Frage an Jürgen Trittin von Rainer B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Trittin,
bei der heutigen Aschermittwochsveranstaltung haben Sie wieder gegen die Lieferung der Patrouillenboote an Saudi-Arabien gewettert und Frau Merkel bzw. den Bundessicherheitsrat dafür angegriffen.
Können Sie mir bitte erklären wieweit sich die Situation von Saudi Arabien in den letzten 10 Jahren verändert hat, so dass heute Waffenlieferungen wie diese eher defensiven Patrouillenboote verboten werden sollen, während zu Zeiten der rot/grünen Regierung Sturmgewehre dorthin geliefert wurden?
Frau Roth musste ja schon im vorigen Jahr in einer Sendung bei Anne Will zugeben dass sie damals Mitglied im Bundessicherheitsrat war. Und die damals gelieferten Sturmgewehre waren sicher viel besser dazu geeignet eventuelle Demonstranten zu bekämpfen (Argument der Grünen gegen die Lieferung der Panzer) als diese Patrouillenboote!
Wo liegt der Grund dafür dass Sie unter anderem in solchen Fragen in der Opposition genau das Gegenteil von dem fordern was Sie als Regierungsmitglied noch selbst getan haben?
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Baack
Sehr geehrter Herr Baack,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht.
Wir Grüne sind der Meinung, dass man Stabilität nicht durch die Lieferung von Kriegswaffen und die Aufrüstung von Despoten erreichen kann. Spätestens die Umbrüche in der arabischen Welt haben gezeigt, dass das fatal ist. Hohe und asymmetrische Militär- und Rüstungspotenziale waren und sind eine Quelle von Unsicherheit. Sie sind mit einer Politik der Krisenprävention und kollektiven Sicherheit nicht vereinbar.
Im Jahr 2000 wurden unter Rot-Grün die Rüstungsexportrichtlinien überarbeitet und restriktiver gestaltet. In den Richtlinien ist z.B. klar festgeschrieben: "Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, (...) in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden." Für uns Grüne ist ganz klar: Die Bundesregierung verstößt mit der Entscheidung, 200 Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern, gegen diese Rüstungsexportrichtlinien. Saudi-Arabien war an der Niederschlagung der Demokratiebewegung in Bahrain beteiligt und weist innerstaatlich eine Reihe von menschenrechtlichen und rechtstaatlichen Defiziten auf. Deutschland ist in den letzten Jahren zum drittgrößten Rüstungsgüterexporteur weltweit aufgestiegen, nur rund 51 % der Rüstungsgüter gingen an Bündnispartner, der Rest geht an Drittstaaten. Wir haben die Regierung mehrmals dazu aufgefordert, Stellung zu beziehen und eine endlich restriktive Rüstungspolitik umzusetzen.
Insgesamt war auch die Rüstungsexportpolitik von Rot-Grün kein Ruhmesblatt, das muss ganz offen gesagt werden. Stellenweise stand sie im Widerspruch zu eigenen friedenspolitischen Ansprüchen, insbesondere dem Ansatz der Zivilen Krisenprävention. Rüstungsexporte waren aber in der rot-grünen Koalition kein Konsensthema, sondern ein heikles bis explosives Streitthema. Auf dem Feld der Rüstungsexporte treffen kurzsichtige Interessen und weitsichtigere Sicherheitspolitik besonders hart aufeinander. Unter Rot-Grün lief im Bundessicherheitsrat immer wieder die Konfliktlinie zwischen dem federführenden Wirtschaftsministerium, Verteidigungsministerium und Kanzleramt auf der einen und dem Auswärtigem Amt und dem Entwicklungsministerium auf der anderen Seite. Im Übrigen hatten die Grünen damals nur eine Stimme im Bundessicherheitsrat, die FDP hat heute vier.
Trotz fehlender Kontrollrechte konnten wir einige besonders problematische Exporte verhindern bzw. aufhalten. So z.B. über etliche Jahre Panzerlieferungen an die Türkei, gegenüber Israel den Schützenpanzer "Fuchs", das Patrouillenfahrzeug "Dingo" und U-Boote, solange ihre nukleare Aufrüstung nicht ausgeschlossen werden konnte. Ende 2003 sollte das EU-Waffenembargo gegenüber China aufgehoben und die MOX-Brennelemente-Fabrik aus Hanau exportiert werden. Beides konnten wir mit vielen Verbündeten verhindern.
Die derzeitige Rüstungspolitik ist für uns Grüne nicht hinnehmbar, sie muss umgehend beschränkt und besser kontrolliert werden. Voraussetzung ist mehr Transparenz und mehr parlamentarische Kontrollmöglichkeit. Im Vergleich zu anderen Ländern hinkt Deutschland hier meilenweit hinterher. Wir fordern eine menschenrechtsorientiere und restriktivere Rüstungspolitik und setzen uns für ein wirksames Rüstungsexportgesetz ein, das die Rüstungsexportrichtlinien ersetzt.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin