Frage an Konstantin von Notz von Jürgen B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Notz,
heute (26.02.2010) wurde eine Aufstockung von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan im Parlament auch mit den Stimmen der Grünen beschlossen.
Umfragen unter den Bürgerinnen und Bürgern haben als Ergebnis eine deutliche Ablehnung (etwa Zwei Drittel der Befragten) eines erweitereten Einsatzes ergeben und eine überwiegende Mehrheit hält die Floskel von "Die Sicherheit Deutschlands wird am Hindukush verteidigt" für obsolet.
Ich frage Sie, unter welchen Prämissen die von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Vertreterinnen und Vertreter eine solche Entscheidung herbeiführen?
- Sind es Entscheidungen aufgrund von Informationen, die dies rechtfertigen - und die den Wählerinnen und Wählern nicht bekannt gemacht werden? Das wäre recht fatal in einer demokratisch verfassten Republik!
- Sind es Entscheidungen, die abgehoben von der realen Lebenssituation hierzulande getroffen werden (Wieviele Kinder von Bundestagsabgeordneten sind in Afghanistan eingesetzt - Ich wage es nicht, eine Prognose abzugeben! - Tendiert diese Zahl gegen Null?).
- Sind es Entscheidungen, die aufgrund eines "globalen" politischen "Druckes" getroffen werden? Wo bleiben dann die in der Globalisierung immer relevanten vielfältigen Positionen?
Und zum Schluss möchte ich Sie fragen, wie Ihre Abstimmung war.
Zwar befürchte ich, dass Sie das Vertrauen von über 60 % Ihrer Wählerinnen und Wähler nicht respektierten (denn auch vor der Budnestagswahl war die überwiegende Mehrzahl der Wahlberechtigten gegen den Afghanistaneinsatz), hoffe aber dennoch, dass Sie dem Fraktionszwang widerstanden ...
Beste Grüße
J.Georg Brandt
Sehr geehrter Herr Brandt,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen vom 27.02.2010 und mein Abstimmungsverhalten im Bundestag bezüglich der Mandatsverlängerung für die Auslandseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, die ich gerne beantworte.
Zu Ihren Fragen in Einzelnen: Meine Entscheidung, mich bei der Abstimmung zu enthalten, habe ich mir nicht leicht gemacht. Sie ist das Resultat eines langen, persönlichen Abwägungsprozesses. In ihn habe ich sowohl die Ergebnisse langer innerfraktionelle Debatten als auch die Meinung von ausgewiesenen Afghanistanexperten einfließen lassen. Ich kann Sie beruhigen: Entscheidungen darüber, wie ich im Bundestag abstimme, fälle ich, anders als Sie es vermuten, bestimmt nicht aufgrund eines „Fraktionszwangs“ oder auf Grund eines "globalen politischen Druckes". Auch nehme ich für mich in Anspruch meine Entscheidung nicht „abgehoben von der realen Lebenssituation“ zu treffen. Entscheidungen über mein Abstimmungsverhältnis treffe ich vielmehr ganz persönlich und nach bestem Wissen und Gewissen.
Die wesentlichen Beweggründe, die mich dazu veranlasst haben, mich letztendlich bei der Abstimmung zur Verlängerung des Bundeswehrmandates für Afghanistan zu enthalten, will ich Ihnen im Folgenden gerne erläutern.
Im Eiltempo wollte die Bundesregierung ein neues 12-monatiges ISAF-Mandat für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan durch den Bundestag bringen. Wesentlicher Bestandteil ist eine Truppenerhöhung um 850 Soldatinnen und Soldaten. In einer Regierungserklärung hat Außenminister Westerwelle im Bundestag die Truppenerhöhung und den veränderten Ansatz der Regierung vorgestellt. Die Bewertung muss meines Erachtens nach ambivalent ausfallen: Zwar sind die Stärkung des zivilen Aufbaus und die Verständigung auf eine Abzugsperspektive positiv zu bewerten, gleichzeitig bleiben die künftigen politischen Ziele der Bundesregierung für Afghanistan jedoch schwammig. So setzt man zum Beispiel im Polizeibereich die Halbherzigkeit der Vergangenheit nur fort. Zudem bewerte ich die angekündigte militärische Truppenaufstockung als höchst problematisch.
Dies gilt sowohl für die angekündigte deutliche Truppenaufstockung der internationalen Gemeinschaft als auch für die der deutschen Bundesregierung. Das gilt auch für den Norden, in dem nicht nur die zusätzlichen 850 Bundeswehrsoldaten, sondern auch 5.000 amerikanische Soldaten neu stationiert werden. Die Bundesregierung begründet diese Aufstockung mit einer Verstärkung der Ausbildungsbemühungen der afghanischen Truppen.
Dieses Argument hat die Regierung bereits bei der letzten Truppenausstockung bemüht, als 1000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan geschickt wurden. Trotz der damaligen großen Aufstockung werden bisher nur 280 Soldatinnen und Soldaten für die Ausbildung eingesetzt werden. Die Begründung der Bundesregierung überzeugt daher nicht. Eine Alternative wäre eine weitere Umschichtung im bestehenden Mandat. Dazu könnten beispielsweise die faktisch überflüssigen TORNADO-Aufklärungsflugzeuge abgezogen werden.
Ohne Zweifel ist die derzeitige Situation in Afghanistan sehr schwierig, die Zustände im Land nach wie vor fragil. Dies haben mir die außenpolitischen Expertinnen und Experten meiner Fraktion, die in den letzten Monaten zahlreich im Land unterwegs waren, bestätigt.
Noch immer destabilisieren Warlords, Taliban, Al-Quaida, korrupte Verwaltungs-Beamte und ein unter fragwürdigen Umständen gewählter Präsident das Land. Noch immer ist der afghanische Staat nicht in der Lage, eigenständig für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen.
Gleichzeitig, auch das haben mir zahlreiche Experten bestätigt, würde eine sofortige Beendigung des ISAF-Einsatzes das Land sehr wahrscheinlich in einen Bürgerkrieg führen. Dennoch, dass muss man eingestehen, sind die Erfolge der internationalen militärischen Präsenz bislang mehr als dürftig. Auch weiterhin stehen die Mittel für Militär und zivilen Aufbau in keinem verantwortbaren Verhältnis. Eine Evaluierung der bisherigen Erfolge - und Misserfolge - findet nicht statt.
Zwar hat die Bundesregierung in der Bundestagsdebatte betont, dass 2011 mit einem Abzug der Truppen begonnen werden soll und in fünf Jahren die afghanische Regierung die Verantwortung für die äußere und innere Sicherheit Afghanistans übernehmen soll, es fehlen aber zugleich präzise Zwischenziele für die Umsetzung dieses Zeitplans. Die Bundesregierung vertagt auch weiterhin wesentliche Entscheidungen und lässt nach wie vor offen, was sie wann wie erreichen will. Diese Situation ist weder für die Menschen in Afghanistan, noch für die humanitären Helferinnen und Helfer im Land, noch für unsere Soldatinnen und Soldaten akzeptabel.
Aus diesem Grund kann ich der Verlängerung des Mandats ohne substantielle Kurskorrektur auch weiterhin nicht zustimmen. Dennoch stehen wir, das ist meine Überzeugung, in der Verantwortung, den Wiederaufbau des Landes und die Frauen und Männer, die in den letzten Jahren Verantwortung in der Zivilgesellschaft übernommen haben - sei es als LehrerInnen, PolitikerInnen, an Universitäten, usw. - auch weiterhin zu unterstützen.
Auch aus diesem Grund habe ich mich bei der Abstimmung im Bundestag enthalten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen, sehr geehrter Herr Brandt, verdeutlichen, dass ich mir die Entscheidung, wie ich bezüglich der Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr abstimme, alles andere als leicht gemacht habe. Die Beweggründe für meine Enthaltung habe ich Ihnen dargelegt.
Herzliche Grüße nach Lübeck!
Konstantin von Notz