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Frage von Sebastian von R. •

Frage an Klaus Brandner von Sebastian von R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Brandner,

im Gegensatz zu den immer noch regen Debatten im Bundestag, lässt das Abstimmverhalten Ihrer "Genossen" - so wie auch Ihr eigenes - erkennen, dass die programmatischen Unterschiede zwischen der SPD und der CDU sich inzwischen, bis auf wenige Ausnahmen, marginalisiert haben.

2005, zu Zeiten der neuen Großen Koalition, war es ja durchaus wünschenswert, das eine so überwältigende Mehrheit des Bundestages in der Lage sein würde, mit quasi einer Stimme signifikante Reformen herbeizuführen. Letztendlich kommt es dem ehemaligen SPD-Wähler (zu dem ich im Übrigen nicht gehöre) derzeit aber sicherlich so vor, als dass er seine Stimme 2005 wegen gleicher Auswirkungen genau so gut der CDU hätte geben können. Mit dem einzigen Unterschied, dass diese augenblicklich keine nennenswerten, internen Personalprobleme in der Presse auszutragen hat.

Finden Sie nicht auch, dass die SPD mit dem Kompromiss der Großen Koalition unter Kanzlerin Merkel 2005 ihr komplettes Profil, und damit ihr Aushängeschild, respektive Gesicht, verloren hat? Wie gedenken Sie, dem Wähler nächstes Jahr eine von der CDU abweichende, eigene Meinung der SPD zu verkaufen, wenn das Ergebnis Ihrer Arbeit in den, bisher letzten 3, zu dem Zeitpunkt dann 4 Jahren kaum einen Unterschied zur, offenbar besser organisierten CDU hat erkennen lassen? Wird die SPD mit anderen, denkbaren Koalitionspartnern - zu denen ich nach der Erfahrung in Hessen explizit auch die Linke zähle - ähnlich "kompromissbereit" sein?

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir Ihre Meinung zu diesem Thema mitteilen würden und mir die Fragen aufklären könnten. Bis dahin verbleibe ich

mit besten Grüßen,

Sebastian von Rabenau

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr von Rabenau,

vielen Dank für Ihre Frage vom 28. August 2008. Der Gedanke, die SPD könnte in der Großen Koalition ihr Profil eingebüßt haben, beschäftigt sicherlich viele SPD-Anhänger. Deshalb nehme ich mir gern die Zeit, näher auf die von Ihnen aufgeworfenen Fragen einzugehen.

Sie führen aus, das Abstimmungsverhalten von SPD und Union im Bundestag lasse erkennen, dass es inzwischen kaum noch programmatische Unterschiede zwischen SPD und CDU/CSU gebe. Tatsächlich erfordern Sinn und Arbeitsweise einer Regierungskoalition ein einheitliches Abstimmungsverhalten der Koalitionspartner. SPD und CDU/CSU haben im November 2005 einen Koalitionsvertrag geschlossen. In einer Koalitionsvereinbarung werden nicht nur das Regierungsprogramm, also politische Vorhaben festgelegt, sondern sie bildet auch die Grundlage für Zusammenarbeit und Arbeitsweise der Koalition.

In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU/CSU von November 2005
heißt es:

"Die Partner tragen für die gesamte Politik der Koalition gemeinsam Verantwortung. Die Koalitionspartner CDU/CSU und SPD werden ihre Arbeit in Parlament und Regierung laufend und umfassend miteinander abstimmen und zu Verfahrens-, Sach- und Personalfragen Konsens herstellen. [...] Im Bundestag und allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen."

Es ist also Grundlage der Zusammenarbeit in der Regierungskoalition, dass das Abstimmungsverhalten von SPD und CDU/CSU im Bundestag sich nicht unterscheidet. Union und SPD müssen sich also bei allen Abstimmungen im Parlament auf einen Konsens verständigen. Politische Initiativen werden gemeinsam von beiden Fraktionen eingebracht. Für die konkrete Arbeit bedeutet das, dass Union und SPD sich bei allen Sachfragen, wo sie nicht derselben Auffassung sind, auf einen Kompromiss einigen müssen.

Meiner Auffassung nach ist es der SPD in den Koalitionsverhandlungen mit der Union gelungen, im Koalitionsvertrag eine sozialdemokratische Handschrift durchzusetzen. Das möchte ich gern an einigen Beispielen erläutern, die mein Fachgebiet, die Arbeits- und Sozialpolitik, betreffen.

1. Tarifautonomie

Die Union hatte in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2005 gesetzliche Öffnungsklauseln gefordert. Die Forderung nach gesetzlichen Öffnungsklauseln hätte die verfassungsrechtlich garantierte Schutz- und Ordnungsfunktion der Tarifverträge unterlaufen. Flächentarifverträge hätten lediglich einen unverbindlichen Richtliniencharakter. Dieser Eingriff in die Tarifautonomie wurde von uns strikt abgelehnt. Diese Linie hat die SPD klar gehalten. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen erreicht, dass die Tarifautonomie uneingeschränkt erhalten bleibt, und haben "betriebliche Bündnisse" verhindert. Wir haben dafür gesorgt, dass die Gewerkschaften ihre wichtigste Waffe behalten und nicht schleichend zum zahnlosen Tiger werden.

2. Mitbestimmung

Die Union wollte die Mitbestimmung in der Betriebsverfassung auf die Regeln von 1972 zurückdrängen. Das haben wir verhindert. Die Anzahl der Betriebsräte, die Anzahl der Freistellungen, dass vereinfachte Wahlverfahren und die verbesserten Arbeitsbedingungen für Betriebsräte sind erhalten geblieben.

3. Kündigungsschutz

Beim gesetzlichen Kündigungsschutz hatte die Union weitreichende Eingriffe vor. Die Union hatte gefordert:

"Für Neueinstellungen wird das Kündigungsschutzgesetz in Betrieben bis zu 20 Beschäftigten ausgesetzt. In anderen Betrieben wird er für Neueinstellungen erst nach zwei Jahren wirksam. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages kann gegen den Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage eine Abfindung, deren Mindesthöhe gesetzlich festgelegt wird, vereinbart werden."

Die Union wollte also
- die Anhebung des Schwellenwertes auf 20 Beschäftigte,
- eine Abfindungsoption bei Abschluss des Arbeitsvertrages gegen
Verzicht auf Kündigungsschutz,
- die Herausnahme des Kriteriums Alter aus der Sozialauswahl,
- eine Verlängerung der Wartezeit auf zwei Jahre,
- die wiederholte Zulassung sachgrundloser Befristungen.

Wir konnten in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen, dass der Kündigungsschutz als tragendes Element unseres Arbeitsrechts in seiner Systematik erhalten bleibt.

Dies sind nur drei Beispiele, aber sie sind von enormer Bedeutung, denn sie zeigen, dass die SPD sich in essentiellen Bereichen mit sozialdemokratischen Inhalten durchsetzen konnte. Im Übrigen hat die Union ihre Forderungen nicht aufgegeben. Aber in einer Koalition mit der SPD wird sie keine Gelegenheit haben, die Tarifautonomie, die Mitbestimmung oder den Kündigungsschutz zu schwächen.

Natürlich muss auch die SPD in der Koalition ihre Fähigkeit zum Kompromiss beweisen. So konnten wir z.B. unsere Vorstellungen einer solidarischen Bürgerversicherung in der Krankenversicherung nicht vollständig umsetzen. Aber auch hier bedeutet das nicht, dass wir diese Idee aufgegeben haben. Sie lässt sich jedoch in einer Koalition mit der Union derzeit nicht verwirklichen.

Die Große Koalition hat die erfolgreiche Arbeit der rot-grünen Regierung fortgesetzt. Unter Gerhard Schröder haben wir wichtige Reformen in Angriff genommen, die in 16 Jahren Kohl-Regierung verschleppt worden sind. Die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist Ergebnis rot-grüner Reformpolitik. Unter unserer Regierungsbeteiligung ist die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken. Im Mai 2008 sank die erstmals wieder seit November 1992 unter die 8-Prozent-Marke. Im Oktober 2008 sank die Arbeitslosigkeit weiter unter 3 Millionen. Allein im letzten Jahr haben mehr als eine halbe Million Menschen eine reguläre Beschäftigung gefunden. Niemals gab es in Deutschland so viele Beschäftigte wie heute: Über 40 Millionen Erwerbstätige und rund 27,4 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftige sprechen einen eindeutige Sprache.

Auch beim Thema Mindestlohn haben wir gegen den Widerstand der Union einiges erreicht. Wir haben das Arbeitnehmerentsendegesetz von der Baubranche und dem Gebäudereinigerhandwerk zum 1. Januar 2008 auf das Postdienstgewerbe ausgeweitet. Der Wegfall des Briefmonopols wird damit im Postbereich nicht zum Wettbewerb um schlecht bezahlte Arbeitsplätze führen. Zum 31. März 2008 haben darüber hinaus weitere acht Branchen die Aufnahme in das Arbeitnehmerentsendegesetz beantragt. Insgesamt wären damit mehr als 3,3 Millionen Menschen in den Schutz des Mindestlohnes einbezogen. In allen Branchen, die aufgrund der fehlenden Tarifbindung nicht in den Bereich des Arbeitnehmerentsendegesetzes fallen können, gilt zukünftig das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Diese beiden Gesetze gewährleisten, dass keine "weißen Flecken" entstehen. Das Arbeitnehmerentsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz sind zwei Schritte auf dem Weg zu einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. An diesem Ziel halten wir fest.

Diese Aufzählung ließe sich noch weiter fortführen, aber ich denke, das würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Meiner Meinung nach kann unsere Bilanz sich durchaus sehen lassen und die SPD konnte in der großen Koalition in wichtigen Bereichen sozialdemokratische Inhalte umsetzen.

Im kommenden Bundestagswahlkampf werden wir Sozialdemokraten unsere Vorstellungen einer gerechten und solidarischen Gesellschaft deutlich machen. Bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr haben die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, in welche Richtung es in diesem Land gehen soll.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Brandner