Frage an Markus Kurth von Irene M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Markus Kurth!
Inwieweit würde Ihrer persönlichen Ansicht nach eine würdevolle Lösung der Contergan-Entschädigungsfrage im Sinne des Conterganopferverbandes Contergannetzwerk e. V. ein wichtiges behindertenpolitisches Zeichen setzen und allen anderen behinderten MitbürgerInnen Mut machen, ihre ebenfalls berechtigten Interessen gegenüber Staat und Gesellschaft offen anzusprechen bzw. durchzusetzen?
Forderungskatalog des CND unter www.contergannetzwerk.de.
Sehr geehrte Frau Müller,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Dass Menschen mit Behinderungen auf ihre Bedürfnisse und eventuell bestehende Versorgungsdefizite aufmerksam machen, halte ich unabhängig von den gegenwärtigen Verhandlungen um die Verbesserung der Situation contergangeschädigter Menschen für richtig und wichtig. Wenn eine gute Lösung für Contergangeschädigte auch andere behinderte Bürgerinnen und Bürger ermutigt, sich zu Wort zu melden, ist das sehr erfreulich. Ich bin immer dankbar, wenn mir Menschen mit Behinderungen von den konkreten Problemen berichten, die sie beispielsweise im Umgang mit Rehabilitationsträgern haben. Politik lebt davon, dass sich diejenigen einmischen, die sie betrifft.
Die Ergebnisse der Untersuchung der Universität Heidelberg zur Situation contergangeschädigter Menschen lassen auch Rückschlüsse auf die Versorgungssituation behinderter Menschen zu, deren Behinderung nicht im Zusammenhang mit einer Conterganschädigung steht. Ich halte es daher für sinnvoll, die Ergebnisse auch über den relativ kleinen Kreis der Contergangeschädigten hinaus bekannt zu machen. Gleichzeitig muss klar sein: Die Voraussetzungen, vor deren Hintergrund sich die politische Debatte um die Situation Contergangeschädigter bewegt, sind anders, als bei Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen. Die Sicherung der Versorgung contergangeschädigter Menschen obliegt der Bundesrepublik, da sie in der Haftungsnachfolge der Firma Grünenthal steht. Nur contergangeschädigte Menschen können Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz erhalten. Selbstverständlich haben alle Menschen mit Behinderungen einen Anspruch auf ein würdevolles Leben. In welcher Form evtl. notwendige Unterstützung geleistet wird und wie ggf. Leistungen für alle Menschen mit Behinderungen verbessert werden können, lässt sich allerdings nur sinnvoll diskutieren, wenn man die unterschiedlichen
Zugangsvoraussetzungen zu den verschiedenen Leistungen berücksichtigt. Es ist selbstverständlich politisch notwendig und sinnvoll das System der Unterstützungsleistungen stärker am Ziel (der gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe) und weniger an der Ursache der Behinderung auszurichten. Leider ist es aber noch immer so, dass es in Bezug auf die Leistungen, die Menschen mit Behinderungen erhalten, einen Unterschied macht, ob sie beispielsweise contergangeschädigt sind, ob sie eine Behinderung im Laufe ihres Lebens erworben und bereits seit Geburt haben, ob sie berufstätig sind oder nicht und vieles anderes mehr. Das muss sich ändern. In diesem Sinne ist zu hoffen, dass die Ergebnisse der Heidelberger Studie auch für die Versorgungssituation von Menschen mit Behinderungen sensibilisiert, die nicht contergangeschädigt sind.
Mit freundlichen Grüßen,
Markus Kurth