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Jürgen Trittin
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Frage von Pascal H. •

Frage an Jürgen Trittin von Pascal H. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Trittin,

ich habe zwei Fragen, eine bezüglich ihrer Politik in der Finanzkrise und eine bzgl. Aussagen von ihnen und ihrer Partei.

Ich habe gelesen, dass sie ein eher linker Politiker sind. Nun haben sie zusammen mit einer großen Mehrheit ihrer Partei für den ESM u. dem Fiskalpakt gestimmt u. damit für die Schuldenunion, in der zukünftig Deutsche Steuerzahler für Schulden von Privatbanken in ganz Europa "automatisiert" aufkommen müssen. Das dies auch einen negativen Einfluss auf den d. "Sozialstaat" hat, ist offensichtlich.
Wie können sie dies nun miteinander vereinbaren?

Ich habe auch gelesen, dass sie sich für ein "gemeinsames" Europa einsetzen, wie viele hohe Politiker. (und wer weiß schon wer noch ;))
Heißt das nun, dass sie für dieses Ziel alles tun, ungeachtet Deutschlands?
Ist ihnen klar, dass die Mehrheit der Bevölkerung dies gar nicht will?
Sind sie Demokrat? Wie vereinbaren sie das mit sich?
Wie stehen sie zur EU? Meiner Meinung nach ist es kein demokratisches Gebilde.

Nun habe ich hier:
http://tinyurl.com/marc-doll-de
einige Zitate von ihnen und ihrer Partei bzgl. dem deutschen Volk o.ä. gelesen. Ich muss sagen, dass mich einige Aussagen sehr verwundern und verstören. Sie lassen mich fragen, was sie machen würden, wenn sie an die Macht kämen. (s. Zitat 2)
Ich finde es nicht schlimm, wenn man nicht patriotisch ist. (s. Zitat 4) Aber ich erwarte schon von einem Volksvertreter, dass er das Wohl der gesamten Bevölkerung im Sinn hat.
Sie schreiben, im dritten Zitat, dem deutschen Volk schlechte Attribute zu; ist das dann nicht auch rassistisch, obwohl sie genau das dem deutschen Volk ankreiden?
Ist ihnen klar, dass sie mit dieser Krisenpolitik solche Strömungen fördern, die sie abzulehnen scheinen?
Und zuletzt: glauben sie, dass sie und ihre Partei die Bevölkerung eines Landes gut vertreten können, wenn sie davon ~90% zu verachten scheinen?

Ich hoffe auf eine Antwort, am liebsten ausführlich ohne Phrasen,

MfG,

Pascal Hennigfeld

Portrait von Jürgen Trittin
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Hennigfeld,

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit sehr großer Mehrheit dem Fiskalvertrag und fast einstimmig dem Europäischen Stabilitätsmechanismus zugestimmt. Der Fiskalvertrag enthält im Wesentlichen Regelungen, die bereits heute bestehendes europäisches Recht sind. Neu ist im Kern die Einführung von nationalen Schuldenbremsen, die Deutschland bereits im Grundgesetz verankert hat. Spätestens ab 2020 wirkt die deutsche Schuldenbremse sogar strikter als die Regelung des Fiskalvertrages.

Wir glauben, dass der ESM ein wichtiger Baustein ist, um die Eurozone langfristig zu stabilisieren. Er wird Euro-Staaten helfen, die sich in einer Notlage befinden und am Markt keine bezahlbaren Kredite mehr bekommen und dafür sorgen, dass die Notlage eines Mitgliedstaates nicht zu einer Notlage der gesamten Eurozone führt. Zudem bietet er einen gemeinsamen Schutz vor Spekulationen gegen einzelne Mitgliedsstaaten.

Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb bekennen wir uns eindeutig dazu, dass ohne gemeinsame Gewährleistungen ein Ausweg aus der Krise nicht möglich ist. Die Koalition hat mit ihrem zögerlichen Verhalten bisher nur erreicht, dass der größte Teil der Krisenstrategie momentan durch die EZB ausgeführt wird. Dadurch werden de facto Risiken aus den nationalen Haushalten auf die EZB verlagert. Hinter der EZB stehen am Ende jedoch dieselben europäischen SteuerzahlerInnen. Die Kredite der EZB übersteigen mittlerweile das Volumen des ESM bei weitem. Somit ist die Bundesregierung nicht ehrlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie behauptet, sie sei gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden. Diese gibt es bereits, und sie ist die logische Konsequenz eines gemeinsamen Währungsraums, in dem Ängste vor einem Zusammenbruch existieren.

Wir unterstützen den ESM auch deshalb, weil er ein zentrales Prinzip beinhaltet: Es gibt nur Hilfe gegen Auflagen. Diese Konditionierung bedeutet, dass der ESM nur greift, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten vorab getroffene Vereinbarungen auch sicher einhalten. Außerdem werden die Kredite nur dann vergeben, wenn der Empfänger seine Schulden auch tatsächlich tragen kann. Das wird in einer sogenannten "Schuldentragfähigkeitsanalyse" überprüft.

Überdies steht die Gewährleistungshöhe fest. Ein Fass ohne Boden ist der ESM auch deswegen nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt ist auf 190 Milliarden Euro. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden. Außerdem ist eine zweimalige Zustimmung des Plenums notwendig, bevor ein Land unter den Rettungsschirm kommt. In der ersten Abstimmung wird die Frage beantwortet, ob man einem Land grundsätzlich Hilfen gewähren möchte. Nach Ausarbeitung eines konkreten Hilfsprogramms mit entsprechenden Auflagen für den empfangenden Staat muss erneut abgestimmt werden, ob das konkrete Programm so verabschiedet werden darf. Wir weisen daher vehement die Stimmen zurück, die den ESM als ein Instrument sehen, welches die Haushaltssouveränität des Deutschen Bundestages beschneidet. Der Bundestag hat selbstverständlich weiterhin das Recht, über jede Hilfe souverän zu entscheiden und diese gegebenenfalls auch abzulehnen. Die Abstimmungen binden den deutschen Vertreter im ESM-Gouverneursrat, in seinem Abstimmungsverhalten. Dies gilt sowohl für einzelne Programme, als auch für eine mögliche Aufstockung des ESM. Alle haushaltsrelevanten Entscheidungen unterliegen damit dem verfassungsrechtlichen gebotenen Parlamentsvorbehalt.

Deutschland allein hat in einer globalisierten Welt auf Dauer kein Gewicht -- um politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen, brauchen wir eine handlungsfähige und starke Europäische Union. Der ESM kann aber nur ein Baustein hin zu einer krisenfesten finanz-, haushalts- und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit in der EU sein. Gleichzeitig müssen wir an der institutionellen Fortentwicklung der EU arbeiten. Langfristig müssen dafür tatsächlich auch Entscheidungsbefugnisse in der Fiskalpolitik auf die Gemeinschaftsebene der EU überführt werden. Ein demokratischerer Aufbau der EU mit einem stärkeren Parlament liefert dabei die Grundlage für eine entsprechende Kompetenzübertragung. Dafür muss sich die Bundesregierung in Brüssel einsetzen -- ohne Wenn und Aber.

Zu Ihrem Verweis auf die Zitate möchte ich Sie gerne auf Folgendes hinweisen:

In einigen Internetforen wird mir folgende Aussage zugeschrieben: "Deutschland verschwindet jeden Tag immer mehr und das finde ich großartig." Ich habe diesen Satz nie gesagt. Es handelt sich um ein frei erfundenes Zitat. Ich behalte mir rechtliche Schritte gegen jeden vor, der diese falsche Behauptung weiterverbreitet. Diese Klarstellung ist auch auf meiner Homepage zu finden.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin