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Klaus Brandner
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Frage von Thorsten F. •

Frage an Klaus Brandner von Thorsten F. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

ich habe als engagierter IG Metaller (wie auch tausende andere Kolleginnen und Kollegen) viele Stunden Freizeit investiert, um gemeinsam mit unserer Mutter IG Metall gegen die ungerechte Politik (die Erhöhung der Mehrwertsteuer sei hier nur als ein Beispiel genannt) und unsozialen Reformen wie: Unternehmens-Steuerreform, Rentenreform und Gesundheitsreform zu demonstrieren und für einen gesetzlichen Mindestlohn (der in vielen europäischen Länder schon zum Standard gehört) zu kämpfen.

Meine Frage ist:
Können sie ihre Standpunkte nennen, warum sie für die Unternehmenssteuerreform, für die Mehrwertsteuerhöhung, für die Gesundheitsreform, für die Rente mit 67, und gegen einen Mindestlohn gestimmt haben.

Mit der Hoffnung auf eine Antwort

Thorsten Folz

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Folz,

die Themen, die Sie angesprochen haben, sind sehr komplex. Gern will ich versuchen, kurz und doch umfassend und verständlich auf die von Ihnen angesprochenen Themen einzugehen und Ihnen meine Haltung zu erläutern:

Mindestlohn

Ich bin für einen gesetzlichen Mindestlohn.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf gute Arbeit und faire Löhne. Denn jeder Mensch muss die Möglichkeit zur Teilhabe an sozial abgesicherter und existenzsichernder Erwerbsarbeit haben. Menschen, die Vollzeit arbeiten, müssen von ihrer Arbeit auch menschenwürdig leben können. Man darf im Übrigen nicht vergessen, dass Mindeststandards nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Lohndumping schützen. Sie schützen auch die Unternehmen -- und zwar insbesondere kleine und mittlere Betriebe -- vor einem Vernichtungswettbewerb durch Konkurrenten, die mit Dumpinglöhnen arbeiten. Mindestlöhne sichern also Arbeitsplätze und gefährden sie nicht. Im Übrigen haben unsere europäischen Nachbarn gute Erfahrungen mit gesetzlichen Mindestlohnregelungen gemacht. 21 von 27 EU-Mitgliedsstaaten haben einen gesetzlichen Mindestlohn. Negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung sind dort nicht festzustellen. Im Gegenteil: In Großbritannien ist die Beschäftigung sogar gestiegen. Darüber hinaus gehört besser statt billiger zum Erfolgsrezept unserer sozialen Marktwirtschaft. Wir wollen, dass der Wettbewerb durch Leistung, also durch Qualität, hohe Produktivität, Innovation und Service entschieden wird und nicht durch einen Kampf um den niedrigsten Lohn. Einen Wettbewerb um die niedrigsten Löhne -- davon bin ich überzeugt --wird niemand gewinnen.

Ich bin froh, dass wir Ende des vergangenen Jahres rechtzeitig zum Fall des Briefmonopols einen Mindestlohn für die Briefdienstleister durchsetzen konnten. Wir haben erreicht -- auch gegen massiven Widerstand aus den Reihen der Unionsfraktion --, dass die Briefdienstleister ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Damit sind die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der von den Tarifvertragsparteien für das Briefdienstgewerbe vereinbarte Mindestlohn seit dem 1. Januar 2008 allgemeinverbindlich gilt. Wir konnten also verhindern, dass der Wegfall des Briefmonopols einen Wettlauf um die niedrigsten Löhne nach sich zieht.

Mit dem Koalitionspartner CDU/CSU ist vereinbart, dass weitere Branchen, die dies wünschen, ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Außerdem hat der Koalitionspartner zugestimmt, das Mindestarbeitsbedingungsgesetz aus dem Jahr 1952 zu novellieren. Für alle Branchen, für die es überhaupt keine tariflichen Regelungen gibt, wollen wir einen Mindestlohn auf der Grundlage dieses Gesetzes festsetzen. Meine Hoffnung ist, dass wir auf diesem Wege Verbesserungen gerade für Beschäftigte in Branchen mit niedriger Tarifbindung erreichen.

Das reicht aber nicht. Deshalb bleibt für uns Sozialdemokraten die Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn auf der Tagesordnung und wir werden weiter entschieden dafür kämpfen. Und ich bin sicher: Der gesetzliche Mindestlohn wird kommen.

Unternehmenssteuerreform:

Deutschland ist mit seiner exzellenten Infrastruktur und seinen strukturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen ein äußerst attraktiver Standort für Unternehmen, aber die Steuersituation machte es unattraktiv, so dass viele Firmen ihre in Deutschland erwirtschafteten Gewinne über Tochterfirmen im Ausland versteuerten. Hauptziel der Unternehmenssteuerreform war daher, ein Unternehmenssteuerrecht zu schaffen, das die Unternehmen veranlasst, Gewinne nicht länger ins Ausland zu transferieren, sondern in Deutschland zu investieren, und damit den Standort Deutschland und seine Arbeitsplätze zu stärken. Mit der Reform sollte also ein Anreiz gegeben werden, den Gewinn hier in Deutschland zu investieren, gleichzeitig wurde es erschwert, über Tochterfirmen im Ausland zu versteuern. So wurden zwar die Steuersätze gesenkt, die Bemessungsgrundlage aber erheblich verbreitert. Es bringt ja nichts, wenn wir einen hohen Steuersatz haben, aber niemand diese Steuern zahlt. So haben wir den nominalen Steuersatz zwar gesenkt, aber Steuerschlupflöcher geschlossen und die Besteuerungsbasis verbreitert. Unternehmen, die ihre Gewinne mit Hilfe kreativer Steuervermeidung ins Ausland verschoben haben, werden nun nicht mehr begünstigt, während Unternehmen, die ihre Gewinne ehrlich bei uns versteuern, entlastet werden. Es ging also bei der Unternehmenssteuerreform nicht um Geschenke für Unternehmen und Unternehmer, sondern um neue Arbeitsplätze und Investitionen in Deutschland. Gleichzeitig ging es darum, die Steuereinnahmen des Staates zu erhöhen und für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen. Für uns Sozialdemokraten besonders wichtig war dabei der Erhalt der Gewerbesteuer. Hier konnten wir uns voll und ganz gegen die CDU/CSU durchsetzen, die die Gewerbesteuer abschaffen wollte. Die Kommunen brauchen eine verlässliche Finanzbasis, um ihre kommunale Infrastruktur aufrecht zu halten. Mit dem Festhalten an der Gewerbesteuer haben wir die Investitionskraft der Kommunen gesichert. Davon profitiert übrigens in erster Linie der Mittelstand, denn 60 Prozent der öffentlichen Investitionen entfallen auf die Kommunen. Für mich ist klar, wir wollen keinen Steuersenkungswettlauf in Europa. Wir wollen aber wettbewerbsfähige Steuersätze. Durch die Reform ergibt sich eine Gesamtsteuerbelastung für Unternehmen, die knapp unter 30 % liegt. Damit liegt Deutschland im europäischen Mittelfeld und ist international wettbewerbsfähig. Das ist gut für Investitionen und Arbeitsplätze. Durch die Reform ist Deutschland bei der Steuerbelastung ein wettbewerbsfähiger Standort für Unternehmen und Investoren.

Rente mit 67

Mit der Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters um zwei Jahre reagieren wir auf die demographische Herausforderung für die Sozialsysteme. Wir stellen das Rentensystem auf eine stabilere Finanzgrundlage. Die schrittweise Anpassung des Rentenalters beginnt im Jahr 2012 und wird erst 2029 abgeschlossen sein.

Die Lebenserwartung Neugeborener in Deutschland ist bei Jungen von knapp 65 Jahren im Jahr 1950 auf heute etwa 76 Jahre angestiegen, bei Mädchen im gleichen Zeitraum von fast 69 Jahren auf etwa 81 Jahre.
.. Das ist auch ein Erfolg der Arbeiterbewegung. Die Abschaffung der Kinderarbeit, bessere Arbeitsbedingungen und ein verbesserter Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz haben dazu beigetragen.
.. Das ist auch das Ergebnis besserer ökologischer Bedingungen.
.. Und das ist ein Ergebnis des wissenschaftlichen Fortschritts und verbesserter medizinischer Versorgung.

Weil die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern und Frauen in den letzten Jahrzehnten so stark gestiegen ist, hat sich auch die Rentenbezugsdauer verlängert. Die Rentenbezugszeit wird sich von 1960 bis zum Jahr 2020 aller Voraussicht nach verdoppelt haben. Wir freuen uns, dass die Menschen länger leben. Wenn sich damit jedoch die Rentenbezugsdauer ständig verlängert, müssen wir eine Antwort darauf geben, wie das finanziert werden soll. Die höhere Lebenserwartung ist nur ein Teil des demografischen Wandels. Der Geburtenrückgang gegen Ende der 60er Jahre trägt ebenfalls dazu bei. Bekamen die Frauen Anfang der 60er-Jahre durchschnittlich noch zwischen 2 und 3 Kinder, bekommen sie heute im Durchschnitt nur noch knapp 1,4. Heute kommt auf drei bis vier Erwerbspersonen ein Mensch im Rentenalter. In Zukunft, in etwa 30 bis 40 Jahren, werden nur noch ein bis zwei Erwerbspersonen einem oder einer Älteren gegenüber stehen. Dann sind es nur noch maximal zwei Beitragszahler, die für die Rente eines oder einer Älteren aufkommen. Beides, steigende Lebenserwartung und Geburtenrückgang, zwingen uns zu weiteren Reformen. Denn wir wollen, dass auch die heute 30jährigen im Alter abgesichert sind.

Für uns Sozialdemokraten steht dabei fest: Wir müssen die Erwerbsbeteiligung Älterer erhöhen. Denn nur wenn uns eine nachhaltige Verbesserung der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer gelingt, ist die Anhebung der Altersgrenzen in der Gesetzlichen Rentenversicherung folgerichtig. Deshalb ist es uns besonders wichtig, die Beschäftigungschancen Älterer zu erhöhen, Anreize zur Frühverrentung abzubauen und die Arbeitsbedingungen insgesamt nachhaltig zu verbessern. Dazu gehören auch flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Deshalb haben wir im letzten Jahr eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die hierzu konkrete Vorschläge erarbeitet hat. Wir werden nicht nachlassen bei diesem Thema. Gute Arbeit ist eine Aufgabe, die wir angehen und gestalten wollen. Denn unser vorrangiges Ziel ist es, die Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland weiter zu verbessern.

Mehrwertsteuer

Wir haben im Wahlkampf 2005 ein Konjunkturprogramm gefordert und haben gleich zu Beginn des Jahres 2006 ein umfassendes 25-Milliarden-Euro-Programm aufgelegt. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Konjunkturspritze den Binnenmarkt mit in Schwung gebracht und dazu beigetragen hat, dass wir wirtschaftlich und auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sind. Das Wirtschaftswachstum ist trotz schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeldes schwungvoll und kräftig, gleichzeitig sank die Zahl der Arbeitslosen im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit 15 Jahren. Um die Handlungsfähigkeit des Staates zu sichern und damit Gestaltungsspielräume zu eröffnen, müssen wir den Staatshaushalt weiter konsolidieren. Denn nur eine gesunde Finanzsituation ermöglicht Investitionen in Wachstum und Beschäftigung. Derzeit zahlen wir 40 Mrd. Euro Zinsen, das ist 1/6 des gesamten Bundeshaushalts. Das heißt, wir finanzieren mit 40 Mrd. Euro die Vergangenheit, während wir gleichzeitig 22. Mrd. Euro in die Zukunft investieren. Das ist nicht sinnvoll und auch nicht gerecht gegenüber den nachfolgenden Generationen. Deshalb ist die Konsolidierung des Haushaltes dringend notwendig. Wir sind hier auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel. Ein Prozentpunkt der Mehrwertsteuer fließt übrigens in die Arbeitslosenversicherung. Das Geld wird so unmittelbar zurückgegeben an Arbeitnehmer und Arbeitgeber, denn nur so konnten wir zu Beginn des Jahres 2006 den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 auf 4,2 Prozent senken. Zum 1.1.2008 haben wir den Beitrag noch weiter auf 3,3 Prozent gesenkt. Für Arbeitnehmer mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2.500 Euro bedeutet dies gegenüber 2006 eine Entlastung von 40 Euro im Monat, also 480 Euro im Jahr. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass der ermäßigte Steuersatz für Güter des täglichen Bedarfs in Höhe von 7% unverändert bleibt. Auch Miete und Gesundheitsleistungen bleiben weiterhin umsatzsteuerfrei. Das bedeutet: Je mehr die Menschen höherpreisige Artikel konsumieren, desto mehr sind sie betroffen. Je mehr sie ihr Einkommen fürs Wohnen und den täglichen Bedarf verwenden müssen, umso geringer sind sie betroffen. Gerade die Mehrwertsteuer trifft daher also relativ sozial ausgewogen.

Gesundheitsreform

Für mich wie für meine Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion standen bei der Neugestaltung des Gesundheitswesens Solidarität und Leistungsfähigkeit an erster Stelle. Um eine gute und sichere medizinische Versorgung für alle zu erhalten und die solidarische Absicherung auch in Zukunft gewährleisten zu können, sind nicht nur weitere Strukturreformen für mehr Effektivität und Wettbewerb im Gesundheitswesen nötig. Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung muss an die mittel- und langfristigen Entwicklungen in der Gesellschaft angepasst werden. Allerdings spielten in der öffentlichen Debatte um die Gesundheitsreform beinahe ausschließlich Finanzierungsfragen eine Rolle. Die Qualität der Versorgung und effiziente Strukturen geraten dabei leicht in den Hintergrund.

Natürlich war die Gesundheitsreform nicht ganz so, wie wir Sozialdemokraten uns das gewünscht haben. Unter dem Strich bleibt die Gesundheitsreform jedoch ein tragfähiger Kompromiss, der auch an entscheidenden Stellen Verbesserungen gebracht hat:

- Die SPD hat eine allgemeine Versicherungspflicht für alle durchsetzen können.
- Die Strukturreformen beinhalten viele unserer Forderungen und tragen die Handschrift der SPD.
- Mit dieser Gesundheitsreform wird durch die Aufnahme von sinnvollen und medizinisch notwendigen Leistungen in den Pflichtleistungskatalog der GKV die Versorgungsqualität der Versicherten verbessert, insbesondere von älteren und schwerstkranken Patienten und Patientinnen.
- Auch in Zukunft werden alle die notwendige medizinische Versorgung erhalten und am medizinischen Fortschritt teilhaben.
- In der PKV wird durch die Portabilität der Alterungsrückstellungen und den Basistarif mit Kontrahierungszwang erstmals Wettbewerb ermöglicht.
- Die unterschiedliche Einnahmenstruktur und krankheitsbedingten Ausgaben der einzelnen Kassen werden solidarischer als bisher ausgeglichen.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Brandner, MdB