Frage an Kai Gehring von Marina D. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Sehr geehrter Herr Gehring,
Essen ist Modellstadt für sauberere Luft und bekommt hierfür eine Menge Geld zur Umsetzung innovativer Vorschläge.
Geplant ist jedoch eine linke Nummer : der ÖPNV soll hochgetaktet werfen, nachdem er sogar noch seit Bekanntwerden der Teilnahme massiv und teilweise ohne Ankündigung heruntergetaktet wurde und dazu noch gerade teurer geworden ist. Die drei geplanten Radachsen durch Essen werden durch zeitgleichen Ausbau z. B. Der Rüttenscheider mit mehr Platz für Autoverkehr durch kommunale Gelder nahezu konterkariert.
Die gewünschten Effekte können mit diesem Konzept nicht erreicht werden, was dazu führt das Massnahmen wie mehr ÖPNV, mehr Radwege, als nutzlos für weniger individuellen Autoverkehr erweisen werden. Die örtlichen Fahrradverbände, die Bevölkerung, die Gewerkschaften des ÖPNV - niemand würde bei Erstellung des Konzepts mit eingebunden Dies ist eine Gefahr für unser Klima und ganz Deutschland. Seitens der Bürger und Initiativen gibt es bessere Ideen und Konzepte.
Wer überprüft seitens des Bundes das Konzept kritisch? Werden sie als Profi vom Ort bei Überprüfung des Konzepts miteingebunden? Lässt sich gegen das Konzept Einspruch einlegen oder welche anderen Wege gibt es, sich gegen Verschwendung der Gelder zu wehren?
Mit freundlichen Grüßen
M. D.
Sehr geehrte Frau D.,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Zunächst einmal möchte ich die Situation in Essen aus meiner Sicht etwas einordnen. Der Nahverkehr in Essen wird durch das von der Stadt Essen und Mülheim betriebene Nahverkehrsunternehmen Ruhrbahn organisiert. Die Ruhrbahn hält allerdings nur diese Verkehrsleistungen vor, die von der Stadt Essen (bzw. der Stadt Mülheim auf Mülheimer Gebiet) bestellt worden sind. Dazu beschließt der Rat der Stadt Essen einen Nahverkehrsplan. Der letzte Nahverkehrsplan wurde mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP im September 2017 gegen die Stimmen der Ratsfraktion der Grünen beschlossen. Die grüne Fraktion hatte vergeblich in einem Antrag eine Erhöhung des städtischen Zuschusses für die Ruhrbahn um jährlich 6 Mio. Euro zum Ausbau des ÖPNV-Angebotes beantragt. Die von Ihnen kritisierte Heruntertaktung beim Essener ÖPNV ist damit die direkte Folge des Nahverkehrsplans der städtischen GroKo.
Die Einbindung der Bevölkerung und zivilgesellschaftlicher Verbände in die Verkehrsplanung ist für uns Grüne seit langer Zeit ein wichtiges Anliegen, denn nur so kann die notwendige Verkehrswende gelingen und die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger erfüllen. Im Fall der von der Bundesregierung für Essen zur Verfügung gestellten 21,25 Mio. Euro war dies jedoch kaum möglich. Die Ankündigung der Förderung im März 2018 war aus einer Panikreaktion der Bundesregierung auf das drohende EU-Vertragsverletzungsverfahren geboren und kam für Essen – ebenso wie die anderen ausgewählten „Lead Cities“ – sehr plötzlich und unerwartet. Die Ankündigung von finanzieller Förderung in zunächst nicht bekannter Höhe hat die Stadtverwaltung vor ein größeres logistisches Problem gestellt. Denn für die Benennung möglicher Maßnahmen hatte die Bundesregierung der Stadt Essen eine Frist bis Mitte März 2018 gesetzt. Hierdurch konnte lediglich eine Abstimmung der Maßnahmenideen (immerhin 34 Maßnahmenvorschläge) mit den Vorsitzenden der im Rat der Stadt Essen vertretenen Fraktionen erfolgen. Für die detaillierte Ausarbeitung wurde eine Frist bis Juli 2018 gesetzt. Bedenkt man also diesen von der Bundesregierung vorgegebenen Zeitdruck bedenkt, kann man der Stadt Essen hinsichtlich des Verfahrens schwerlich Vorwürfe machen.
Die Auswahl Essens als Lead City ist ein Erfolg, der auch auf die Wahl als Grüne Hauptstadt Europas und dem Einsatz der Umweltdezernentin Simone Raskob zu verdanken ist. Gerade angesichts dieses kurzen Verfahrens sind viele geförderten Maßnahmen positiv zu bewerten. Sie liefern einen wertvollen Beitrag zur Verkehrswende und zum Ziel der Stadt Essen bis zum Jahr 2035 einen Modal-Split von jeweils 25 Prozent bei ÖPNV, Motorisierten Individualverkehr, Radverkehr und Fußverkehr zu erreichen. Es ist auch richtig, dass auf die ursprünglich geplante Anlage großer Park- and Ride-Parkplätze verzichtet wurde. Diese Maßnahme hätte viel Geld gebunden und wenig gebracht, vor allem wenn sie nicht mit der Schaffung gesonderter Busspuren verbunden worden wäre.
Allerdings muss nun insbesondere Oberbürgermeisten Kufen dafür sorgen, das Erreichte dauerhaft zu sichern und die ökologische Mobilität in Essen weiter voranzutreiben. Wenn die Stadt Essen die Taktverdichtung im ÖPNV auch über 2020 aufrechterhalten will, dann wird dies nur mit Erhöhung des städtischen Zuschusses gehen. Dazu gehören neben stadtweit besseren Takten, mehr Busspuren, Ampelvorrangschaltungen für Straßenbahnen sowie Ticket-Vergünstigungen, nachdem die Vorschläge eines „Gratis-ÖPNV“ leider längst kassiert wurden. Darüber hinaus fällt die Förderung des Radverkehrs mit 500.000 Euro zu gering aus, sind doch bessere Bedingungen für den Alltagsradverkehr der Schlüssel für die Verkehrswende in Essen. Essen verspielt zudem seit Jahren die Chance, im Revier „Pionierstadt für Elektromobilität“ und breite Carsharing-Angebote zu werden - auch hier braucht es ambitioniertere Ziele und Maßnahmen.
Kurz: Die bisherigen Maßnahmen sind Stückwerk und können nur ein Anfang sein, um für saubere Luft und Klimaschutz zu sorgen und die Gesundheit der Menschen zu schützen. Essen braucht endlich eine durchgreifende, mutige Verkehrswende - ökologisch und klimagerecht: d.h. weg vom fossilen Verbrennungsmotor, hin zu emissionsfreien Fahrzeugen der Zukunft, zum attraktiveren Bus- und Bahnverkehr und zu sicheren und breiten Wegen für Radfahrer. Oberbürgermeister Kufen muss aufhören, nur Symbole zu setzen und an Symptomen herumzudoktern, sondern muss Leader einer mutigen Verkehrswende in Essen werden. Wir Grüne werden uns weiter dafür einsetzen, immer im engen Austausch mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern und zivilgesellschaftlichen Verbänden, die sich für nachhaltige Mobilität in Essen einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Kai Gehring