Frage an Konstantin von Notz von Klaus R. bezüglich Verteidigung
Sehr geehrter Herr von Notz,
als am 25.03.2021 im Bundestag über die Fortsetzung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan abgestimmt wurde, haben Sie sich enthalten.
Wieso haben Sie da keine eindeutige Position zu? Konnten Sie sich bisher da kein Bild drüber machen, wie sinnvoll ein weiterer Einsatz der Bundeswehr nach 20-jähriger Anwesenheit dort ist?
Viele Grüße
K. R.
Sehr geehrter Herr Robenek,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage an mich. Über beides habe ich mich sehr gefreut.
Der Bundestag hat das Ende März 2021 auslaufende Mandat zur Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-Mission „Resolute Support“ in Afghanistan um nun mehr – anders als bei den vorherigen Mandaten – lediglich zehn Monate, also bis zum 31. Januar kommenden Jahres verlängert.
In der Tat habe ich bei der Abstimmung mit „Enthaltung“ gestimmt. Mit einer Enthaltung zu stimmen bedeutet jedoch mitnichten, lassen Sie mich das klarstellen, keine Position zu einem Thema zu haben. Und auch nicht, dass man sich bisher kein Bild drüber machen konnte, wie sinnvoll ein weiterer Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist.
Im Gegenteil: Diese Entscheidung habe ich mir wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen alles andere als leicht gemacht, auch vor dem Hintergrund, dass wir, das muss an dieser Stelle auch klar gesagt sein, auf das hier in Rede stehende Mandat keinen Einfluss haben.
Gerne möchte ich Ihnen meine Gründe für diese Haltung in der schwierigen und gewichtigen Frage genauer darlegen:
Die Entscheidung über Bundeswehr-Auslandseinsätze gehört zweifelsfrei zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen haben. Der militärische Einsatz darf dabei immer nur äußerstes und kurzfristiges Mittel zur Gewalteindämmung und Friedenssicherung sein. Den Einsatz in Afghanistan halte ich dennoch zum heutigen Zeitpunkt für geboten.
Gleichzeitig muss man festhalten: In Afghanistan befindet sich die Bundeswehr seit vielen, vielen Jahren im Einsatz. Dieser Einsatz ist ihr längster und kontroversester Auslandseinsatz, der nicht nur Afghanistan, sondern auch Deutschland geprägt hat. Leider ist bis heute die (Sicherheits-)lage in Afghanistan äußerst fatal und instabil.
Als Parlamentarier erreichen uns eine Vielzahl von Zuschriften von Angehörigen der Streitkräfte und Ihren Familien, die sich zunehmend Sorgen um die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten vor Ort machen. Genauso erreichen uns zahlreiche Zuschriften von Menschen, die in der Entwicklungszusammenarbeit arbeiten und uns mit drastischen Worten die Notwendigkeit des deutschen Engagements vor Ort schildern.
Grundsätzlich können „Unterstützungs- oder Stabilisierungseinsätze“ meiner Ansicht nach durchaus sinnvoll und wichtig sein. Viele der Verlängerungen des Afghanistan-Mandats hatten jedoch immer wieder eine ganze Reihe von unklaren Punkten und Widersprüchen zum Inhalt – mit schwerwiegenden Folgen, denn auch diese Entscheidungen trugen zur aktuellen ungenügenden sicherheitspolitischen Lage in Afghanistan bei.
Der Afghanistan-Einsatz, so wie er in den vergangenen Jahren mandatiert und vollzogen wurde, ließ die Zukunfts- und Abzugsperspektive vermissen. Doch unabhängig davon nahm und nimmt die Bundeswehr bei ihrem Einsatz eine wichtige unterstützende und koordinierende Rolle ein, wie etwa bei der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte.
Die Soldatinnen und Soldaten leisten dabei ihren Dienst unter größten Gefahren für Leib und Leben und ihr herausragender Einsatz verdient unser aller Respekt und Anerkennung. Mit jedem neuen oder verlängerten Mandat müssen wir uns auch dem Risiko, dem die Menschen, die es ausführen müssen, täglich begegnen, bewusst sein. Eine für uns Parlamentarier vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsabwägung bedarf daher größtmöglicher Sorgfalt, der ich versuche gerecht zu werden.
Auf der anderen Seite birgt ein vorschneller oder ungeplanter Abzug vor Festigung der Sicherheitslage auch die Gefahr bereits erlangte Erfolge zu gefährden. Die negativen Auswirkungen kurzfristiger Hilfs-Einsätze wurden in der Geschichte immer wieder auf schrecklichste Weise unter Beweis gestellt. Vorliegend ist jedoch primär nicht die Kurzfristigkeit des Einsatzes, die hier ja ohnehin in Abrede steht, problematisch. Das Engagement der Bundeswehr wie der internationalen Gemeinschaft muss nicht nur so langfristig wie nötig, sondern vor allem stets ganzheitlich und auf verschiedenen (vor- und nachgelagerten) Ebene geschehen. Klar ist: Es braucht ein sicheres Umfeld, damit zivile und wirtschaftliche Hilfe ihre Wirkung entfalten kann. Frieden ist die Grundlage für jedwede Art von Stabilität und Wideraufbau; Frieden kann es jedoch letztlich nur auf Grundlage einer politischen Lösung in Afghanistan geben. Ein militärischer Einsatz kann immer nur Ausgangssituation sein. Dann braucht es einen strategisch vernetzten Ansatz, wie er sich mittlerweile aus guten Gründen auch völkergewohnheitsrechtlich etabliert hat.
Seit Jahren besteht vor allem in einem Punkt Einigkeit: Rein militärisch sind die Taliban nicht zu bezwingen. Bei den Verhandlungen über die Rahmenbedingungen einer innerafghanischen Friedenslösung, welche die afghanische Verfassung und wesentliche gesellschaftliche und politische Errungenschaften wahrt, wurden in den vergangenen Jahren jedoch kaum Fortschritte erzielt. Die künftig zu erwartenden Entwicklungen sind auch angesichts der Biden-Administration nur schwer vorherzusagen. Doch für einen nachhaltigen Prozess hin zur Befriedung des Landes muss alles versucht werden, um die Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und der Taliban endlich voran und den Militäreinsatz zu Ende zu bringen. Für ein Zustandekommen und Voranbringen guter Verhandlungen ist auch Bundesregierung in der Mitwirkungspflicht.
In den vergangenen Jahren wurde manches unter großen Mühen und Opfern erreicht. Gleichzeitig wurden viele Fehler gemacht. Die Bundesregierung hat auf eine regelmäßige Zwischenbilanzierung verzichtet und auch die von uns Grünen geforderte, unabhängige Evaluation des Einsatzes bleibt sie bis heute schuldig. Trotz des massiven Engagements der internationalen Staatengemeinschaft halten Korruption und Klientelwirtschaft an. Und trotz massiver militärischer und ziviler Unterstützung konnte das Erstarken der Taliban nicht verhindert werden. Und immer noch werden, obwohl die Sicherheits- und Pandemielage verheerend ist, Geflüchtete von Deutschland nach Afghanistan abgeschoben.
Mit dem Beginn ihres militärischen Engagements hat die internationale Gemeinschaft eine Schutzverantwortung für die Menschen in Afghanistan übernommen. Dieser Verantwortung galt und gilt es gerecht zu werden. Im zivilen und, solange notwendig, auch im militärischen Bereich, um die Sicherheit für Ersteres zu ermöglichen. Doch nach über einem Jahrzehnt ist das Bild, das sich ergibt, wenn man nach der Bilanz des Einsatzes fragt, keinesfalls klar, sondern äußerst vielschichtig und ernüchternd. In den letzten Jahren galt es vor allem die militärischen Maßnahmen runter- und den zivilen Einsatz hochzufahren, doch das gelang kaum. Zweifelsfrei ist heute klar, der zwingend notwendige „vernetzte Ansatz“ hätte besser praktiziert werden können und müssen. Die stattdessen von der Bundesregierung vollführte Inkonsequenz bezüglich der Vorgehensweise hatte zahlreiche schwere Folgen, mit dessen Auswirkungen die afghanische Zivilgesellschaft bis heute kämpft.
Aus den Fehlern der Vergangenheit müssen wir lernen. Insbesondere im zivilen Bereich – angefangen mit der Rechtsstaatsförderung, über die gute Ausbildung von Polizeikräften bis hin zur wirtschaftlichen Entwicklung - braucht es verlässliche Zusagen und ein langfristiges Engagement. Der Schwerpunkt deutscher Entwicklungszusammenarbeit muss die Einhaltung der Menschenrechte und eine funktionierende und rechtsstaatliche Regierungsführung sein. Die Förderung von Frauenrechten ist für die Basis dessen ebenso essentiell wie die konsequente Unterstützung im Bereich Bildung und Beschäftigungsförderung. Hierfür hätte die Bundesregierung beispielsweise über den gesamten Zeitraum der Transformationsdekade bis 2024 angemessene Mittel bereitstellen können und in meinen Augen auch müssen.
Nun gilt es, die alten Fehler des Afghanistan-Engagements endlich anzugehen und sich für neue Lösungen im Rahmen der internationalen Verbündeten einzusetzen. Abertausende Soldatinnen und Soldaten und zivile Aufbauhelfende haben in den letzten Jahren versucht, den Wiederaufbau voranzubringen. Ihre wichtigen Erfahrungen müssen in die bedeutenden Diskussionen um die Frage, wie die Bundesrepublik sich in Zukunft in Auslandseinsätzen, auch anderen, wie etwa dem laufenden in Mali, einbringen soll, mit einfließen. Hierfür sind u.a. unabhängige Evaluierungen weiterhin zwingend von Nöten.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Erläuterungen mein Abstimmungsverhalten zu dieser durchaus schwierigen Frage habe nachvollziehbar darlegen können.
Mit besten Grüßen nach Gelsenkirchen!
Konstantin v. Notz