Frage an Jürgen Trittin von Claudiac J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geerter Herr Trittin,
Das Thema "Zwangsbehandlung psychiatrisch auffälliger Personen" erweckt starke Emotionen und steht z.B. bei mir persönlich auf einer Stufe mit Hexenverfolgung, Holocaust, Euthanasie im Nationalsozialismus, Ausschaltung politischer Gegner in Diktaturen u.s.w.
Das Thema ist außerordentlich negativ besetzt.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich eindeutig gegen Zwangsbehandlung positioniert.
Es gibt zahlreiche aktuelle Skandale, wo Psychiatrie mißbräuchlich gegen unliebsame "querulatorisch" denkend und handelnde Bürger eingesetzt wurde, z. B. gegen Gustl Mollath oder die hessischen Steuerfahnder.
Es gibt keinen vernünftigen, menschlich vertretbaren Grund, eine Zwangsbehandlung gesetzlich einzuführen.
Das Hamburger Modell, durch das Zwangsmaßnahmen auf ein Zehntel gesungen sind, zeigt, daß es für wirklich relevante Fälle wirksame Alternativen gibt.
Meine Fragen lauten:
Warum wird im Bundestag ein so radikaler, menschenfeindlicher Gesetzentwurf zur Zwangsbehandlung diskutiert, wenn er aktuell verfassungsfeindlich ist und außerdem es mit dem Hamburger Modell eine wirksame und menschliche Alternative gibt.
Wie ist Ihre persönliche Einstellung zu dieser Thematik.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Jurjanz
Sehr geehrte Frau Jurjanz,
vielen Dank für Ihre Frage.
Zwangsbehandlungen müssen so weit wie möglich vermieden werden. Sie können gerechtfertigt sein, wenn mildere Mittel keinen Erfolg versprechen und der Betroffene ansonsten stirbt oder einen schweren Gesundheitsschaden erleidet. Allerdings spiegelt das Gesetz der Bundesregierung den Ausnahmecharakter eines solchen Zwangs nicht ausreichend wieder. So ist nicht festgeschrieben, dass die Gespräche zwischen Betreuer, Arzt und Betreuten mit angemessenem Zeitaufwand und ohne Druck erfolgen müssen. Und auch die Unabhängigkeit des Sachverständigen, der vor Beginn einer Zwangsbehandlung eine Überprüfung durchführt, ist nicht ausreichend geregelt. Außerdem müsste die Anwendung von Eilmaßnahmen stärker eingeschränkt werden und eine verbindliche Justizstatistik zu Zwangsmaßnahmen geführt werden. Bei der Abstimmung über das Gesetz haben sich Bündnis 90/Die Grünen deshalb enthalten. Wir schlagen vor, den Abschluss von Behandlungsvereinbarungen als zweiseitigen Vertrag zwischen PatientInnen und BehandlerInnen vor. Auch müssen Krankenhäuser finanziell in die Lage versetzt werden, patientenorientierten Behandlungsanforderungen zu genügen. Wichtig sind auch Nachsorgeangebote unter Einbeziehung von Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die darauf ausgerichtet sind, das Auftreten einer psychiatrischen Krise frühzeitig zu erkennen.
Viele Grüße,
Team Trittin