Frage an Jürgen Trittin von Christoph W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Trittin,
Sie haben laut Spiegel Online in Reaktion auf das heutige Urteil des BVerfG zur Pendlerpauschale gesagt:
"Das Ergebnis: Die unsoziale Zersiedelungsprämie, die Geringverdienern nicht hilft und Besserverdienenden die Fahrzeuge subventioniert, bleibt vorerst erhalten."
( http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,595329,00.html )
Wenn ich es richtig verstanden habe, sorgt das Urteil dafür, dass gerade auch diejenigen, die nicht zur Zersiedelung beitragen, weil sie in der Stadt wohnen und einen kurzen Weg zur Arbeitsstelle (unter 20 km) haben, von der steuerlichen Absetzbarkeit profitieren.
Bringt das Urteil Ihres Erachtens - unabhängig von Ihrer allgemeinen Kritik - nicht einen ökologischen Fortschritt gegenüber der bisherigen Rechtslage?
Sehr geehrter Herr Weemeyer,
ich kann beim besten Willen darin keinen ökologischen Fortschritt darin sehen. Was ist daran gerecht, wenn jemand mit meinem Einkommen bei einem Steuersatz von 42 % für den Kilometer zur Arbeit 12 Cent bekommt, die Friseurin aber - weil sie keine Steuern zahlt - gar nichts? Und wenn Sie begänne, Steuern zu zahlen, dann würde sie für den Kilometer nur 4,5 Cent bekommen. Sie könnten natürlich sagen, die Friseurin fährt ein kleines Auto oder sie fährt mit der S-Bahn, der Besserverdienende aber einen 5er BMW und der ist nun mal teurer. Aber gerecht ist die unterschiedliche steuerliche Behandlung nicht. Bei uns in Norddeutschland heißt diese Logik: Der Deubel scheißt auf den großen Haufen.
Wie sehr das zutrifft erkennen sie an dem Dienstwagenprivileg. 1,6 Mio. der 2,8 Mio. neuen Kfz im letzten Jahr waren als Dienstwagen zugelassen. Aber: Je höher die Fahrzeugklasse, desto höher der Dienstwagenanteil. In der Oberklasse finden Sie fast nur noch Dienstwagen. Und zu der Kilometerpauschale gibt es dann, bei den entsprechenden Steuersätzen, auch noch bis zu 40 000 EUR Steuerzuschuss für einen VW Touareg. Davon könnte meine Friseurin 5 Dacia Logan kaufen.
Für die Arbeitskosten sind die Arbeitgeber zuständig. Lohnzuschüsse vom Staat halte ich nicht nur beim staatlichen Aufstocken geringer Erwerbseinkommen auf die Höhe des Arbeitslosengeldes 2 für falsch. Mindestlöhne sollten dafür sorgen, dass der Arbeitgeber ausreichende Löhne bezahlt. Um nichts anderes handelt es sich aber bei der Pendlerpauschale - um einen staatlichen Lohnzuschuss. Warum aber gibt es keinen Lohnzuschuss für die Krankenschwester, die in München zu unverschämt hohen Mieten wohnen muss? Warum bezuschusst der Staat dagegen den Arzt, der vor diesen Mieten ins Grüne flieht und die Fahrt zur Arbeit dann mit 12 Cent subventioniert bekommt?
Diese Problematik wird am besten eingefangen mit einem entsprechend hohen steuerfreien Existenzminimum und einem erhöhten Arbeitnehmerpauschbetrag.
Ich selber habe übrigens kein Auto, meine Frau auch nicht. Das kann ich mir leisten, weil ich in Berlin in einer Stadt lebe, die einen immer noch guten Nahverkehr hat und weil ich nach Göttingen in meinen Wahlkreis mit dem ICE komme. Würde ich auf dem Lande wohnen, könnte ich das nicht. Ich habe mich aber für die Stadt entschieden. Ich kenne viele, die sich anders entschieden haben. Ich finde, der Staat muss beide Entscheidungen gleich behandeln - alles andere wäre übrigens verfassungswidrig.
Mit freundlichem Gruß
Ihr Jürgen Trittin