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Karola Stange
DIE LINKE
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Frage von Martin M. •

Warum erhalten Asylbewerber in Thüringen eine Gesundheitskarte statt Grundversorgung, Wohnungen statt Unterkünfte und Bargeld statt Gutscheine?

Sehr geehrte Frau Stange,
Warum haben sich die Verantwortlichen in Thüringen für die Ausgabe von Gesundheitskarten anstatt einer einfachen medizinischen Grundversorgung für Asylbewerber entschieden?
Welche Gründe liegen der Entscheidung zugrunde, voll ausgestattete Wohnungen für Asylbewerber bereitzustellen, die dann für Einheimische mit geringen Einkommen fehlen (könnten) statt sie AUSSCHLIESSLICH in Asylunterkünften unterzubringen?
Warum erhalten Asylbewerber Bargeld anstatt Lebensmittel- oder Wertgutscheine die jeglichen Missbrauch verhindern könnten?

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Sehr geehrter Herr M., 

Zur Gesundheitskarte:

Die Gesundheitskarte für Geflüchtete in Thüringen wurde zum 1.1.2017 eingeführt. Geflüchtete benötigen nun nicht mehr die Krankenbehandlungsscheine vom Sozialamt, sondern können mit ihrer Gesundheitskarte direkt in den Arztpraxen behandelt werden. Die Regelung in Thüringen ist in allen Landkreisen einheitlich. Das Kriterium der unaufschiebbaren Behandlung bzw. einer "Notfallmedizin" kommt in aller Regel nicht mehr zur Geltung. Die überwiegende medizinische Versorgung findet auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung statt. Zudem unterliegen Psychotherapien nicht mehr dem Genehmigungsvorbehalt der Sozialämter. Mit der Krankenbehandlung beauftragt das Land Thüringen per Vertrag die Krankenkassen. Damit ändert sich für diese Patienten lediglich das Abrechnungsverfahren. Der eingeschränkte Leistungsanspruch nach Asylbewerberleistungsgesetz ändert sich hingegen nicht, d. h. diese Flüchtlinge sind keine GKV-Mitglieder und ihnen auch nicht gleichgestellt.

Die gesetzliche Grundlage für die medizinische Versorgung von Menschen mit Aufenthaltsgestattung und Duldung ist das Asylbewerberleistungsgesetz (§§ 4 und 6).

Nach§ 4 AsylbLG sind zur Behandlung akuter Erkrankungen oder Schmerzzustände die erforderlichen ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungen zu gewähren. Dies schließt die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen mit ein. Dazu zählen auch die amtlich empfohlenen Schutzimpfungen, die medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen und Hebammenhilfe. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. Der Behandlungsumfang ist nicht auf eine Notfallversorgung beschränkt.

Ausgeschlossen vom Behandlungsumfang sind rein chronische Erkrankungen, die weder akut noch schmerzhaft sind. "Akut" meint nicht eine Unaufschiebbarkeit, Unabweisbarkeit oder Unerlässlichkeit, sondern beschreibt einen akuten Krankheitszustand oder akuten Behandlungsbedarf. Wenn chronische Erkrankungen z.B. Schmerzen verursachen, besteht auch da ein uneingeschränkter Behandlungsanspruch.

Mehr Infos unter: https://www.fluechtlingsrat-thr.de/themen/medizinische-versorgung

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Zur Unterbringung:

Wenn Asylsuchende in Deutschland ankommen, werden sie zunächst nach dem EASY-System auf die Bundesländer verteilt. Die erste Zeit verbringen sie in den Landesaufnahmestellen eines Bundeslandes. Nachdem Asylgesetz kann diese Verweildauer bis zu 18 Monate betragen und in bestimmten gelagerten Fällen auch länger. In Thüringen befinden sich die Landesaufnahmestellen in Suhl und Eisenberg (Außenstelle). Die Aufenthaltsdauer beträgt hier mehrere Wochen und in Einzelfällen auch mehrere Monate. Danach werden die Asylsuchenden den Landkreisen und kreisfreien Städten zugewiesen. Bei der Verteilung und Zuweisung auf die Bundesländer und Landkreise gibt es keinen Rechtsanspruch darauf, dass Wünsche und Bedarfe (Kontakte zu Freunden oder Bekannten in Deutschland) der Asylsuchenden berücksichtigt werden. Der Schutz der Kernfamilie muss aber gewährleistet werden.

Nach den gesetzlichen Vorgaben (§ 53 AsylG und § 2 Abs. 4 ThürFlüAG) werden die Flüchtlinge in den Landkreisen/kreisfreien Städten in Sammelunterkünften oder Wohnungen untergebracht. Dies ist abhängig vom jeweiligen Landkreis oder der kreisfreien Stadt. Die Sozialämter sind zuständig für die Unterbringung und damit auch für die Anmietung von Wohnraum.

Nach der Thüringer Kostenerstattungsverordnung (ThürFlüKEVO) erhalten die Landkreise/kreisfreien Städte vom Land pro aufgenommenem Flüchtling und Monat Pauschalen für die Unterbringung, für soziale Leistungen und Sozialbetreuung sowie Gelder für den Wachschutz. Kosten für die medizinischen Leistungen werden im Rahmen der Gesundheitskarte finanziert. Laut der Thüringer GUSVO gelten als Mindestwohnfläche für Flüchtlinge sechs Quadratmeter pro Person. Das heißt in einem 24 Quadratmeter großen Zimmer in einer Sammelunterkunft dürften vier Personen auch über lange Zeit untergebracht werden. Toiletten, Duschen und Küche werden oft von vielen geteilt. Inwieweit bei Sammelunterkünften und anderen Unterbringungen die Privatheit gewährt ist und entsprechend der grundrechtliche Schutz der Wohnung (Art. 13 GG) greift, beleuchtet z.B. eine Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte vom Oktober 2018.

Der Wohnort und auch die Art der Unterbringung wird den Flüchtlingen meist ohne eigenes Mitspracherecht zugewiesen. In Sammelunterkünften sind Privatsphäre oder Rückzugsmöglichkeiten selten beziehungsweise ausgeschlossen. Außerdem befinden sich mehrere der Sammelunterkünfte Thüringens in Stadtrandlage oder kleineren Orten mit unzureichender Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr oder Versorgungsstrukturen. Einige Geflüchtete müssen abgeschottet von der Gesellschaft, räumlich sehr beengt und ohne eine Möglichkeit zur Betätigung einen tristen Alltag leben. Solche Bedingungen fördern psychische und physische Erkrankungen oder führen dazu, dass Erkrankte nicht genesen können. Zudem bieten Sammelunterkünfte einen Angriffspunkt für Stimmungsmache und rassistische Übergriffe.

Gerade mit Blick auf bezahlbaren Wohnraum sollte durch gesetzliche Regelungen und Investitionen bspw. verhindert werden, dass Flüchtlinge von den ökonomisch schlechter gestellten Bürger:innen als Konkurrent:innen auf dem Mietwohnungsmarkt wahrgenommen werden.

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Bargeld statt Gutscheine:

Die Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen ist mit einem nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff verbunden (allgemeine Handlungsfreiheit, Menschenwürde und allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art. 1-3 GG), und ist dadurch auch materiell rechtswidrig. Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde 2015 entsprechend angepasst. Durch die Auszahlung von Bargeld könnten auch Flüchtlinge preisbewusst und eigenverantwortlich einkaufen. Sie sind dadurch nicht in ihren Einkaufsmöglichkeiten eingeschränkt. Mit Gutscheinen war/wäre der Einkauf nur in bestimmten Läden möglich. Nicht alles konnte seinerzeit damit bezahlt werden.

Weiterführende Infos: https://www.fluechtlingsrat-lsa.de/wp-content/uploads/2020/12/flueralsa_lebensmittelgutscheine_sanktionsinstrument_asylblg_11_2020_satz_v3a_web.pdf

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