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Lisa Badum
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Gerhard R. •

Frage an Lisa Badum von Gerhard R. bezüglich Umwelt

Guten Tag,

gibt es vor der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts als Folge
eines möglichen Widerspruchs von Eltern zumindest eine unklare Rechtslage?
Beenden Sanktionen die Klima-Demos?

Gruß
G. R.

https://www.zdf.de › Nachrichten 15.3.2019
Daraus:
Dürfen die Schüler überhaupt streiken?
Nein. Da gibt es auch kein Wenn und Aber, denn in Deutschland gilt die Schulpflicht. Ein diese Pflicht außer Kraft setzendes Streikrecht existiert
nicht.
Ein einmaliges unentschuldigtes Fehlen wird mindestens notiert. Unentschuldigte Fehlstunden können im Zeugnis auftauchen, was etwa bei einer Bewerbung schlecht aussieht. Es kann aber auch zu direkten Strafen führen, wie etwa einem sogenannten Verweis. Mehrere Verweise können zum Rauswurf eines Kinds aus der Schule führen.

Aus Gesprächen im Bekanntenkreis:
Laut Spiegel Nr. 44 vom 27.10.2018,. S. 118, „In der Badewanne“ wurde das Verhalten der Bundesregierung beim Klimaschutz in der Klageschrift als „unzulässiger Eingriff in das Grundrecht
auf Leben und Gesundheit“ begründet. Wären Jugendliche klageberechtigt, hätten sie bessere Erfolgschancen als die Erwachsenen. Grund: Die junge Generation wird noch schlimmere Folgen der Erderwärmung
erleben - dazu: ntv-Doku „2 Grad – Countdown für den Weltuntergang“.
Bei dem Kollidieren der Grundrechte Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 7 Bildungsauftrag als Grundlage für die Schulgesetze mit der Schulpflicht hat das Rechtsgut „Leben und körperliche Unversehrtheit“
den höheren Wert als die Schulpflicht. Trotzdem muss und kann auch eine Lösung gefunden werden, die beide Rechtsgüter schützt.
Dass die Klima-Demonstrationen nur durch das ungenehmigte Fehlen beim Unterricht eine ausreichende Wirkung haben, ist unbestreitbar. Eine durch Sanktionen erzwungene Beseitigung dieser
einzigen Möglichkeit, die Jugendliche haben, wäre gleichbedeutend mit dem
Verlust des Grundrechtsanspruchs nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr R.,

vielen Dank für Ihr Interesse am Thema Schülerstreiks. Als klimapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen begrüße ich das Engagement für Klimaschutz sehr.

Zur Rechtslage der Schülerstreiks wird gerade viel diskutiert, vor allem, nachdem der Schulleiter eines städtischen Münchner Gymnasiums Verweise und Bußgelder für streikende Schüler*innen und deren Erziehungsberechtigte angekündigt hatte. Diese Maßnahme zeigt aber, wie unklar die Rechtslage ist; denn die zuständige Bußgeldstelle muss diese Ankündigung erst auswerten (siehe SZ-Artikel vom 02.04.2019, https://www.sueddeutsche.de/muenchen/fridays-for-future-bussgeld-strafen-schueler-1.4392129 ). Bisher hatten viele Schulen wohlwollend auf das Engagement der Schüler*innen reagiert.

Im Folgenden schließe ich mich der Einschätzung des Gutachtens „Fridays for future: Verfassungsschranken für Sanktionen bei schulischer Abwesenheit“ von Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt von der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik (https://www.sfv.de/pdf/FFFOWiGEkardt.pdf ) an. Dort wird wie folgt argumentiert: Zwar haben Schülerinnen und Schüler eine Schulpflicht, und wenn sie sich an diese vorsätzlich oder fahrlässig nicht halten, ist das als unentschuldigtes Fehlen einzuordnen. Unter der Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit kann dies als Ordnungswidrigkeit eingestuft und mit einer Geldbuße geahndet werden. Jedoch muss das unentschuldigte Fehlbleiben in „notorischem Umfang“ erfolgen, so dass der Bildungs- und Erziehungsauftrag gefährdet erscheint. Zudem müssen zuvor mildere Mittel angewendet worden sein. Es ist aber zweifelhaft, ob das Streiken als unentschuldigtes Fehlen eingeordnet werden kann, denn die Pflichten der Schüler*innen kollidieren mit ihren Rechten. Und laut besagtem Gutachten überwiegen letztere, so dass eine Sanktionierung nicht verhältnismäßig erscheint. Denn Schüler*innen haben eine Meinungs- und Versammlungsfreiheit – dies „umso mehr, als die Erziehung zu mündigen Staatsbürger*innen ein elementares Erziehungsziel darstellt“. Für „geringfügigen Unterrichtsausfall wurde deshalb die Zulässigkeit des Fernbleibens vom Unterricht auch schon gerichtlich bestätigt“.

Für mich bekommen die Streiks der Schüler*innen zusätzliches Gewicht durch ihr Anliegen für den Klimaschutz. Dabei ist klar: würden die Schüler*innen nicht unter der Woche während der Schulzeit demonstrieren, sondern am Samstag, hätten sie niemals diesen phänomenalen Erfolg erzielt. Sie müssen also auf den kontrollierten Regelbruchs des begrenzten Fernbleibens vom Unterricht zurückgreifen, um ihrem Anliegen die notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ähnlich argumentiert auch meine Kollegin Manuela Rottmann: https://www.manuela-rottmann.de/dialog/blog/fridays-for-future-was-kann-mir-passieren-wenn-ich-streike/

Wir können festhalten, dass ein deutlicher Unterschied in der juristischen Bewertung besteht, ob eine Schülerin dem Unterricht aus Faulheit fernbleibt, oder weil sie ein politisches Grundrecht wahrnimmt. Die Schulen können sich nicht auf der Schulpflicht ausruhen, sondern müssen jeden Fall einzeln prüfen und abwägen.

Angesichts des Versagens der Bundesregierung beim Klimaschutz auf ganzer Linie, haben die Schüler*innen nicht nur das moralische Recht vollkommen auf ihrer Seite, sondern möglicherweise auch das juristische. Was wir jetzt noch für diese jungen Menschen tun können, ist, ihren berechtigten Protest ernst zu nehmen und spätestens jetzt alle uns nur irgend möglichen Handlungsspielräume beim Klimaschutz zu nutzen. Dazu gehört, sich mit den Protesten solidarisch zu erklären, und nicht, ihnen Steine in den Weg zu legen. Statt streikenden jungen Menschen mit Bußgeldern zu drohen, sollten wir Greta Thunberg daher stellvertretend für die Bewegung den Friedensnobelpreis verleihen.

Meine Botschaft an die streikenden Schüler*innen ist, widerspenstig zu bleiben und sich nicht von eventuell angedrohten, aber haltlosen Sanktionen einschüchtern zu lassen. Die Schülerinnen und Schüler haben Recht: die Zeit der höflichen Bitten ist vorbei. In Zeiten des Klimanotstandes sind Schülerstreiks mehr als gerechtfertigt.

Mit freundlichen Grüßen
Lisa Badum

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