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Konstantin von Notz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Karl-Jürgen H. •

Frage an Konstantin von Notz von Karl-Jürgen H. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Dr. von Notz,

in einem von NDR Info am 6. August gesendeten Interview befürworteten Sie unabhängig arbeitende Staatsanwaltschaften. Von früher kenne ich den Rechtsstaat mit weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften und unabhängigen Richter. Irgendwie haben es die Staatsanwälte inzwischen geschafft, in der öffentlichen Diskussion die Unabhängigkeit der Richter mit einer Unabhängigkeit „der Justiz“ zu vermischen.
Aber welche Folgen hat das im Strafprozess? Die Anklage eines unabhängigen Staatsanwalts bekommt immer mehr den Charakter einer Vorverurteilung, ehe sich ein Angeklagter im Prozess überhaupt verteidigen kann. Siehe den Prozess gegen Christian Wulff.
Darüber hinaus haben die Bürger dann keine Möglichkeit mehr, über ihre gewählten Vertreter mitzubestimmen, welche Schwerpunkte die von ihnen bezahlten Beamten bearbeiten.
Was spricht aus Ihrer Sicht für unabhängige Staatsanwälte oder wäre es nicht höchste Zeit, die Entwicklung zu unabhängigen Staatsanwälten rückgängig zu machen?

Mit freundlichen Grüßen

Karl-Jürgen Hanßmann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Hanßmann,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre Frage vom 06.08.2015 und Ihr Interesse an meiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen.

Sie sprechen einen Sachverhalt an, dass in der deutschen Rechtspolitik seit gut 30 Jahren höchst kontrovers diskutiert wird. Diese Diskussion führen wir auch im Bundestag, in den letzten Jahren vor allem auch im Kontext der juristischen Aufarbeitung des Überwachungs- und Geheimdienstskandals, auf den Edward Snowden und eine Handvoll engagierter Journalistinnen und Journalisten durch ihre Veröffentlichungen aufmerksam gemacht haben.

Ich gebe Ihnen insoweit Recht: Unsere Staatsanwaltschaften unterliegen einem gänzlich anderen rechtlichen Rahmen als die Richterschaft. Sie sind eingebunden in die Strukturen auch politischer Rechenschaftspflicht, angebunden an die mit demokratischer Legitimation ausgestatteten Ministerien, welche in bestimmten Umfang Kontrollfunktionen ausüben. Sie arbeiten insoweit weisungsgebunden. Für diesen Weg hat man sich aus Gründen des Schutzes der Bürgerinnen und Bürger entschieden, um den sogenannten Inquisitionsprozess in Deutschland zu beenden, also die richterliche Einheit aus Anklage und richterlicher Entscheidung. Das Weisungsrecht ist damit auch Teil der Gewaltenteilung und der parlamentarischen Kontrolle der Justiz.

Einzelfälle wie etwa der Mollath-Fall in Bayern zeigen immer wieder, dass auch die Richterschaft zweifellos nicht von strukturellen Fehlern geschützt bleibt und es daher eines Gegenwichts bedarf. Für diese Weisungsstruktur spricht letztlich auch, dass die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung durch die Polizei anleitet, welche wiederum als Teil der Exekutive einer deutlichen demokratischen Rechenschaftspflicht unterliegen.

Und doch gibt es zahlreiche Fälle, bei denen sich das Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwälten als problematisch erweisen kann, beispielsweise bezüglich der Nichterhebung von Anklagen bis hin zu unergründlichen Verfahrenseinstellungen.

Gerade der Generalbundesanwalt hatte und hat eine politisch besonders aufgeladene Rolle. Allein vor diesem Hintergrund besteht immer die latente Gefahr, dass die Weisungsgebundenheit zu problematischen Konstellationen führen kann. In anderen Ländern, beispielsweise Italien, hat dies dazu geführt, dass in den zurückliegenden Jahren unabhängige Staatsanwaltschaften geschaffen wurden, vor allem um Korruption effektiv bekämpfen zu können.

Ich denke, dass auch der aktuelle Fall erneut berechtigte Fragen aufwirft. Konsens dürfte in der Diskussion sein, dass alle Seiten eine in der Sache (der gesetzesgebundenen Arbeit) unabhängige staatsanwaltschaftliche Tätigkeit wünschen. Gleichzeitig muss es, wie Sie ganz richtig sagen, in bestimmten Ausnahmefällen aber möglich bleiben, auf Fehlentwicklungen einzuwirken.

Möglicherweise kann über Vorgaben der Transparenz und der besseren Rechenschaftspflicht solcher Maßnahmen ein verbesserter rechtlicher Rahmen für die Staatsanwaltschaften gefunden werden. Als grüne Bundestagsfraktion werden wir die Diskussion über die von Ihnen angesprochenen Fragen, die gerade durch die Veröffentlichungen von netzpolitik.org im Fokus des öffentlichen Interesses stehen, auch weiterhin intensiv erörtern.

Mit Dank für Ihr Interesse an unseren Positionen sowie besten Grüßen nach Hamburg!
Konstantin v. Notz

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