Frage an Jürgen Trittin von Dieter F. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Trittin,
warum fordern Sie eine Banklizenz für den ESM? Ist es richtig, dass im ESM-Vertrag im Art. 32 (9) steht (wörtliches Zitat):
" Der ESM ist von jeglicher Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht, die nach dem Recht eines ESM-Mitglieds für Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsunternehmen oder sonstige der Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht sowie der Regulierung unterliegende Unternehmen gilt, befreit.”
Haben Sie nicht wie die Mehrheit des Bundestages dem ESM-Vertrag zugestimmt? Warum sollte der ESM noch eine Lizenz benötigen, wenn er davon befreit ist und auch ohne Lizenz als Bank agieren darf?
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Fritsch
Sehr geehrter Herr Fritsch,
einige sind der Auffassung, dass eine Bankenlizenz für den ESM überflüssig sei und berufen sich auf Artikel 32 Absatz 9 des Statuts des ESM. Dahinter verbirgt sich die Aussage, dass es für den Rettungsschirm möglich wäre, die Europäische Zentralbank anzuzapfen und mit scheinbar unerschöpflichen Mitteln Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen. Die Risiken der EZB trügen im Endeffekt die Mitgliedsländer der Eurozone.
Allerdings reicht der Verweis auf die Klausel im Statut unserer Meinung nach nicht aus, aus dem ESM eine Finanzinstitution mit Zugang zu Zentralbankgeld zu machen. Folgende Schritte müssten dafür zunächst erfüllt werden:
Erstens müsste der EFSF oder später der ESM bei der lokalen Aufsicht eine Banklizenz beantragen. In diesem Falle wäre das die Luxemburger Zentralbank, weil der Rettungsschirm dort ansässig ist. Für einen solchen Antrag muss das Direktorium des EFSF/ESM zustimmen. Die Direktoren sind die Regierungen der Eurogruppe.
Zweitens müsste die Europäische Zentralbank einem Antrag des ESM auf Zugang zu Refinanzierungsgeschäften stattgeben. Insbesondere müssten die Voraussetzungen des Artikels 123 AEUV http://dejure.org/gesetze/AEUV/123.html erfüllt sein. Die Auslegung dieser Norm ist nach wie vor hoch umstritten. Kurz gesagt verbietet sie die Vergabe von Krediten durch die EZB (Kreditgewährungsverbot) an den gesamten Staatssektor der EU und der Mitgliedsstaaten, einschließlich sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts und öffentlicher Unternehmen. Ob und wie sich der ESM dieser Liste entziehen kann, ist ungeklärt.
Daraus ergibt sich ganz klar, dass der ESM (noch) keine Bankenlizenz hat. Dorthin ist es noch ein technisch und politisch steiniger Weg. Artikel 32 Absatz 9 bedeutet letztlich nur, dass der ESM keiner besonderen Lizenz bedarf, um seinen laut Statut vorgesehen Aufgaben nachzugehen, also Geld von den Mitgliedsländern "abzurufen" und mit diesen als Sicherheiten dann unbeschränkt Anleihen am Kapitalmarkt aufzunehmen (siehe auch Artikel 21 des ESM Statuts). Mit einer Bankenlizenz oder einer automatischen Gleichstellung des ESM mit einer Finanzinstitution hat das jedoch nichts zu tun.
Eine Banklizenz für den ESM halten wir für notwendig und auch für billiger als die bisherige Praxis. Die Koalition hat mit ihrem zögerlichen Verhalten bisher nur erreicht, dass der größte Teil des Krisenengagements momentan durch die EZB ausgeführt wird. Dadurch werden de facto Risiken aus den nationalen Haushalten auf die EZB verlagert. Hinter der EZB stehen am Ende jedoch dieselben europäischen Steuerzahler. Die Kredite der EZB übersteigen mittlerweile das Volumen des ESM bei weitem. Somit ist die Bundesregierung nicht ehrlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie behauptet, sie sei gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden. Diese gibt es bereits, und sie ist die logische Konsequenz eines gemeinsamen Währungsraums, in dem Ängste vor einem Zusammenbruch existieren.
Die EZB erwirbt also momentan Anleihen von privaten Banken. Diese bekommen dafür sieben Prozent von dem betroffenen Staat. Selber reicht die EZB Kredite für ein Prozent aus. Es bleiben sechs Prozentpunkte in den Taschen der Banken. Wir Grüne wollen, dass diese Differenz in den Taschen des europäischen Rettungsfonds verbleibt. Darüber hinaus ließen sich über den ESM Bedingungen stellen. Zum Beispiel könnte man Spanien dazu drängen, seine Vermögenden endlich richtig zu besteuern, bevor auf Hilfen von außen gesetzt wird. Die EZB hingegen kann keine Bedingungen stellen, wenn sie durch Nichtstun der Euro-Staaten dazu gezwungen wird, erneut Anleihen von Krisenländern aufzukaufen, um das Schlimmste zu verhindern.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin