Frage an Jürgen Trittin von Birgit J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Trittin,
Herr Draghi hat heute bestehende Verträge gebrochen und will nun unbegrenzt Anleihen der Krisenstaaten aufkaufen. Deutschland als größter Zahler (26%) ist in der EZB nur mit einer Stimme vertreten und hat keinerlei Möglichkeiten solche Beschlüsse zu stoppen. Dies ist um so kritischer, weil mittlerweile 75% der deutschen Bevölkerung den Euro nicht mehr oder zumindest nicht mit diesem Staatenverbund will.
Wie stehen die Grünen zu diesem Rechtsbruch?
Welche Pläne der Grünen gibt es die Bevölkerung stärker an den Entscheidungen zum Verbleib im Euro zu beteiligen?
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Jacob
Sehr geehrte Frau Jacob,
die EZB handelt unabhängig von der Politik und hat es gemäß ihres Mandates für richtig befunden, unter bestimmten Bedingungen unbegrenzte Anleihekäufe anzukündigen. Der überhöhte Zinsdruck auf die Krisenstaaten ist ein zentrales Problem der Krise. Da Zinsen für Unternehmen sich an den Zinsen für Staatsanleihen orientieren, müssen selbst sehr starke Unternehmen in Italien und Spanien derzeit hohe Zinsen für Kredite zahlen. Dadurch werden Investitionen unrentabel und Arbeitsplätze sind gefährdet. Die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen in Spanien hat mittlerweile die 50% Grenze überschritten und die niedrigen Zinsen der EZB kommen in Spanien nicht an. Daher hat sich die EZB entschieden, Anleihenkäufe gemäß Art. 18 ihres Statuts durchzuführen, also ein Instrument anzuwenden, dass ihr explizit in den Verträgen erlaubt ist. Wir halten Anleihekäufe durch die EZB nicht für die beste Lösung des Problems. Wir Grüne fordern wie der Sachverständigenrat der Bundesregierung seit langem einen europäischen Schuldentilgungspakt, bei dem alle Staaten -- einschließlich Deutschlands - mit Hilfe eines Altschuldentilgungsfonds gegen sehr strikte Auflagen und bei definierten Rückzahlungsraten gemeinsam für einen bestimmten Teil der Schulden garantieren. Auch dadurch würde der Zinsdruck gemildert und die Konsolidierung in den Krisenstaaten ermöglicht. Die Bundesregierung blockiert aber einen solchen Weg. Die EZB wird durch die politische Zögerlichkeit der Bundesregierung bei der Krisenbekämpfung in die Rolle eines Feuerlöschers gedrängt. Die übernimmt sie nun mit diesem Anleihekaufprogramm, dass sie übrigens an sehr strikte Bedingungen knüpft. Sie macht es zur Voraussetzung der Anleihekäufe, dass sich die betreffenden Staaten unter den Rettungsschirm ESM begeben. Im Falle von Italien und Spanien etwa ist das noch nicht der Fall und entsprechenden Anträgen müsste der Deutsche Bundestag zustimmen. Wirkliche demokratische Legitimität aber hätte die Lösung über einen von den nationalen Parlamenten der Staaten zu beschließenden Schuldentilgungspakt.
Zentralbankpolitik wollen wir selbstverständlich nicht zum Gegenstand von Volksabstimmungen machen, das widerspricht der Idee einer unabhängigen Geldpolitik. Wir sind für mehr plebiszitäre Elemente auch auf Bundesebene, halten aber die von Ihnen nahegelegte Frage einer Abstimmung über den Verbleib einzelner Staaten in der Eurozone für abwegig. Sie würden zu einen Fest populistischer Demagogen werden. Wir setzten uns aber für einen europäischen Reformkonvent unter Beteiligung der Zivilgesellschaft und Sozialpartner ein mit breiter öffentlicher Debatte über die Weiterentwicklung der Europäischen Union ein. Die europäische Integration ist ein sehr hohes Gut von historischer Tragweite. Wir dürfen sie nicht opfern unter dem Druck einer zur Staatschuldenkrise gewordenen Bankenkrise. Stattdessen sollten wir den mutigen Schritt hin zu einer stärkeren wirtschaftspolitischen Integration gehen. Im Rahmen einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik können den Ursachen solcher Krisen auch stärker vorgebeugt werden: den großen Ungleichgewichten in der Wettbewerbsfähigkeit, den großen Unterschieden in der Steuer- und Lohnpolitik sowie in der Finanzmarktregulierung.
Mit freundlichen Grüßen,
Jürgen Trittin