Frage an Klaus Brandner von Thomas G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Brandner,
ich möchte Sie ebenfalls darauf Hinweisen – wie bereits andere Abgeordnete- , dass nach den Aussagen von Experten eine gezielte Internetsperre schwer möglich ist.
Sie antworteten auf das Schreiben von Herrn Eustergerling folgendes:
„Eine Sperrung erfolgt bei einzelnen, einschlägigen Internetseiten durch die Umleitung auf eine eigens dafür eingerichtete Stopp-Seite.“
Mein Hinweis bezieht sich auf die Aussagen im Wirtschaftsausschusses vom 27.05.09 ( Quelle: http://www.bundestag.de/ausschuesse/a09/anhoerungen/Archiv/22_Anhoerung/Stellungnahmen/index.html ). Die BITKOM, Prof. Dr. Sieber, Prof. Bäcker und Dr. Frey wiesen mehrmals darauf hin, dass sie vor Kollateralschäden vieler Unbeteiligter warnen.
Auszug von Prof. Dr. Sieber:
„Solche Zwangssperrungen ... verursachen auch häufig schädliche Nebenwirkungen und „Kollateralschäden"“ und weiter heißt es „Ein solches Overblocking ergibt sich vor allem bei der Sperrung von IP-Adressen. Es ist allerdings auch bei DNS-Sperrungen leicht möglich, vor allem wenn unter einer Domain umfangreiche Verzeichnisse mit einer Vielzahl von Daten gespeichert sind. …... Durch die Sperrmaßnahme wurde auch der Zugriff auf mehrere tausend legale Angebote unmöglich gemacht.“
und von Prof. Bäcker
„Problematisch ist daran vor allem, dass in vielen Fällen über eine IP-Adresse zahlreiche Domain-Namen erreichbar sind. So soll die IP-Sperre dreier pornographischer Websites durch einen deutschen Access Provider mehrere Millionen weiterer Webseiten blockiert haben, ... Die IP-Sperre eines niederländischen Host Providers soll neben einer extremistischen Publikation die Web-Auftritte von mehr als 6000 Anbietern betroffen haben“
Meine Fragen auch an Sie:
- Wie würden sie reagieren, wenn ihre Webseite www.klausbrandner.de mit einem Stopp-Schild versehentlich geblockt wird?
- Wie hilft die Bundesregierung unschuldigen Webseitenbetreibern; damit diese ihre Reputation wieder erlangen können (keine Geldentschädigung)?
MfG,
Thomas Greiner.
Sehr geehrter Herr Greiner,
vielen Dank für Ihre Frage vom 14. Juli 2009, in der Sie die Möglichkeit zur Sperrung von Internetseiten durch das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen (Zugangserschwerungsgesetz) ansprechen.
Mit dem Zugangserschwerungsgesetz sollen, wie ich dies in meiner von Ihnen angeführten Antwort auf die Frage von Herrn Eustergerling ausgeführt habe, einzelne einschlägige Internetseiten durch die Umleitung auf eine eigens dafür eingerichtete Stopp-Seite gesperrt werden.
Was Ihre erste Frage anbelangt, so sehe ich die Gefahr eines Overblocking in Deutschland und in Europa nicht. Hier ist es schon heute rechtlich möglich und gängige Praxis, dass der Provider wegen strafrechtlich-relevanter Inhalte direkt kontaktiert wird und dieser die entsprechenden Inhalte zielgenau von seinen Servern nimmt. Ähnlich schätze ich diese Situation bei seriösen Hostprovidern auch außerhalb der Europäischen Union ein, die bei entsprechenden Hinweisen derartige Inhalte löschen. Es gibt aber eben Länder, bei denen derartige Versuche regelmäßig ins Leere laufen - und vor allem hierfür wurde dieses Gesetz gemacht.
Ich stimme aber mit Ihnen überein, dass mögliche negative Nebenwirkungen wie das von Ihnen angesprochene Overblocking weitgehend ausgeschlossen werden müssen und ich kann Ihnen versichern, dass diese Fragen bei der Erarbeitung des Gesetzes und im parlamentarischen Verfahren sehr intensiv diskutiert wurden. Von daher sind mir natürlich auch die Aussagen der Sachverständigen bei der Anhörung des federführenden Wirtschaftsausschusses durchaus bekannt.
Gestatten Sie mir vor diesem Hintergrund zunächst darauf zu verweisen, dass wir als SPD-Fraktion nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund denkbarer Kollateralschäden den Grundsatz "Löschen vor Sperren" durchgesetzt haben. Dies bedeutet, dass zunächst alle anderen Mittel und Wege versucht werden müssen, ehe ein Angebot auf die Sperrliste gesetzt wird. Das bedeutet beispielsweise, dass bei Anbietern wie Google oder dem Google-Tochterunternehmen Youtube zunächst der Versuch unternommen werden muss, den Anbieter direkt zu kontaktieren und um Löschung zu bitten - zumal Google in Deutschland ein eigene Landesgesellschaft unterhält.
Richtig ist zweifelsfrei, dass ein solches Overblocking vor allem beim Sperren auf Ebene der IP-Adresse zu erwarten ist. Auch auf der Ebene der DNS-Sperre kann ein mögliches Overblocking letztlich nicht gänzlich ausgeschlossen werden, vor allem wenn unter einer Domain umfangreiche Verzeichnisse mit einer Vielzahl von Daten oder auch Anbietern gespeichert sind - Beispiel youtube.com.
Hier möchte ich nochmals auf den Grundsatz Löschen vor Sperren und die Begründung des Gesetzes verweisen. Dort heißt es zu § 1 Abs. 2: "Die Regelung kodifiziert den Grundsatz „Löschen vor Sperren“. Danach kommt eine Sperrung durch die nicht verantwortlichen Internet-Zugangsvermittler nur dann in Betracht, wenn eine Verhinderung der Verbreitung der kinderpornographischen Inhalte durch Maßnahmen gegenüber dem Verantwortlichen nicht möglich oder nicht in angemessener Zeit Erfolg versprechend ist. [...] Eine Aufnahme eines Angebotes in die Sperrliste und die Veranlassung von Maßnahmen durch den Internet-Zugangsvermittler ist nur dann erforderlich und damit verhältnismäßig, wenn dessen Verbreitung auf anderem Wege nicht verhindert werden kann. Gegen Daten, die in Deutschland gespeichert werden, können Behörden direkt Maßnahmen ergreifen. Vor Aufnahme eines in Deutschland ansässigen Angebotes in die Sperrliste, haben die zuständigen Behörden daher die geeigneten Maßnahmen gegen den Inhalt zu ergreifen. In der Regel wird dies auch zu einer weitaus effizienteren Verhinderung der Verbreitung führen.“
Das bedeutet, dass die Aufnahme eines Angebots auf die Sperrliste – wie auch die Begründung zu § 1 des Gesetzes ausdrücklich unterstreicht - nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt kann. Dadurch ist gewährleistet, dass mögliche "Kollateralschäden" ausgeschlossen oder auf ein Minimum reduziert werden können.
Bezug nehmend auf Ihre Fragen möchte ich schließlich auch nochmals auf das beim Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) einzurichtende Kontrollgremium verweisen. Nach § 9 wird beim BfDI ein unabhängiges Expertengremium gebildet, das aus fünf Mitgliedern besteht, wobei die Mehrheit der Mitglieder die Befähigung zum Richteramt haben muss. Die Mitglieder sind berechtigt, die Sperrliste beim Bundeskriminalamt jederzeit einzusehen und prüfen darüber hinaus mindestens quartalsweise die Sperrliste stichprobenartig. In der Begründung zu § 9 heißt es: "Die Regelung nimmt den Wunsch nach mehr Transparenz auf und etabliert ein unabhängiges Expertengremium beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit. Mit Blick auf die vornehmlich juristischen Aufgaben, nämlich zu bewerten, ob Inhalte die Voraussetzungen des § 184 b StGB erfüllen, muss die Mehrheit der Mitglieder des fünfköpfigen Gremiums die Befähigung zum Richteramt haben. Die Mitglieder sind berechtigt, die Sperrliste jederzeit einzusehen. Mindestens einmal im Quartal erfolgt auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben eine Prüfung, ob die
Einträge auf der Sperrliste den Voraussetzungen des Paragraphen 1 Satz 1 erfüllen. Sollte die Mehrheit des Gremiums zu der Auffassung kommen, dies sei nicht der Fall, hat das Bundeskriminalamt den Eintrag bei der nächsten Aktualisierung von der Liste zu streichen."
Es ist zu erwarten, dass das Gremium im Rahmen seiner Prüftätigkeit auch überprüfen wird, ob dem Grundsatz Löschen vor Sperren und damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinreichend Rechnung getragen wurde. Eine sinnvolle Überprüfung der Sperrliste durch das Gremium schließt auch die Frage ein, ob es möglicherweise zu einem versehentlichen Overblocking oder den angesprochenen Kollateralschäden kommt.
Denjenigen, deren Internetseiten zu Unrecht durch dieses Overblocking gesperrt wurden, steht selbstverständlich der Rechtsweg offen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Brandner