Frage an Markus Kurth von Jörg L. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Kurth,
warum gibt es in einem der reichsten Länder der Welt wie Deutschland (ca.Vermögen mind. 6 Billionen Euro + plus 170 Mrd. at the top p.a. ? ) leider immer noch Kinder - und Altersarmut, Obdachlose, Suppenküchen, Tafeln sowie Hungerlöhne von dem die Menschen nicht LEBEN können ?
Würde Mindestlohn und Bürgerversicherung, stärkere Teilhabe und Mitbestimmung dies nicht wenden und positiv volkswirtschaftlich sinnvoll demokratisch beeinflussen bzw. ändern können ?
Für Ihre Antwort vielen Dank im Voraus.
MFG
J.L.
Sehr geehrter Herr L.,
vielen Dank für Ihren Beitrag, den ich voll und ganz unterstützen möchte.
Das heutige System der sozialen Sicherung beschränkt sich nicht mehr allein auf ein System von Lohnersatzleistungen. Der moderne Wohlfahrtsstaat stellt mit seinem breit gegliederten Sozialrechtssystem aus Entschädigung, Vorsorge, Förderung und Hilfe längst eine wesentliche Voraussetzung für soziale und wirtschaftliche Entwicklung dar.
Leider ist diese Erkenntnis der Produktivitäts- und Stabilisierungsfunktion sozialer Sicherung in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten. Es ist seit geraumer Zeit von einer Krise des Sozialstaats die Rede, die das angeblich zu hohe Leistungsniveau in den Mittelpunkt stellt. Die Senkung der Sozialabgaben ist dabei zu einem neuen Mantra wirtschaftlichen Wachstums und der Arbeitsplatzschaffung geworden.
Eine solch einseitige Diskussion auf die Kosten reduziert die Sozialpolitik nicht nur auf die Gewährung von Lohnersatzleistungen. Sie zeigt dabei auch, dass Systeme sozialer Sicherung einem enormen Rechtfertigungsdruck unterliegen, mit dem es sich gilt, stets aufs Neue auseinanderzusetzen.
Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Sozialausgaben die Risikobereitschaft und damit auch das wirtschaftliche Wachstum positiv beeinflussen. Auch jüngste Studien der Prognos AG aus dem Jahr 2009 zu Kosten und Nutzen medizinischer Rehabilitation, eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln aus dem Jahr 2010 zur beruflichen Rehabilitation in den deutschen Berufsbildungswerken (BBW) sowie eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) aus diesem Jahr zu den Wohlfahrtsverlusten auf Grund mangelnder beruflicher Qualifikation von Jugendlichen belegen den volkswirtschaftlichen Investitionscharakter von Sozialausgaben.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung sowie das Bewusstsein hierüber sind allerdings sehr überschaubar. Auch die vergleichende Wohlfahrtsforschung, bei der Wohlfahrtsstaaten oft nur von ihrer Leistungsseite betrachtet werden, tut sich mit den wirtschaftlichen und politischen Aspekten der Sozialpolitik recht schwer. In der Folge ist und bleibt es schwer, sich gegenüber solchen Kräften zu behaupten, die soziale Leistungen vorrangig als Kostenfaktor brandmarken.
Nichtsdestotrotz werden wir diese Erkenntnis der Produktivitäts- und Stabilisierungsfunktion sozialer Sicherung weitertragen und an jeder nur erdenklichen Stelle hervorheben.
Mit freundlichem Gruß
Markus Kurth