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Markus Kurth
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Frage von Peter M. •

Frage an Markus Kurth von Peter M. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Kurth,

bei uns in Deutschland sind nur wenige bereit Organe zu spenden. Ausserdem sind auch viele Kliniken gar nicht darauf eingerichtet. Wie lässt sich dieser Zustand verbessern. Wie lässt sich die Bereitschaf zur Organspende erhöhen?
Wäre die Widerspruchslösung, wie sie in Österreich mit Erfolg praktiziert wird eine praktikable Lösung um wartenden Menschen zu helfen?

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Sehr geehrter Herr Maier,

sie sprechen die Ihres Erachtens unzureichende Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes an, Organe zu spenden.

In der Tat besteht in Deutschland eine erhebliche Unterversorgung mit Spenderorganen, die so nicht einfach hingenommen werden sollte. Vor allem vor dem Hintergrund, dass 70% aller Deutschen bereit sind, Organe zu spenden, aber nur ein Bruchteil dieser Menschen (12%) überhaupt über einen Spendeausweis verfügt.

In Deutschland wird mit dem 1997 verabschiedeten Transplantationsgesetz die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben einschließlich der Voraussetzungen für eine Lebendspende geregelt. Es enthält unter anderem die so genannte „erweiterte Zustimmungslösung". Dies bedeutet, dass eine postmortale Organspende grundsätzlich der Einwilligung der/des Spenders/in zu Lebzeiten bedarf. Liegt zum Todeszeitpunkt weder eine schriftliche Einwilligung noch ein schriftlicher Widerspruch der/des möglichen Organspenders/in vor, ist die/der nächste Angehörige zu befragen, ob ihr/ihm eine Erklärung zur Organspende bekannt ist. Ist eine solche Erklärung nicht bekannt, ist die Organspende zulässig, wenn die/der nächste Angehörige der Organentnahme zustimmt. Die/der Angehörige hat bei der Entscheidung den mutmaßlichen Willen der/des möglichen Organspender/in, so ein solcher ermittelt werden kann, zu beachten.

Diese „erweiterte Zustimmungslösung“ wird immer wieder kritisiert und als ein Grund für den Organmangel in Deutschland benannt. So hat im April 2007 der Nationale Ethikrat (NER) mit einer Stellungnahme für Aufsehen gesorgt, in der eine Änderung des Transplantationsgesetzes (TPG) von 1997, vorgeschlagen wird. Das TPG, so der NER, habe die Hoffnung auf eine Steigerung der Organspenden nicht erfüllt. Zwar liege dies auch an organisatorischen Defiziten im Gesundheitssystem. Aber auch die erweiterte Zustimmungsregelung erweise sich als Hindernis. Der NER schlägt nunmehr vor, die einzelnen Bürger/innen zu einer persönlichen Erklärung darüber aufzufordern, ob sie zur Organspende bereit sind, und eine unterbliebene Erklärung als rechtliche Zustimmung zu einer Organentnahme zu werten, sofern die Angehörigen ihr nicht widersprechen.

Dahinter verbirgt sich letztlich eine leicht modifizierte Form der Widerspruchslösung, wie sie bspw. in Spanien und Österreich praktiziert wird. Danach ist nicht die ausdrückliche Zustimmung der potenziellen Spender/innen oder der nächsten Angehörigen zur Organentnahme erforderlich, sondern der ausdrückliche Widerspruch, sofern man die Entnahme verhindern will. Mit anderen Worten: Widersprechen die potenziellen Spender/innen zu Lebzeiten nicht, so wird stillschweigend von einer Zustimmung ausgegangen.

Die Einführung der Widerspruchslösung – gleich in welcher Form – lehne ich ab. Es ist unerlässlich, dass eine ausdrückliche Zustimmung des/der Organspenders/in oder der Angehörigen zwingende Voraussetzung einer Organentnahme bleibt. Zudem soll jede Person auch weiterhin die Möglichkeit haben, sich zu Lebzeiten ausdrücklich nicht für oder gegen eine Organentnahme zu entscheiden.

Trotzdem besteht Handlungsbedarf.
Die Zusammenarbeit zwischen Transplantationszentren, Krankenhäusern und der zentralen Koordinierungsstelle muss weiter gefördert werden, beispielsweise durch gesetzliche Regelungen zu Transplantationsbeauftragten und deren Position und Qualifikation sowie durch Verstärkung der Meldepflichten. Auch die Qualifikation des für die Aufklärung von Angehörigen zuständigen Personals muss verbessert werden. Zudem ist die Refinanzierung der Organentnahme unbedingt sicherzustellen. Durch diese Strukturverbesserungen kann die Zahl der Organspenden langfristig erhöht werden.

Voraussetzung für den Erfolg der Strukturverbesserungen ist eine „Kultur der Spendenbereitschaft“. Diese lässt sich allerdings nicht auf gesetzlichem Wege etablieren. Vielmehr sind verstärkte Aufklärungsmaßnahmen, z.B. in Form groß angelegter und schlagkräftiger Kampagnen notwendig, die Vertrauen schaffen, Ängste behutsam abbauen und mehr Menschen überzeugen, einen Organspendeausweis anzulegen – ganz gleichgültig ob sie darin ihre Zustimmung oder Ablehnung zum Ausdruck bringen.

Hinzu kommen kann die Ausgabe von Informationsmaterial durch Behörden bei zwingenden, wiederkehrenden Behördengängen wie beispielsweise der Beantragung eines Personalausweises. Das würde die Auseinandersetzung mit dem Thema noch verstärken.

Trotzdem muss klar sein, dass das Recht auf Selbstbestimmung gewahrt bleiben muss. Bei der Diskussion über das Pro und Contra der Widerspruchslösung darf man sich nicht nur auf pragmatische Argumente zurückziehen. Es ist ein grundlegender rechtlicher und ethischer Unterschied, ob man die Handlung an einem Menschen von ihrer/seiner ausdrücklichen Zustimmung abhängig macht oder ob man die zweifelhafte Freiheit gewährt zu widersprechen, sollte ihr/ihm die geplante Handlung missfallen. Dieser Unterschied liegt im verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger.

Ihr Markus Kurth

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