Frage an Jürgen Trittin von Julia T. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Herr Trittin,
Nach Angaben des Spiegels mit gestrigem Datum begrüßen Sie die Militäroffensive der Franzosen ausdrücklich und fordern ein entschiedenes dt. Engagement.
Warum soll ein weiteres Vorstoßen der Islamisten in Mali mittels Bomben gestoppt werden, während die gleichen Islamisten in Libyen und Syrien unterstützt werden? Hinter all diesen Terrorgruppen stehen die Wahhabiten aus Saudi-Arabien (eine der übelsten Diktaturen weltweit, aber das muss ich Ihnen eigentlich auch nicht sagen.., und Deutschland verdient auch noch immens an den Geschäften).
Nachdem der Westen religiöse Extremisten instrumentalisierte um unseren Exfreund Gaddafi zu stürzen und auch zum grausamen Werkzeug in Syrien macht, um Assad mit einer westlichen Marionette zu ersetzen, ungeachtet der Kriegsverbrechen und humanitären Katastrophen, die durch die von Saudi Arabien angeheuerten Dschihad-Söldner begangen werden (und unsere ach so freie und unzensierte Presse natürlich sachlich berichtet), ist nun Mali an der Reihe.
Doch hier scheinen einmal die Interessen vom Westen und Saudi Arabien auseinanderzuklaffen. Also Assad darf die Islamisten in seinem Land nicht bekämpfen, aber wenn Hollande auf fremden Territorium Bomben auf Zivilisten wirft, ist er ein Held und brauch Unterstützung?
Wollen Sie mal wieder Kriegsverbrechen aus angeblich humanitären Gründen, für die der Westen mitverantwortlich zu machen ist, erklären? Ist Krieg Frieden? Wird hier nicht mit zweierlei Maß gemessen? Eindeutig ist wieder die Doppelmoral des Westens:
Zufällig hat Mali enorme (!) Goldvorkommen und begehrenswerte Mineralien. Krieg ist ein gutes Geschäft. Freundlich gesinnte Regierungen erlauben die Ausbeutung der Ressourcen durch Konzerne.
Nach Ihrer Teilnahme an der Bilderberg-Konferenz scheint vielen klar, dass Sie mehr der Finanzelite statt dem Volk dienen? Pazifistische (Ex-)Grünenwähler verjagen Sie mit diesem kriegshetzerischen Verhalten. Oder worauf stützen Sie Ihre Aussage?
Eine ehem. Grünen-Wählerin
Sehr geehrte Bürgerin,
bitte entschuldigen Sie die späte Antwort. Herr Trittin hat uns gebeten, Ihnen zu antworten, da ihm dies aufgrund der hohen Terminbelastung selbst nicht zeitnah möglich ist.
Die Aufstände in der sog. MENA-Region haben gezeigt, dass die bisherige Politik Deutschlands und der EU, die unter dem Verweis auf vermeintliche Stabilität autoritäre Regime und Diktatoren in der Region unterstützt hat, kläglich gescheitert ist. Besonders skandalös sind in dieser Hinsicht die massiven, die es in die Region viele Jahre lang gegeben hat und immer noch gibt. Dass Deutschland mit seinen Exporten von Panzern nach Saudi-Arabien, Katar oder Indonesien hier weiter munter mitmischt, ist ein Skandal.
Wir Grüne teilen gemeinsam mit vielen anderen die Vision einer Welt ohne Krieg und Gewalt. Jedoch muss dann, wenn Menschen in ihrer Sicherheit und ihrem Leben bedroht sind, genau abgewogen werden, ob ein Eingreifen sinnvoll ist.
Seit Anfang 2012 steckt Mali in einer schweren politischen Krise. In Afrika drohte die Entstehung eines weiteren "failed state", mit neuen Rückzugsräumen für islamistische Terroristen. Der Norden des Landes wurde von bewaffneten islamistischen Gruppen besetzt. Sie haben die Scharia eingeführt und schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Anfang Januar kündigten sie den Waffenstillstand und begannen einen Vorstoß nach Süden. Die Islamisten marschierten bereits auf die Hauptstadt Bamako zu, der Großteil der malischen Bevölkerung floh in den Süden, um den Gräueltaten der Islamisten zu entgehen. Deshalb bat die malische Übergangsregierung die Vereinten Nationen und Frankreich um Hilfe.
Mit einem weiteren Vorstoß der Islamisten in den Süden wären jegliche Verhandlungen zwischen der Übergangsregierung und den islamistischen Gruppen unmöglich geworden. Vor diesem Hintergrund der Geschehnisse war die französische Intervention eine erforderliche, aber riskante Notaktion. Frankreich hat mit dem Eingreifen die malische Übergangsregierung stabilisiert und verhindert, dass Mali im Chaos versinkt.
Deshalb war es richtig, dass sich die Bundesregierung entschieden hat, die Gemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) mit der Entsendung von zwei Transallmaschinen zu unterstützen. Ebenso richtig war es, im Rahmen der EU sowie zur Unterstützung der UN-Mission AFISMA insgesamt bis zu 350 Soldaten zur Stabilisierung Malis bereitzustellen. Wir Grüne unterstützen grundsätzlich die beiden Missionen, weil wir das gemeinsame Handeln der EU sowie die multilaterale und regional eingebettete Krisenbewältigung begrüßen. Aus diesem Grund begrüßen wir auch die geplante UN-Friedensmission MINUSMA, die ab Juli starten soll. Damit wird das Engagement in Mali endgültig in einen multilateralen Einsatz unter Führung der Vereinten Nationen überführt. Wir erwarten, dass die Bundesregierung hierzu einen wesentlichen Beitrag leistet.
Neben der notwendigen militärischen Unterstützung kommt es jetzt vor allem darauf an, dass die Vereinten Nationen und Europa zusammen mit der Afrikanischen Union und ECOWAS einen politischen Prozess in Mali unterstützen, so dass ordnungsgemäße Wahlen stattfinden können und gleichzeitig ein Dialog- und Versöhnungsprozess in Gang kommen kann. Die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen müssen zur Rechenschaft gezogen werden, ganz gleich, welcher Seite sie angehören. Die Staatengemeinschaft muss deshalb die Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs unterstützen, die die malische Übergangsregierung selbst angefragt hat.
Es geht nicht darum, wie Ihre Email suggeriert, Islamisten in Mali zu bekämpfen und in Syrien und Libyen zu unterstützen. Es geht darum, unschuldige Menschen zu schützen und zu verhindern, dass ein Land in Chaos und Instabilität versinkt, was fatale Folgen für die ganze Region hätte. Die immer weiter eskalierende Gewalt in Syrien ist frustrierend, der Ruf nach einem Eingreifen der internationalen Gemeinschaft verständlich. Dennoch sehen wir Grüne eine militärische Intervention, die auch die Einrichtung einer Flugverbotszone faktisch bedeuten würde, als höchst gefährlich an, da dadurch die Gewalt noch mehr eskalieren und eine ganze, bereits instabile Region noch weiter destabilisiert werden könnte. Ein Flächenbrand in dieser Region mit einem unberechenbaren Iran, einem instabilen Irak und Libanon muss unbedingt verhindert werden. Aus diesem Grund lehnen wir auch Waffenlieferungen an die syrische Opposition, wie sie international verstärkt diskutiert werden, ab. Zu unübersichtlich ist die Zusammensetzung der "Opposition", zu unklar deren Ziele und zu riskant das Vorhaben, die Region noch weiter mit Waffen zu fluten. An Waffen mangelt es in Syrien und den umliegenden Staaten garantiert nicht.
Wichtig ist, weiterhin den Druck auf Russland zu erhöhen, um gemeinsam eine politische Lösung für Syrien zu erreichen. Diplomatische und politische Anstrengungen und Initiativen sind angesichts der brutalen Gewalt in Syrien nötiger denn je, um den blutigen Bürgerkrieg und den Tod noch weiterer Unschuldiger zu beenden. Seit Ausbruch der Gewalt fordern wir den Rücktritt von Bashar al-Assad und halten weiter daran fest. Es muss sowohl dem Assad-Regime wie den kämpfenden Rebellen deutlich gemacht werden, dass aktuelle und potentielle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht straflos bleiben werden. Daher fordern wir, dass Assad und andere Verantwortliche für die begangenen Verbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden. Wir begrüßen zudem weitere Sanktionen der EU, die den Druck auf das Assad-Regime erhöhen.
Notwendig ist jetzt auch eine Vorbereitung auf die Nach-Assad-Zeit. Diese wird angesichts der politischen, ethnischen und konfessionellen Verwerfungen und angesichts dessen, was bisher geschehen ist, ausgesprochen schwierig werden. Hilfe für und Druck auf die Opposition wird ebenso notwendig sein, wie UN-Monitore und diplomatische Anstrengungen. Bei letzteren dürfte der Türkei und der Arabischen Liga eine wichtige Rolle zukommen. Sehr wichtig wird die Stärkung der lokalen Strukturen sein, um Vergeltungsakte zu vermeiden und Sicherheit für die Bevölkerung zu schaffen.
Ob in Mali oder Syrien - wir Grüne sehen es äußerst kritisch, dass die islamistischen Kämpfer in bewaffneten Konflikten von ihrer Hausmacht auf der arabischen Halbinsel finanziert werden und die Kanzlerin dennoch die Golfstaaten als strategische Partner bezeichnet, die wir mit deutschen Waffen ertüchtigen wollen. Und gleichzeitig schicken wir deutsche Soldaten in die Wüste, um die Scherben der Politik dieser strategischen Partner wieder einzusammeln. Die derzeitige Rüstungsexportpolitik ist für uns Grüne nicht hinnehmbar, sie muss umgehend beschränkt und besser kontrolliert werden. Voraussetzung ist mehr Transparenz und mehr parlamentarische Kontrollmöglichkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Team Trittin