Frage an Konstantin von Notz von Dirk H. bezüglich Politisches Leben, Parteien
Sehr geehrter Dr. von Notz,
Sie haben an der 4.Sitzung der Enquete Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" am 5. Juli 2010 teilgenommen und die Ausführungen von Prof. Dr. Peter Kruse gehört. Auszug: https://www.youtube.com/watch?v=HldaHeAQy1A
Nun sind eine Reihe von Jahren vergangen und die Welt hat sich weiter entwickelt. Die Band BTS aus der K-Popszene ist nicht die einzigste Erscheinung, die die Thesen von Prof. Kruse unterstreichen. Lassen Sie mich in Vorbereitung der Wahlen im September diesen Jahres fragen, wie Sie zu den Aussagen von Herrn Kruse damals stehen und wie Sie es heute wahrnehmen.
Vielen herzlichen Dank und bleiben Sie gesund.
Sehr geehrter Herr Hohwieler,
besten Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an meiner Arbeit. Über beides habe ich mich sehr gefreut.
Manchmal denke ich, ich sei der einzige, der sich noch an die - wie ich weiterhin finde für das Parament durchaus wegweisende - Arbeit der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" erinnert. Sie belehren mich eines Besseren.
An die Sitzung und die Ausführungen von Prof. Dr. Peter Kruse erinnere ich mich in der Tat lebhaft, auch, wenn die Sitzung nun schon knapp elf Jahre zurückliegt. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht genau, wo ich anfangen soll, versuche es aber dennoch.
In seinen Ausführungen hat Prof. Dr. Kruse zahlreiche Themen subsummiert und Entwicklungen vorweggenommen, die heute die digitalpolitischen Diskussionen beherrschen. Sie alle en detail zu beleuchten, würde - leider - den Rahmen sprengen.
U.a. hat Prof. Dr. Kruse in seinen Ausführungen, die er im Rahmen einer Anhörung mit dem Titel "Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gesellschaft" vorbrachte, davor gewarnt, dem Wunsch der Bevölkerung nach stärkerer Transparenz und Beteiligung nicht auch tatsächlich in konkrete politische Handlungen umzusetzen, da sonst, so Prof. Dr. Kruse, Frust entstünde. Diesen Frust erleben wir ein Stück weit alle tagtäglich in weitgehend unregulierten sozialen Netzwerken.
Die von ihm angemahnten strukturellen Änderungen und die aktive politische Begleitung des digitalen Wandels unserer Gesellschaft wurde in den vergangenen Jahren verpasst anzugehen. Strukturelle Änderungen auf Seiten der Politik wurden eben nicht angegangen. Um es mit einem Beispiel konkret zu machen: Die Transparenz politischen Handels wurde nicht erhöht, bspw. durch die Vorlage eines Bundestransparenzgesetzes und Open-Data-Regelungen, die ihren Namen auch verdienen. Noch immer setzen wir auf proprietäre Anbieter statt auf freie und offene Software, die kontrollierbar und von jeder Mann/Frau weiterentwickelt und auf die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden kann. Statt vielfältiger digitaler Ökosysteme begeben wir uns in gänzlich neue Abhängigkeiten. Standards setzen wir bewusst nicht, obwohl uns Regulierung erst zum Exportweltmeister gemacht hat. Als Staat haben wir auch das letzte IT-Großprojekt in den Sand gesetzt, weil wir in Sachen Sicherheit immer fünf haben gerade sein lassen und lieber mit Sicherheitslücken gehandelt haben als uns für durchgängige Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen als absoluten Standard einzusetzen. Dass so kein zwingend benötigtes Vertrauen in digitale Anwendungen und keine Rechtssicherheit für Unternehmen entstehen kann, dafür aber neue Gefahren für unsere Grundrechte, ist ja beinahe banal. Dennoch setzen wir weiter auf Massenüberwachung durch Vorratsdatenspeicherung und Co. nd sorgen dafür, dass unsere Sicherheitsbehörden in Datenbergen untergehen. Insgesamt würde ich mir ein gänzlich anderes Verhältnis von Bürgerinnen und Bürgern und Staat wünschen. Die Digitalisierung eröffnet diese Chance.
Dennoch haben wir uns in Stück weit im Altbewährten eigerichtet: Beteiligung wird zwar hier und da mal sporadisch ermöglicht, u.a. in Hackathons, die die Bundesregierung ja mittlerweile durchführt, aber von einer echten Beteiligung an politischen Prozessen im Allgemeinen, an parlamentarischen im Speziellen, sind wir weiterhin meilenweit entfernt. Dabei ist die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" hier durchaus mit gutem Beispiel vorangegangen, hat nicht nur alle Sitzungen gestreamt, sondern es Interessierten ermöglicht, die politische Agenda der einzelnen Sitzungen selbst mitzugestalten, Anregungen zu geben, diese von anderen diskutieren zu lassen etc. Vielleicht erinnern Sie sich an das hierfür extra geschaffene Beteiligungstool, das leider nach der Arbeit der Enquete-Kommission wieder eingerollt und bis heute, trotz massiver Bewegungen unsererseits, nie wieder ausgepackt wurde.
Insgesamt, das ist meine feste Überzeugung, müssen politische Strukturen nicht nur sehr viel agiler, sondern auch offener für Input aus der Zivilgesellschaft sein, die darauf brennt, Gesellschaft mitzugestalten, längst nicht nur im Bereich Digitalisierung. Ich halte es für beinahe töricht, auf das immense Know-How, das auf diesem Wege zur Verfügung stünde, nicht zurückzugreifen und stattdessen lieber Steuergelder in exorbitanter Höhe in Hunderte von Beraterverträge zu investieren - mit oftmals bekannten Ausgang. Insgesamt, dafür werbe ich seit ich Digitalpolitik auf Bundesebene mitgestalten darf, die großen Chancen der Digitalisierung endlich zu stärker zu nutzen, durch eine aktive politische Begleitung der Digitalisierung samt entsprechender Strukturen auf exekutiver Seite. Dies wurde in meinen Augen bis heute verpasst. Wir kriegen es, um uns ehrlich zu machen, noch nicht einmal hin, grundlegende digitalpolitische Grundsatzentscheidungen zu fällen, beispielsweise die, wir wir als Demokratien und Rechtsstaaten zum Thema Verschlüsselung im Digitalen stehen. Und warum ächten wir eigentlich seit Jahren den Einsatz von Antipersonenminen, aber tun uns mit neuen internationalen Übereinkünften für den Grundrechtsschutz im Digitalen so schwer?
Sie merken, dem Geist des Aufbruchs aus der Enquete-Zeit ist häufig ein Stück weit Frustration angesichts der Trägheit in diesen, an dieser Stelle nur angerissenen Fragen gewichen. Eine gewisse Frustration kann jedoch durchaus auch Ansporn sein. Und für Resignation ist es zweifellos zu früh! In diesem Sinne freue ich mich sehr Sie an unserer Seite zu wissen, wenn es weiterhin darum geht, die vielen Chancen, die die Digitalisierung für uns bereithält, irgendwann doch noch nutzbar zu machen und die Digitalisierung unserer Gesellschaft(en) im Sinne des Gemeinwohls proaktiv zu gestalten!
Bleiben auch Sie gesund!
Mit besten Grüßen nach Berlin!
Konstantin v. Notz