Frage an Jürgen Trittin von Dieter F. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Trittin,
herzlichen Dank für Ihre Antwort. Ich dachte bisher beim Durchlesen des ESM-Vertrages:
a) Luxemburg wäre ESM-Mitglied und alle Mitgliedsstaaten des Euro-Gebietes würden Mitglieder werden;
b) Der jeweilige Direktor würde gemäß Art. 6 aus einem (beliebigen) Personenkreis mit Sachverstand von den jeweiligen Mitglied im Gouverneursrat ernannt und der einzelne Gouverneur würde gemäß Art. 5 jeweils ein Regierungsmitglied der beteiligten Länder sein;
c) Der ESM sei gemäß Art. 1 Abs. 1 eine internationale Finanzinstitution, demnach eine Bank;
d) Dem ESM wären, gemäß Art. 12 – 21, typische Bankgeschäfte zugewiesen, wie Primärmarktoperationen gemäß Art. 17, Sekundärmarktoperationen gemäß Art. 18,
Kapitalaufnahme bei Banken und Finanzinstituten gemäß Art. 21;
e) Das erforderliche Finanz- und Risikomanagement wäre gemäß Art. 22 – 24 geregelt;
f) der ESM sei wegen der Punkte a) bis e) von jeglicher Lizenzpflicht demnach auch von einer Banklizenz gemäß Art. 32 Abs. 9 befreit.
Erlauben Sie mir sechs weitere Fragen?
Wo steht im ESM-Vertrag, dass die Direktoren des ESM die jeweiligen Regierungen sind?
Wieso ist der Status des ESM unklar, wenn Art. 1 diesen klar definiert und Art. 12 – 24 Aufgaben und Controlling zuweisen?
Wozu war dann die Befreiung des ESM von einer Banklizenz vorgesehen?
Wie beantragt man eine Lizenz von der man befreit ist?
Wie verstehen Bündnis`90/die Grünen die Stellungnahme des BuFinMin, dass der ESM keine Banklizenz benötigt und dass man nach Installation des ESM der EZB die Grundlage für Staatsanleihenaufkäufe entziehen müsste?
Finanziert die EZB keine Staaten oder öffentliche Einrichtungen durch Aufkauf von Anleihen?
Warum haben Bündnis `90/die Grünen trotz des erheblichen Interpretationsspielraums zu 98,5% im Bundestag pro ESM gestimmt?
Wem dient - nach Ihrer Meinung - diese Eile, wenn substanzielle (fachliche – nicht verfassungsrechtliche) Inhalte des ESM schwebend unklar sind?
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Fritsch
Sehr geehrter Herr Fritsch,
der Gouverneursrat des ESM setzt sich aus Vertretern der jeweiligen Regierungen zusammen, siehe Artikel 5 Abs. 1 des ESM-Vertragstexts: "Das Mitglied des Gouverneursrats ist ein Regierungsmitglied des jeweiligen ESM-Mitglieds mit Zuständigkeit für die Finanzen." Das Direktorium des ESM wiederum setzt sich aus Sachverständigen zusammen, die von den Mitgliedern des Gouverneursrats ernannt werden (vgl. Artikel 6 Abs. 1 ESM-Vertrag).
Auf die Vorteile einer Banklizenz für den ESM und die formale Beantragung habe ich bereits in meiner vorherigen Antwort an Sie hingewiesen.
Was die Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums angeht, so bleibt weiterhin die Frage offen, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen möchte, um die Eurozone zu stabilisieren, wenn sie einerseits eine Banklizenz für den ESM ausschließt und andererseits der EZB die Grundlage für Anleihenaufkäufe entziehen will. Auch wir sind nicht glücklich darüber, dass die EZB die Rolle der Retterin in dieser Krise übernehmen musste, weil die Bundesregierung nicht in der Lage ist, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Alle Maßnahmen aber einfach auszuschließen und keine Alternativen zu präsentieren, wird uns nicht aus der Krise bringen.
Wir glauben, dass der ESM ein wichtiger Baustein ist, um die Eurozone langfristig zu stabilisieren. Er wird Euro-Staaten helfen, die am Markt keine bezahlbaren Kredite mehr bekommen und dafür sorgen, dass die Notlage eines Mitgliedstaates nicht zu einer Notlage der gesamten Eurozone führt. Zudem bietet er einen gemeinsamen Schutz vor Spekulationen gegen einzelne Mitgliedsstaaten. Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb bekennen wir uns eindeutig dazu, dass ohne gemeinsame Gewährleistungen ein Ausweg aus der Krise nicht möglich ist.
Wir unterstützen ihn auch deshalb, weil er ein zentrales Prinzip beinhaltet: Es gibt nur Hilfe gegen Auflagen. Diese Konditionierung bedeutet, dass der ESM nur greift, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten vorab getroffene Vereinbarungen auch sicher einhalten. Außerdem werden die Kredite nur dann vergeben, wenn der Empfänger seine Schulden auch tatsächlich tragen kann. Das wird in einer sogenannten /Schuldentragfähigkeitsanalyse/ überprüft. Die EZB hingegen kann keine Bedingungen stellen, wenn sie durch Nichtstun der Euro-Staaten dazu gezwungen wird, erneut Anleihen von Krisenländern aufzukaufen, um das Schlimmste zu verhindern.
Eile ist deswegen geboten, weil die Spekulation gegen einzelne Länder endlich beendet und der Zinsdruck für in Not geratene Staaten gemindert werden muss. Wir wollen nicht, dass die EZB noch länger die Lückenbüßerin für das katastrophale Krisenmanagement der Bundesregierung sein und weiterhin die Risiken auf sich nehmen muss, während die Zinsgewinne bei den Banken verbleiben. Seit Sommer letzten Jahres lag der ESM-Vertragstext vor, fertig zur Ratifizierung. Aber aus Angst vor Abweichlern in den eigenen Reihen bei der Abstimmung über den Fiskalpakt hat Frau Merkel das Inkrafttreten des ESM bewusst verzögert und die Abstimmung darüber an den Fiskalpakt gekoppelt. Daran, dass der ESM nun nicht wie vorgesehen am 1. Juli 2012 in Kraft treten konnte, ist weder das Bundesverfassungsgericht noch der Bundespräsident Schuld. Es ist vor allem dieser Bundesregierung anzulasten, dass wir immer noch keine wirksamen Maßnahmen gegen Spekulation, gegen den Zinsdruck und für Schuldenabbau und nachhaltige Investitionen in Europa haben.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin