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Klaus Brandner
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Frage von Holger M. •

Frage an Klaus Brandner von Holger M. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Brandner,

mit Sorge beobachte ich, wie Herr Innenminister Dr. Schäuble die Einrichtung eines Überwachungsstaats unter dem Deckmantel der Abwehr von Terrorgefahr vorantreibt. Dazu zähle ich unter anderem

- die Online-Durchsuchung von PCs,

- die Vorratsdatenspeicherung von Verbindungsdaten,

- die Aufnahme von biometrischen Merkmalen in Ausweisdokumenten,

- Verwendung der Mautdaten zur Aufklärung von Straftaten.

Keine der Maßnahmen ist geeignet um die Sicherheit der Bürger in Deutschland signifikant bezüglich eines Terroranschlags zu erhöhen. Gleichzeitig forcieren aber alle Maßnahmen einen massiven Abbau der Grundrechte aller Bürger.

Noch gefährlicher wird es aber, wenn alle gesammelten Daten eines Tages miteinander verknüpft werden. Das wird nicht passieren? Ich erinnere noch mal an das Versprechen zur Nutzung der Mautdaten zu reinen Abrechnungszwecken.

Ich erwarte von der Politik den Schutz meiner Sicherheit - aber auch meiner Freiheit und meiner persönlichen Daten. Über die letzten Jahren betrachtet, gewinnt man aber immer mehr den Eindruck, dass Datenschutz als etwas lästiges angesehen wird. Anders kann ich mir auch nicht die Einigung zur Weitergabe von Fluggastdaten an die USA erklären. In dem Abkommen wird auf keinerlei Datenschutz in den USA bestanden. Was passiert mit meinen Daten dort?

Für mich sind die Äußerungen und Vorschläge von Innenminister Dr. Schäuble sowie die weiteren angesprochenen Maßnahmen im Kampf gegen den Terror nicht tragbar. Sie bringen keine Sicherheit, sondern manifestieren einen polizeilichen Überwachungsstaat.

Ich würde mich freuen, ihre Position zu den Handlungen und Gesetzesinitiativen von Herrn Dr. Schäuble zu erläutern, und wie Sie den Wert des Datenschutzes in der heutigen Zeit beurteilen.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Mense,

Sie haben recht, Maßnahmen zur inneren Sicherheit und persönliche Freiheit müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich für einen sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger und einer effektiven Kriminalitätsbekämpfung ein.

Gern sage ich etwas zu den von Ihnen angesprochenen Punkten:

1. Online-Durchsuchung

Wir müssen die aktuelle terroristische Bedrohung sehr ernst nehmen. Die SPD befürwortet daher nachdrücklich die in Vorbereitung befindliche Novelle zum Bundeskriminalamtsgesetz, mit der die neuen Befugnisse des Bundes zur Terrorismusabwehr gesetzlich umgesetzt werden sollen. Wir brauchen die Novelle des BKA-Gesetzes, damit das BKA präventive Befugnisse für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus erhält. Diese Forderung hat die SPD-Bundestagsfraktion im Zuge der Föderalismusdebatte durchgesetzt. Mit diesem Gesetz sollen dem Bundeskriminalamt (BKA) alle Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden, die auch den Länderpolizeien zur Verfügung stehen. Dies schließt ausdrücklich auch die Rasterfahndung, die akustische Wohnraumüberwachung und die Telefonüberwachung ein. Es ist bedauerlich, dass der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die dringend notwendige gesetzliche Grundlage für den Einsatz des Bundeskriminalamts zur Terrorabwehr unnötigerweise mit dem Instrument der Online-Durchsuchung verknüpft. Die sogenannte Online-Durchsuchung ist ein völlig neues Ermittlungsinstrument und bislang ohne Vorbild bei den Polizeien der Länder. Eine Online-Durchsuchung hat mit dem, was wir in Deutschland unter Durchsuchung verstehen, nichts zu tun. Durchsuchungen sind seit In-Kraft-Treten der StPO vor 130 Jahren offen und nicht heimlich. Offen heißt, dass der Beschuldigte dabei anwesend ist.

Meiner Meinung nach wäre die sogenannte Online-Durchsuchung ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, und es wäre eine völlig neue Qualität staatlicher Überwachung.

Erstens: Die Überwachung, die hier geplant ist, geschieht heimlich. Der Betroffene weiß nicht, dass er zum Objekt staatlicher Maßnahmen wird und kann sich deshalb auch nicht rechtlich dagegen wehren.

Zweitens: Es geht bei dieser heimlichen Maßnahme nicht um die Überwachung von Kommunikation. Bei der schon heute zulässigen Kontrolle des Telefons oder der akustischen Wohnraumüberwachung spricht der Betroffene mit einem Dritten. Ihm ist also die gewisse Offenheit seiner Worte bewusst. Wer dagegen sein Tagebuch am PC schreibt, womöglich verschlüsselt und mit einem Passwort geschützt, der vertraut gerade darauf, dass er allein Zugriff auf seine Daten hat.

Drittens: Die Mehrzahl der Menschen hat ihren Computer zu Hause auf dem Schreibtisch stehen. Der Staat würde also virtuell in eine Wohnung eindringen. Das Verfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Großen Lauschangriff aber klargestellt: „Die Privatwohnung ist als „letztes Refugium“ ein Mittel zur Wahrung der Menschenwürde.“ Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist deshalb vom Grundgesetz ganz besonders geschützt.

Viertens sind auf privaten PCs häufig viele verschiedene Daten gespeichert. Krankenunterlagen, Konto-Belege oder private Briefe. Wenn bei der Online-Durchsuchung unbesehen große Teile einer Festplatte kopiert werden mit alledem, was dort gespeichert ist, dann stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in ganz besonderem Maße.

Es wird daher intensiv zu prüfen sein, ob die Online-Durchsuchung zur Terrorismusabwehr geeignet und verfassungsrechtlich verantwortbar ist.

2. Vorratsdatenspeicherung

Eine grundsätzlich bis Herbst 2007 umzusetzende EU-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten der europäischen Union und damit auch Deutschland zur Einführung von Speicherungspflichten für bestimmte Telefon- und Internetdaten zu Zwecken der Terror- und Verbrechensbekämpfung für eine Dauer von mindestens sechs und höchstens 24 Monaten.

Die SPD-Bundestagsfraktion nimmt sowohl ihre Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung als auch ihre Verpflichtung für Bürgerrechte ernst. Sie hat ihren Vorbehalt gegen die EU-Regelung zur „Vorratsdatenspeicherung“ erst aufgegeben, nachdem die Bundesregierung in Brüssel einen zufriedenstellenden Kompromiss erzielt hat, dem letztlich auch das Europäische Parlament zustimmte. Der deutschen Regierung ist es auf europäischer Ebene gelungen, die „Vorratsdatenspeicherung“ auf das zu reduzieren, was zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität tatsächlich erforderlich und angemessen ist.

Wie schon auf europäischer Ebene werden wir auch auf nationaler Ebene bei der Umsetzung der Richtlinie den sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger und dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung im Blick behalten und für eine Speicherung mit Augenmaß sorgen.

3. Aufnahme von biometrischen Merkmalen in Ausweisdokumenten

In Zukunft sollen Pässe biometrische Daten, wie Lichtbild und Fingerabdrücke, enthalten. Dies geht auf eine europäische Verordnung zurück, die nun mit der Änderung des Passgesetzes, das am 24. Mai diesen Jahres vom Bundestag beschlossen wurde, in Deutschland umgesetzt wird. Außerdem enthält das Gesetz weitere Regelungen zur Erfassung, Übermittlung und Speicherung von Fingerabdrücken und zur Verwendung der biometrischen Daten im Rahmen von Passkontrollen. Vorgesehen ist auch der Onlineabruf von Passbildern aus dem Passregister für die Polizei- und Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung von Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten und Straftaten. Voraussetzung dafür soll sein, dass die Passbehörde unerreichbar, und der Ermittlungszweck für die zuständige Polizeivollzugsbehörde gefährdet wäre (sog. Eilfall). Mit Erfolg haben wir während der Beratungen in der Koalition die Forderung des Koalitionspartners CDU/CSU zurückgewiesen, Fingerabdrücke bei den Passbehörden nach Passausgabe dauerhaft in einer Datensammlung zu speichern. Es bleibt bei der ausschließlichen Speicherung der Fingerabdrücke im Pass. Zudem wird es keine Befugnis zum Abgleich der in den Pässen gespeicherten Fingerabdrücke mit Fahndungsdateien geben. Der Fingerabdruck darf ausschließlich zum Vergleich von Pass und Passbesitzer verwendet werden.

4. Verwendung von Mautdaten zur Aufklärung von Straftaten

Neben den fahrtbezogenen Daten (Höhe der Maut, befahrene Strecke, Ort und Zeit der Mautentrichtung etc.) können bei der Lkw-Maut auch andere Daten anfallen, wie ein Bild vom Fahrzeug, der Name der Person, die das Fahrzeug führt, Ort und Zeit der Autobahnbenutzung oder das Kennzeichen des Fahrzeugs. Bislang dürfen diese Kontrolldaten ebenso wie die fahrtbezogenen Daten nur strikt zweckgebunden genutzt werden. Das heißt. Sie dürfen ausschließlich zum Zweck der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des Autobahnmautgesetzes verarbeitet und genutzt werden.

Eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme dieser Daten nach anderen Rechtsvorschriften ist unzulässig. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage wird klar, dass die Toll Collect GmbH an Ermittlungsbehörden keine durch Toll Collect GmbH erhobenen Kontroll- und/oder fahrtbezogene Daten übermitteln darf. Die strikte Zweckbindung erlaubt die Verarbeitung der Daten ausschließlich für Zwecke der Mauterhebung.

Das Tötungsdelikt an einem Parkwächter auf einem Autobahnparkplatz war in der öffentlichen Diskussion Anlass, die Einschränkung der Zweckbindungsregelung im Autobahnmautgesetz zu fordern. Der Parkwächter wurde am 17. November 2005 auf dem Gelände eines Autohofes von zwei Lkw überfahren und verstarb kurz darauf. Tatverdächtige sind die Fahrer zweier Lkw-Gespanne mit gleichem Aufbau und gleicher Farbe mit niederländischem Kennzeichen, die bis heute nicht identifiziert werden konnten.

Am 8. Juli 2006 wurde in Kassel die Leiche einer ermordeten 18-jährigen Schülerin am Rande eines Autobahnparkplatzes aufgefunden. Aufgrund der Tatumstände ergaben sich Hinweise, dass es sich bei dem Täter um einen Lastkraftwagen-Fahrer handeln könne. Durch einen Vergleich der am Tatort gesicherten DNA-Spuren mit vergleichbaren Fällen konnte ein Zusammenhang mit weiteren Tötungsdelikten und einem versuchten Tötungsdelikt festgestellt werden. Infolge der Veröffentlichung eines Phantombildes konnte der Fahrer einer Speditionsfirma am 31. August 2006 festgenommen werden.

Bei beiden Fällen hätte nach Aussage der Strafverfolgungsbehörden die Auskunft über Mautdaten für einen schnellen Ermittlungserfolg entscheidend sein können. Die Bundesregierung befürwortet daher eine Erweiterung der Zweckbindung auf Zwecke der Strafverfolgung und gegebenenfalls der Gefahrenabwehr. Einzelheiten werden derzeit noch geprüft. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit mahnt diesbezüglich zu großer Zurückhaltung. Nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion muss eine Öffnung der Zweckbindungsregelung im Autobahnmautgesetz auf jeden Fall sehr eng gefasst sein.

Sehr geehrter Herr Mense,

Gewährleistung und Wahrung der Grundrechte und Abwehr von Gefahren sind vornehmste Aufgaben des demokratischen Staates. Das heißt, der Schutz von Freiheit, Eigentum, Leben und körperlicher Unversehrtheit ist Kernaufgabe allen staatlichen Handelns. Doch gerade bei der Inneren Sicherheit gilt es, immer das Übermaßverbot im Auge zu behalten, gilt es, jederzeit mit Augenmaß und ohne Hektik darauf zu achten, dass die notwendigen Maßnahmen die Freiheitsrechte der Menschen nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich beeinträchtigen. Die Qualität einer Sicherheitspolitik muss sich also daran messen lassen, inwieweit sie Schutz gewährt, ohne die Freiheits- und Bürgerrechte in einer für einen Rechtsstaat unzulässigen Weise einzuschränken.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Brandner