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Frage von Jürgen H. •

Frage an Klaus Brandner von Jürgen H. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

vielleicht haben Sie davon erfahren, daß auf dieser Plattform eine gehäufte Anfragetätigkeit zum Problem der rückwirkenden Eingriffe auf die Altersversorgungen der ehemaligen DDR-Flüchtlinge zu verzeichnen ist. Das Thema als solches werden Sie kennen. Ich verweise auf die BT-Drucksache 16/5571 (Kleine Anfrage der FDP). Ich hatte Ihnen als Sozialpolitischem Sprecher am 05.09.2007einen grundlegenden Kommentar zu diesem Papier geschickt und Sie darum gebeten, daß Ihr Arbeitskreis sich mit der Materie befassen möchte. Antwort habe ich von Ihnen nicht bekommen. Es ist deutlich zu erkennen, daß durch Bundesbehörden im Zusammenhang mit dem Beitritt der DDR ein Unrecht zu Lasten der ehemaligen DDR-Flüchtlinge praktiziert wird. Beschämenderweise ist die Legislative bislang nicht dazu zu bewegen gewesen, ihre ursprüngliche gesetzgeberische Absicht dagegen zu stellen und dem Mißbrauch des RÜG zu Lasten einer bestimmten Kategorie von Bundesbürgern (Altübersiedler) Einhalt zu gebieten. Warum haben Sie es bislang nicht für nötig gehalten, Ihren Arbeitskreis mit dem Thema zu konfrontieren? Sehen Sie nicht, daß hier in rechtlicher sowie verfassungsrechtlicher Hinsicht etwas im Argen liegt? Können Sie es ertragen zu wissen, daß DDR-Flüchtlnge, die in den 70-er, 80-er Jahren ihre Eingliederung in das gesellschaftliche und soziale System der alten Bundesrepublik durchlaufen haben, nach dem Beitritt der DDR rückwirkend einen Absturz ihrer Altersversorgung verordnet bekommen? Eine Wieder-Ausgliederung also, weil der Beitritt der DDR so viel gekostet hat? Vielleicht deswegen, weil sich der Staat mit der großherzigen Übernahme der Rentenanwartschaften für die alten SED-Kader ziemlich übernommen hat? Eine unglaubliche Geschichte, die leider wahr ist. Bitte überzeugen Sie sich. Bitte lesen Sie die Papiere, die ich Ihnen geschickt habe! Was hindert Sie, sich zu äußern?

MfG, J.H.

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Sehr geehrter Herr Dr. Holdefleiß,

bitte entschuldigen Sie, dass ich erst heute auf Ihre Anfrage antworte, die ja nicht nur ein rechtlich äußerst kompliziertes sondern ein auch persönlich nicht ganz einfaches Thema berührt.

Ich teile Ihre Auffassung nicht, wenn Sie sagen, die Praxis der Rentenversicherer beruhe ausschließlich auf Verwaltungsentscheidungen und sei durch kein Gesetz, das im Bundestag debattiert und beschlossen wurde, gedeckt. Auch habe es nie eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit gegeben. Das Verwaltungshandeln der Rentenversicherungsträger kann nur im Rahmen geltender Gesetze erfolgen und es muss sozialgerichtlich überprüfbar sein.

Maßgeblich für die Beurteilung der in der ehemaligen DDR erworbenen Rentenanwartschaften und insbesondere der Fragen der Anwendung des Fremdrentenrechts waren bzw. sind folgende Vorschriften:

* Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und
Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demokratischen Republik - Staatsvertrag -
vom 18. Mai 1990, Artikel 20 Absatz 7;
* Gesetz zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer
Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen
Republik vom 25. Juni 1990, Artikel 23 § 1 Abs. 2;
* Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen
Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands -
Einigungsvertragsgesetz - und der Vereinbarung vom 18. September
1990, Artikel 30 Abs. 5;
* Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen
Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG)
vom 25. Juli 1991, Artikel 38;
* Gesetz zur Ergänzung der Rentenüberleitung
(Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz - RÜ-ErgG) vom 24. Juni 1993,
Artikel 14;
* Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung -
(SGB VI), §§ 254d, 256a und 259a.

Mit dem Staatsvertrag und dem Gesetz zum Staatsvertrag wurde die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik geschaffen. Da zu diesem Zeitpunkt noch zwei Staaten bestanden, wurde in Artikel 20 des Staatsvertrages bestimmt, wie es rentenrechtlich zu beurteilen ist, wenn Personen nach dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt von einem Staat in den anderen verlegen. Mit Artikel 23 des Gesetzes zum Staatsvertrag wurde der Ausschluss der Anwendung des Fremdrentenrechts geregelt. Dies geschah - ebenfalls im Hinblick auf zwei bestehende Staaten - zunächst nur für rentenrechtliche Zeiten nach dem 18. Mai 1990 im Gebiet der DDR (Absatz 1) und für Zeiten bis zum 18. Mai 1990 nur für Personen, deren gewöhnlicher Aufenthalt am 18. Mai 1990 außerhalb der Bundesrepublik Deutschland lag (Absatz 2).

Mit der Wiedervereinigung Deutschlands sind die Regelungen des Staatsvertrages und des Gesetzes zum Staatsvertrag im Wesentlichen hinfällig geworden, da nunmehr ein einheitliches gesamtdeutsches Recht notwendig war. Mit dem Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 wurde daher bestimmt, dass die Einzelheiten der Überleitung u. a. des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Rentenversicherung - SGB VI) in einem weiteren Bundesgesetz zu regeln sind (Artikel 30 Absatz 5).

Dieser Maßgabe wurde mit dem Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG) und dem Gesetz zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz - Rü-ErgG) entsprochen. Seit dem 1. Januar 1992 gilt im gesamten Bundesgebiet einheitlich das Rentenrecht des SGB VI. Sämtliche Beitragszeiten, die in der ehemaligen DDR zurückgelegt wurden, werden seither auf der Grundlage des nachgewiesenen tatsächlichen Einkommens bewertet, für das entsprechende Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt worden sind (§ 256a Abs. 2 SGB VI).

Kernziel der Vereinheitlichung des Rentenrechts war, dass grundsätzlich für alle Versicherten bei der Rentenberechnung die versicherten Entgelte zugrunde gelegt werden sollen. In einem vereinigten Deutschland sollte es längerfristig nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der im Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten kommen. Haben zwei Versicherte, zum Beispiel in Rostock, unter den gleichen Bedingungen gearbeitet und die gleichen Verdienste erzielt und diese Verdienste auch in gleichem Umfang versichert, so sollen beide auch gleich hohe Entgeltpunkte erhalten und zwar unabhängig davon, ob und ggf. wann sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in die alten Bundesländer verlegt haben.

Frühere Bescheide, die außerhalb einer Rentenbewilligung aufgrund der Versicherungsunterlagen-Verordnung oder des Fremdrentenrechts Feststellungen getroffen haben, sind nach Artikel 38 RÜG daraufhin zu überprüfen, ob sie mit den zum Zeitpunkt des Rentenbeginns geltenden Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und des Fremdrentenrechts übereinstimmen. Mit Artikel 14 des Rü-ErgG wurde dies ergänzt, so dass der Feststellungsbescheid im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist.

Schon aus der zeitlichen Abfolge wird deutlich, dass die Behauptung nicht haltbar ist, wonach die rentenrechtliche Praxis der Rentenversicherungsträger bei der Beurteilung Ihrer im Beitrittsgebiet erworbenen rentenrechtlichen Zeiten allein auf Verwaltungsentscheidungen der Rentenversicherungsträger beruhe. Aufgrund der Vorgaben des Einigungsvertragsgesetzes gelten durch die Rentenüberleitung die Vorschriften des SGB VI.

Das RÜG trat zum 1. Januar 1992 in Kraft. Danach wurde für Versicherte, die am 18. Mai 1990 "ihren gewöhnlichen Aufenthalt" in den alten Bundesländern hatten und deren Rente vor dem 1. Januar 1996 begann, weiter das Fremdrentengesetz (FRG) angewandt. Durch das Rü-ErG vom 24. Juni 1993 wurde § 259a Abs. 1 SGB VI insofern geändert, als unabhängig vom Rentenbeginn, die Regelung für alle Versicherten der Geburtsjahrgänge vor 1937 Anwendung findet. Es trat rückwirkend zum 1. Januar 1992 in Kraft. Die Neuregelung führte zu einer wesentlichen Verwaltungsvereinfachung, da, unabhängig vom Rentenbeginn Anerkennungsbescheide von den Rentenversicherungsträgern erteilt werden konnten und nach dem SGB VI erteilte Rentenauskünfte auch dann ihre Gültigkeit behielten, wenn der Rentenbeginn nach 1995 lag. Bei einem Abstellen auf den Rentenbeginn wäre dies nicht möglich gewesen. Durch die Neuregelung wurde der bis dahin bestehende Vertrauensschutz nicht aufgehoben.

Der Gesetzgeber war auch berechtigt, wie in den o. g. Rechtsnormen dargestellt, von der Anwendung der Regelungen des FRG für DDR-Übersiedler abzuweichen, da es sich hier um eine so genannte unechte Rückwirkung handelt, da die Neuregelung nicht auf laufende, sondern nur zukünftig neu zugehende Renten Anwendung findet. Eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht die unabdingbare Notwendigkeit, die Rechtsordnung ändern zu können, um den Staat handlungsfähig und die Rechtsordnung anpassungsfähig zu erhalten. Der Gesetzgeber muss aus Gründen des Allgemeinwohls Neuregelungen treffen können, die den jeweiligen Erfordernissen gerecht zu werden geeignet sind. Ein voller Schutz zugunsten des Fortbestands der bisherigen Gesetzeslage würde den dem Gesamtwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen gegenüber den Einzelinteressen lähmen, das Gesamtwohl schwerwiegend gefährden und eine Versteinerung der Gesetzgebung bedeuten.

Daher muss der Gesetzgeber gerade bei notwendig langfristig angelegten Alterssicherungssystemen wie im Bereich der Rentenversicherung die Möglichkeit haben, aus Gründen des Allgemeinwohls an früheren Entscheidungen nicht mehr festzuhalten und Neuregelungen zu treffen, die den gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen sowie den damit verbundenen wechselnden Interessenlagen Rechnung tragen. Durch die Übergangsregelung wurde auch vertrauensschutzrechtlichen Gesichtspunkten Rechnung getragen. Bei der Bestimmung des Stichtags 1. Januar 1937 hat sich der Gesetzgeber an rentennahen Jahrgängen orientiert, das heißt an den Personenkreis, der 1992 das 55. Lebensjahr erreicht hatte. Einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot hat das Bundesverfassungsgericht offensichtlich nicht gesehen, denn sonst wäre es nicht zu dem Nichtannahmebeschluß gekommen. Die Wahl des Datums 01. Januar 1937 ist bislang nicht Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten gewesen.

Das Datum 18. Mai 1990 ergibt sich aus dem Zusammenhang mit dem Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18.05.1990. Das Bundessozialgericht hat erklärt, dass diese Regelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. So heißt es in einer Entscheidung des BSG vom 29.07.1997: "Der vom Gesetzgeber in § 259a SGB 6 gewählte "Stichtag", der 18. Mai 1990, Tag der Unterzeichnung des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18.5.1990 und die damit zusammenhängende Stichtagsregelung, verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG". In derselben Entscheidung stellt das BSG auch fest, dass § 259a SGB 6 nicht gegen das GG verstößt.

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in einem Nichtannahmebeschluss vom 17. Dezember 1998 (1 BvR 2007/95) in einer u. a. gegen § 259a SVB VI gerichteten Verfassungsbeschwerde festgestellt: "Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es aber grundsätzlich nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber aus Anlaß des Ereignisses der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands bei der Berechnung der Renten darauf abstellt, daß die Versicherten in der Deutschen Demokratischen Republik die dort rechtlich eröffneten und zu angemessenen Altersicherung auch gebotenen Möglichkeiten ausschöpften und nur bei Ausschöpfung dieser Sicherungsmöglichkeiten den Versicherten in der früheren Bundesrepublik Deutschland gleichzustellen sind, maximal bis zur Beitragsbemessungsgrenze Beiträge gezahlt haben."

Die Praxis der Rentenversicherer zu der von Ihnen kritisierten Regelung stützt sich also sehr wohl auf Gesetze, die von Bundestag und Bundesrat beschlossen, vom Bundespräsidenten unterschrieben und im Bundesgesetzblatt verkündet wurden. Ihre Verfassungsmäßigkeit wurde in mehreren Gerichtsentscheidungen bestätigt.

Ihre Auffassung, dass hier in "verfassungsrechtlicher Hinsicht etwas im Argen liegt" teile ich daher nicht.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Brandner