Frage an Jürgen Trittin von Martin H. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Trittin,
Ich habe bisher grün gewählt und mich sehr über den Wahlsieg von Herr Kretschmann gefreut. Gestern gaben sie ein Interview im Fernsehen.
Wieso wollen Sie jetzt der EZB, die demokratisch nicht legitimiert ist so viele Rechte einräumen? Der Gouverneursrat ist auch nicht politisch legitimiert. Das europäische Parlament hat leider immer noch kein Initiativrecht.
Ich war immer ein Verfechter von Plebisziten wie viele Basisidemokraten unserer Anfangszeit auch. Das waren Sie früher auch, als ich Sie in Wahlkampfreden zugehört habe.
Jetzt untersützen sie nur noch die Bankenlobby auf Kosten der Steuerzahler. Ich liebe Griechenland und gehe auch dort in Urlaub, aber mir war es schon damals nicht nachvollziehbar wieso die einfachen Bürger mit Ihren Steuern die französischen und Deutschen Banken retten sollen?Unsere Kinder sind mit 25 000 € pro Kopf verschuldet und ich sehe für sie keine Zukunft in diesem Land mehr. Lohnt es sich noch Grün zu wählen?
Mir freundlichen Grüßen
Martin Haag
Sehr geehrter Herr Haag,
die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen hat fast einstimmig dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zugestimmt, weil wir eben gerade nicht wollen, dass die EZB weiterhin das Krisenmanagement übernehmen muss, weil die schwarz-gelben Regierung unfähig ist, wirksame und mutige Schritte zur Krisenlösung zu ergreifen. Wir glauben, dass der ESM ein wichtiger Baustein ist, um die Eurozone langfristig zu stabilisieren. Er wird Euro-Staaten helfen, die sich in einer Notlage befinden und am Markt keine bezahlbaren Kredite mehr bekommen und dafür sorgen, dass die Notlage eines Mitgliedstaates nicht zu einer Notlage der gesamten Eurozone führt. Zudem bietet er einen gemeinsamen Schutz vor Spekulationen gegen einzelne Mitgliedsstaaten.
Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb bekennen wir uns eindeutig dazu, dass ohne gemeinsame Gewährleistungen ein Ausweg aus der Krise nicht möglich ist. Die Koalition hat mit ihrem zögerlichen Verhalten bisher nur erreicht, dass der größte Teil der Krisenstrategie momentan durch die EZB ausgeführt wird. Dadurch werden de facto Risiken aus den nationalen Haushalten auf die EZB verlagert. Hinter der EZB stehen am Ende jedoch dieselben europäischen SteuerzahlerInnen. Die Kredite der EZB übersteigen mittlerweile das Volumen des ESM bei weitem. Somit ist die Bundesregierung nicht ehrlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie behauptet, sie sei gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden. Diese gibt es bereits, und sie ist die logische Konsequenz eines gemeinsamen Währungsraums, in dem Ängste vor einem Zusammenbruch existieren. Deshalb haben wir immer für eine schnelle Ratifizierung des ESM plädiert. Das derzeitige Agieren der EZB ist eine Folge aus der Verzögerungstaktik der Bundesregierung, den ESM in Kraft zu setzen.
Wir unterstützen den ESM auch deshalb, weil er ein zentrales Prinzip beinhaltet: Es gibt nur Hilfe gegen Auflagen. Diese Konditionierung bedeutet, dass der ESM nur greift, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten vorab getroffene Vereinbarungen auch sicher einhalten. Die EZB hingegen kann keine Bedingungen stellen, wenn sie durch Nichtstun der Euro-Staaten dazu gezwungen wird, erneut Anleihen von Krisenländern aufzukaufen, um das Schlimmste zu verhindern.
Überdies steht die Gewährleistungshöhe fest. Ein Fass ohne Boden ist der ESM auch deswegen nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt ist auf 190 Milliarden Euro. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden. Wir weisen daher vehement die Stimmen zurück, die den ESM als ein Instrument sehen, welches die Haushaltssouveränität des Deutschen Bundestages beschneidet. Der Bundestag hat selbstverständlich weiterhin das Recht, über jede Hilfe souverän zu entscheiden und diese gegebenenfalls auch abzulehnen. Die Abstimmungen binden den deutschen Vertreter im ESM-Gouverneursrat in seinem Abstimmungsverhalten. Dies gilt sowohl für einzelne Programme, als auch für eine mögliche Aufstockung des ESM. Alle haushaltsrelevanten Entscheidungen unterliegen damit dem verfassungsrechtlichen gebotenen Parlamentsvorbehalt.
Wenn man aus der Entwicklung dieser Krise lernen will, dann brauchen wir zügig eine europäische Bankenunion, eine exekutiv wirksame europäische Bankenaufsicht, eine Schuldenbremse nicht nur für Staaten, sondern auch für Banken, und wir brauchen eine von den Banken über eine Abgabe finanzierte europäische Einlagensicherung.
Um politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen, brauchen wir eine handlungsfähige und starke Europäische Union. Der ESM kann nur ein Baustein hin zu einer krisenfesten finanz-, haushalts- und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit in der EU sein. Wir müssen an der institutionellen Fortentwicklung der EU arbeiten. Das bedeutet auch, Entscheidungsbefugnisse in der Fiskalpolitik auf die Gemeinschaftsebene der EU zu überführen. Ein demokratischerer Aufbau der EU mit einem stärkeren Parlament liefert dabei die Grundlage für eine entsprechende Kompetenzübertragung. Dafür werden wir Grüne weiter streiten.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin