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Jürgen Trittin
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Frage von Manfred B. •

Frage an Jürgen Trittin von Manfred B. bezüglich Wirtschaft

Lieber Jürgen,

ich darf doch Jürgen sagen, denn als Grüner der 1. Stunde (Bunte Liste Wehrt Euch in Hamburg - Du kanst Dich erinnern) sind wir uns ja - oder vielmehr waren - ideologisch nahe. Nun gut zur Sache: Du verwendest als Metapher für Deinen Namen
"Darth Vader", den Bösewicht aus Star Wars. Nun ja, diese Wahl der Metapher entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Als Kind war der böse Darth Vader nämlich der gute Anakin Skywalker, der im Laufe seines Lebens zum Bösen konvertierte (klingelt es schon?). Und zum Ende seines Lebens sah er ein, alles falsch gemacht zu haben und endete mit den legendären Worten, gerichtet an seinen Sohn Luke Skywalker: "Ich bin Dein Vater".
Was hat das mit der Finanzkrise zu tun? Ganz viel, denn Du lieber Jürgen gehörst zu den Abgeordneten, die in völliger Verkennung der wahren Risiken im Euroraum wie z.B. Target2 (kommt bezeichnenderweise als Überschrift-Thema auch nicht vor hier) staatstragend die Hand für ESFS und ESM gehoben haben. Und ausgerechnet dem größten Protagonisten des entfesselten Finanzkapitalismus Prof. Hans-Werner Sinn bleibt es überlasen, auf den Target2-Wahnsinn, nun in einem Buch, hinzuweisen. Und wo sind die Grünen, lieber Jürgen? Im Tiefschlaf! Und nun zur Metapher, den wenn der große Knall kommt, wirst Du Dir Asche über das Haupt streuen und sagen, hätte ich doch ... zu spät!
Nun meine Frage:
Wie stehen die Grünen zur Target2-Problematik? Gibt es da eine Meinung zu?
Für eine Antwort wäre ich sehr dankbar, Darth Vader.

Portrait von Jürgen Trittin
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Bhring, lieber Manfred,

TARGET II klingt bedrohlich, ist aber nicht die Ursache der Krise, sondern lediglich ein Symptom. Die Risiken der Eurozone bestanden auch ohne die gestiegenen TARGET II-Salden. Da darf man sich von Hans-Werner Sinn&Co. nicht verrückt machen lassen. Von Tiefschlaf unsererseits kann keine Rede sein. Wir machen verantwortungsvolle Politik. Wir haben EFSF und ESM zugestimmt, weil die beiden Institutionen schlimmeres verhindert haben, weil sie teilweise unseren Forderungen entsprechen und von der Bundesregierung nur sehr spt vorangetrieben wurden. Ja, wir haben staatstragend in Verantwortung für Europa gehandelt. Was daran verkehrt sein soll, ist nicht erkennbar.
 
TARGET II ist ein Zahlungssystem für eilbedrftige Großzahlungen innerhalb der Europischen Union. Die Zahlungen werden ber die nationalen Zentralbanken abgewickelt.

TARGET-Forderungen und Verbindlichkeiten in der Eurozone sind zunchst aus Leistungsbilanzberschssen und -Defiziten entstanden. Ein Leistungsbilanzberschuss bedeutet, dass ein Land A mehr Güter und Dienstleistungen exportiert als importiert hat. Die Differenz ist in diesem Fall ein Leistungsbilanzberschuss. Leistungsbilanzunterschiede sind nicht per se gut oder schlecht und sie entstehen in jeder Volkswirtschaft.
 
Probleme entstehen, wenn der Kreislauf aus Überschüssen und Defiziten nicht gegeben ist, weil immer dieselben Personen sparen bzw. konsumieren. Das kann dazu fhren, das Guthaben bzw. Schulden auf der anderen Seite so hohe Werte erreichen, dass ihre Bedienung bzw. ihre Rckzahlung nicht mehr mglich ist. Diese Befürchtung ist der Kern der Vertrauenskrise in der Eurozone und Grund fr die gestiegenen TARGET-Salden.

 Die deutschen Leistungsbilanzberschsse sind seit Einführung des Euro angestiegen. Die deutsche Volkswirtschaft hat also viel exportiert und Forderungen an das Ausland erworben. Der Forderungserwerb passierte ber Banken, Pensionsfonds oder Versicherungen. Diese sammelten Sparkapital in Deutschland ein und investierten dies in Sdeuropa, wo die Nachfrage nach Krediten hher als hierzulande war. So wurden die deutschen Leistungsbilanzberschsse angelegt und gleichzeitig die sdeuropischen Defizite finanziert. Diese Finanzierungsweise hat bis 2007 und der Finanzkrise funktioniert.

Der Krise ließ Zweifel aufkommen, ob die Defizitlnder in der Lage sein werden ihre Kredite zurckzuzahlen. Daraufhin zogen deutsche Banken und Versicherungen ihre Finanzierungsmittel aus Südeuropa weitgehend ab. Dieser abrupte Abzug von Liquiditt htte die dortigen Volkswirtschaften und Bankensystem ohne Intervention der Europischen Zentralbank zum Kollaps gebracht: Mit der Konsequenz einer Entwertung der bislang angesparten Leistungsbilanzberschsse. Deutschland wäre vor der Wahl gestanden, entweder Banken und Versicherungen auf Steuerzahlerkosten zu rekapitalisieren oder aber die Bankguthaben und Versicherungsvertrge deutscher SparerInnen htten entwertet werden mssen. Das Eigenkapital im deutschen Bankensystem von insgesamt gut 200 Milliarden htte nicht ansatzweise ausgereicht, um Ausflle in dieser Grenordnung zu kompensieren.
 
Dieses Szenario wurde kurzfristig von der Europischen Zentralbank (EZB) verhindert, die die Finanzierung südeuropischer Banken übernahm als nordeuropische Banken ihre Mittel abzogen. Das auergewhnliche Engagement der EZB dauert noch bis heute an. Da die Manahmen der EZB in Zentralbankgeld über das Zahlungssystem TARGET abgewickelt wurden, entstanden die hohen TARGET Salden bei der Bundesbank. Htte die EZB aber nicht gehandelt, wre die Konsequenz wie bereits geschrieben ein immenser Ausfall bei deutschen Banken und Versicherungen gewesen, der letztlich von SparerInnen oder SteuerzahlerInnen htte getragen werden mssen. Die TARGET Salden führen also explizit nicht zu einem höheren Risiko für die deutschen SteuerzahlerInnen, sondern sind nur eine Darstellung vorher schon vorhandener Risiken, die auf das Notenbanksystem bertragen wurden.

Daher hat die Grüne Bundestagsfraktion sich für Manahmen zur weiteren wirtschaftlichen Integration Europas eingesetzt. ESM und EFSF sind erstmal Instrumente, die den Übergang ermglichen sollen. Nur wenn in Deutschland Lohnsteigerungen durchgesetzt werden, etwa durch einen gesetzlichen Mindestlohn, kann der Konsum gestrkt und der Leistungsbilanzberschuss gesenkt werden. Gleichzeitig gilt es, die Staaten Südeuropas und ihre Exportindustrie zu stärken. Als wichtige Manahme um die Zinskosten der Staaten und Unternehmen für neue Investitionen zu senken, unterstützen wir den Vorschlag des Sachverständigenrates für einen Altschuldentilgungsfonds. Dieser wrde erstens eine Perspektive schaffen, um Schulden tatschlich langfristig abzubauen. Der Altschuldentilgungsfonds wrde daher direkt zu einer Senkung der TARGET Salden beitragen und die Zentralbank von den Risiken befreien. Schwarz-Gelb hingegen scheut weitergehende Schritte und lässt kurz vor einer Katastrophe immer wieder die EZB einspringen. Wir hingegen sind der Ansicht, dass in einer Demokratie gewhlte Abgeordnete ber Risikobernahmen entscheiden mssen. Daher werden wir uns weiterhin für transparente Lösungen einsetzen.
 
Mit freundlichen Gren

i.A. Philip Bohle