der Entwicklung von Spielen Anreize für Qualität geschaffen werden. Gute Computerspielprojekte sollten schon in ihrer Entwicklungsphase finanziell unterstützt werden. Vorstellbar ist, die bestehende Filmförderung auf Computerspiele auszuweiten.
Am 27.11.2006 hat die grüne Bundestagsfraktion ein Fachgespräch zum Thema Computerspiele veranstaltet. Dort wurden sowohl Möglichkeiten der Kompetenzsteigerung als auch der Förderung von Computerspielen diskutiert. Einen kurzen Bericht finden Sie unter: www.gruene-bundestag.de/cms/kultur_medien/dok/158/158706.htm
Sehr geehrter Herr Schramm, ich hoffe, dass ich Ihre Fragen beantworten konnte, danke Ihnen für Ihr Interesse und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Markus Kurth