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Konstantin von Notz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Gerhard R. •

Frage an Konstantin von Notz von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag,

Nachfrage zur Antwort vom 12.3.

Ist die Anwendung des Schulgesetzes auf das ungenehmigte Fernbleiben vom Unterricht wegen der Klimademonstrationen zumindest teilweise verfassungswidrig?

Als dieses Gesetz entstand, war nicht voraussehbar, dass Jugendliche wegen der schlechten Klimapolitik mit Demonstrationen und ungenehmigtem Fernbleiben vom Unterricht um ihre Zukunft kämpfen müssen.

Bei den Schulstreiks geht es einerseits um die Schulpflicht nach dem Schulgesetz und andererseits um das
im Grundgesetz enthaltene Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Nach Artikel 2 GG hat JEDER dieses Recht.

In dieses Recht kann aufgrund des Schulgesetzes eingegriffen werden.
Zum Schulgesetz: Die Klimademonstrationen durch Jugendliche können nur – allgemein bekannt – die für den Zweck nötige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erreichen, wenn es das ungenehmigte Fernbleiben vom Unterricht gibt. Diese Situation erfordert das Abwägen zwischen der Schulpflicht und dem Kampf um das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Stimmen wir darin überein, dass Letzteres den höheren Wert hat?
Gibt es trotzdem ein Sonderrecht, das auch bei Klimademonstrationen
das ungenehmigte Fernbleiben vom Unterricht verbietet?
Falls ja: Würde das im Ergebnis dazu führen, dass den Jugendlichen
das Recht auf Leben und köperliche Unversehrtheit vorenthalten wird?
Muss also auch hier eine Lösung gefunden werden, die mit dem Bildungsauftrag vereinbar ist und gleichzeitig den Jugendlichen den Kampf
um ihr Grundrecht nach Artikel 2 Grundgesetz mit einer noch akzeptablen
Einschränkung ermöglicht?
Beispiel: 6 x im Schuljahr wird das ungenehmigte Fernbleiben vom
Unterricht wegen Klimademonstrationen ohne Nachteile bleiben.

Falls ein Kompromiss scheitert: Werden die Grünen auf gerichtliche Wege
für die Umsetzung des Grundgesetzes kämpfen?

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr R.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Nachfrage zu meiner Antwort vom 12. März 2019.

Unter dem Motto „Fridays for Future“ demonstrieren mittlerweile jeden Freitag Zehntausende Schülerinnen und Schülern allein in Deutschland für einen besseren Klimaschutz und echte politische Handlungen. Wer zur Demo geht, fehlt allerdings in der Schule und verpasst den Unterricht, zu dessen Besuch Schülerinnen und Schüler, zumindest bis zu einem gewissen Alter, verpflichtet sind.

Die Diskussion über die Rechtmäßigkeit des Fernbleibens vom Unterricht und eine mögliche Sanktionierung von Verstößen wird derzeit sehr intensiv an zahlreichen Schulen dieses Landes diskutiert. Hier kommt es bislang, das ist zumindest mein Eindruck, zu höchst unterschiedlichen Herangehensweisen:

Teilweise gehen Lehrerinnen und Lehrer nach Rücksprache mit der Schulleitung gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern auf die Demos, teilweise wird von Seiten der Schulleitung auf die Schulpflicht verwiesen, aber Verstöße gegen die Anwesenheitspflicht gleichzeitig bewusst nicht sanktioniert, teilweise sind die Strafen für Schülerinnen und Schülern, die unentschuldigt vom Unterricht fernbleiben, um die „Fridays for future“-Demonstrationen zu besuchen, mit drastischen Strafen bis hin zum Schulverweis belegt. Das Vorgehen an den einzelnen Schulen hängt zum Teil auch von Vorgaben durch die zuständigen Kreis- und Landesbehörden ab. So ist mir beispielsweise der Fall einer Bezirksregierung zu Ohren gekommen, die erklärt hat, dass Schüler während der Schulzeit zwar nicht aufgrund des Besuchs einer Demonstration dem Unterricht fernbleiben dürfen, allerdings die Möglichkeit besteht, eine Begründung zu schreiben und die Schule dann durchaus über Ausnahmen verhandeln kann.

Insgesamt bin ich der Ansicht, dass es grundsätzlich begrüßenswert ist, wenn sich Schülerinnen und Schülern für Ihre Rechte und den Schutz der Umwelt engagieren – in welcher Form auch immer. Bei den derzeit zu treffenden Aushandlungsprozessen zwischen Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, der jeweiligen Schulleitung, den Kreis- und Landesbehörden u.a. rate ich allen Beteiligten zu einer größtmöglichen Gelassenheit und offenen Diskussionen über diese durchaus spannenden Fragen. Schon ihre gemeinsame, ergebnisoffene Erörterung kann durchaus ein Mehrwert sein. Zu diesen Diskussionen gehört für mich auch die Abwägung rechtlicher Argumente pro und contra des Besuchs der Demos. Ich fände es jedoch falsch, diese wichtigen Debatten über den notwendigen Schutzunserer Lebensgrundlagen, die Schulpflicht und das Recht, an Demonstrationen teilzunehmen, allein auf rechtliche Argumente zu beschränken.

Und selbstverständlich müssen bei der Betrachtung und Bewertung der Rechtslage alle Aspekte, auch die verfassungsrechtlich verbrieften Rechte der Schülerinnen und Schüler herangezogen werden, zum Beispiel auch Artikel 8 GG. Ein Heranziehen allein der Schulpflicht nach dem Schulgesetz greift hier also meines Erachtens bei Weitem zu kurz.

Mit erneut besten Grüßen nach Schönewalde!
Konstantin von Notz

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