Frage an Jürgen Trittin von Ralf K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Werter Herr Trittin,
zunächst danke ich Ihnen für Ihre Antwort und bitte um Verständnis, dass ich hierzu noch einige Nachfragen habe.
1. Kann Ihnen wirklich entgangen sein, dass ich mit meiner letzten mail die Frage nach der demokratischen Legitimation von Entscheidungsträgern stellte, über die weit weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten abgestimmt haben?
Warum diese Frage?
Wie Ihnen bekannt ist, schreibt z.B. die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (wie auch anderer Parlamente) vor, dass für dessen Beschlussfähigkeit mindestens die Hälfte seiner Abgeordneten anwesend sein muß. Und das hat, wie Sie wissen, gute Gründe.
Nun ist klar, dass GeschO und Wahlrecht 2 unterschiedliche Dinge sind. Dennoch meine Fragen hierzu:
2. Sollten Ihrer Meinung nach diesen beiden Vorgängen nicht dieselben demokratischen Prinzipien zu Grunde liegen?
3. Wie kann ein Parlament, das bei Abwesenheit von mehr als der Hälfte seiner Mitglieder nicht legitimiert ist, Beschlüsse zu fassen, sich selbst grundsätzlich als durch den Souverän legitimiert betrachten, wenn dieser zu weniger als der Hälfte an seinem Zustandekommen beteiligt war?
Folgte man der Logik Ihrer Argumentation konsequent, so bedeutet Ihr Demokratieverständnis, dass eine Wahl, bei der lediglich die sich zur Wahl stellenden Kandidaten zur Stimmabgabe gehen, während das "gemeine Wahlvolk" dieses Votum boykottiert, auch in diesem Fall ein durch das Volk legitimiertes Parlament hervorbringt. Das ist absurd!
Verstehen Sie jetzt das Problem?
Da ich nicht glauben möchte, dass ein ehemaliger Bundesminister wirklich dieser Logik folgt, meine letzte Frage zu diesem Komplex:
4. Ab welchem Umfang des Wahlboykotts würden Sie die Rechtmässigkeit des zustande gekommenen Parlaments bestreiten?
57% scheinen für Sie hier ja nicht ausreichend zu sein.
Und, bitte, beziehen Sie sich in Ihrer Antwort nicht auf Formalien, die eben diese mehrheitlich abgelehnten Parlamentarier zur Sicherung ihres Daseins einmal erlassen haben!
Ralf Kulikowsky
Sehr geehrte Herr Kulikowsky,
das von ihnen angesprochene Problem entfernt sich von Ihrer Ausgangsfrage sehr weit. Dem Vertrag von Lissabon wurde im Bundestag - wie im Europaparlament - in namentlicher Abstimmung mit übergroßer Mehrheit der gewählten Abgeordneten zugestimmt. Sie können das im Protokoll der Sitzung nachlesen.
Die anderen von Ihnen angesprochenen Probleme sind in der Geschäftsordnung geregelt und vielfach Gegenstand von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen gewesen, die darin keinen Verstoß gegen das Demokratieprinzip gesehen haben.
Im Übrigen gibt es keine Wahlpflicht in Deutschland - und deshalb hat es jeder Bürger selbst in der Hand, wie hoch die Wahlbeteiligung ist. Es ist keine Verantwortung der Gewählten sondern der Wähler - also auch von Ihnen.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin