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Jürgen Trittin
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Frage von Nell B. •

Frage an Jürgen Trittin von Nell B. bezüglich Wirtschaft

Hallo Herr Trittin,

am 8.6.12 schrieben Sie in diesem Forum: "Ein zentrales Element des ESM ist die Konditionierung: Es gibt nur Hilfe gegen Auflagen". Das hört sich gut an, scheint aber bisher nicht zu funktionieren.Zum Beispiel Griechenland: Nach diversen Hilfpaketen und Schuldenschnitt wurden Eu-Auflagen und Konditionen bisher immer noch nicht ansatzweise erfüllt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen : Immer noch keine Steuerreform, immer noch ist der Beamtenapparat ungefähr so bombastisch wie vor 3 Jahren, immer noch keine Reform des Katasteramtes, null Privatisierungsmaßnahmen. Und das alles hat nichts mit mangelndem Wachstum zu tun, sondern mit mangelndem Willen! Trotzdem erhält das Land immer weitere EU - Hilfen, und EU Auflagen werden immer wieder aufgeweicht. Heute wurden schon wieder Erleichterungen von der EU in Aussicht gestellt.
Andere verschuldete Länder werden dem Beispiel Griechenlands folgen. Warum sollte irgendeines dieser verschuldeten Länder noch sparen oder überhaupt irgendwelche Anstrengungen unternehmen, wenn es auch ohne diese Maßnahmen ganz easy an billiges EU Geld bekommt?
Frankreich hat gerade wieder die Rente ab 60 eingeführt, eine Maßnahme, die das hoch verschuldete Frankreich selbst nicht finanzieren kann...
Wie stellen Sie sich das vor mit der Vergemeinschaftung der Haftung in der Eurozone? Oder sind Sie der Meinung, dass Deutschland Frankreichs Frührentner finanzieren soll und Griechenland´s Beamtenapparat & Steuerflüchtlinge ?

MfG,

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Bernstein,

Staaten, die Finanzhilfen aus der EFSF oder dem ESM bekommen, müssen Reformen umsetzen und Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung ergreifen. Sowohl Irland, als auch Portugal halten die Auflagen der Anpassungsprogramme bisher ein, machen enorme Fortschritte und zeigen, dass dieser Ansatz funktioniert. Griechenland ist in der Tat mit der Umsetzung in Verzug, insbesondere bei den notwendigen Strukturreformen und den Privatisierungen geht es zu langsam voran. Auf der anderen Seite darf nicht unterschlagen werden, dass Griechenland sehr viele schmerzhafte Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung umgesetzt und inzwischen auch an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen hat, wie jüngste Untersuchungen zeigen. Es ist sowohl im deutschen, als auch im griechischen Interesse, dass Griechenland in der Euro-Zone bleiben kann. Ob dies gelingt, liegt letztendlich in der Verantwortung Griechenlands. Wir halten es für richtig den griechischen Bürgerinnen und Bürgern zur Seite zu stehen und sie auf dem mühsamen und schwierigen Weg zu unterstützen. Dabei kann es auch Rückschläge geben. Entscheidend ist, ob Griechenland Schritt für Schritt voran kommt.

Frankreich bekommt keine Hilfe aus der EFSF oder dem ESM und entscheidet in Selbstverantwortung über die Gestaltung seiner Sozialpolitik.

Zu Ihrer Frage der gemeinsamen Haftung. Europa steht vor der Alternative, entweder den Zerfall der Währungsunion zu riskieren oder mutige Integrationsschritte hin zu einer fiskalischen und politischen Union zu gehen. Von den fundamentalen ökonomischen Daten steht Europa besser da als viele andere Regionen der Welt. Dennoch spitzt sich die Krise dramatisch zu, weil jedes Land alleine zum Spielball der Märkte werden kann. Die Zinsen für Krisenländer erreichen immer neue Rekordstände. Die Einführung eines europäischen Schuldentilgungsfonds, wie ihn der Sachverständigenrat der Bundesregierung vorgeschlagen hat, ist überfällig.

In diesen Fonds würden die Schulden, die 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes überschreiten, überführt. Jedes Land müsste nach einem verbindlichen Plan seinen Anteil an den Schulden innerhalb von 25 Jahren tilgen -- am besten durch die Einführung von Vermögensabgaben. Im Gegenzug würde dieser Teil der Schulden durch gemeinschaftliche Anleihen ausgegeben -- zu deutlich besseren Konditionen als die Krisenländer derzeit an den Kapitalmärkten bekommen. Eine zügige Einführung ist rechtlich möglich, da die gemeinsame Haftung in der Höhe und zeitlich begrenzt wäre. Wir halten diese Form von Eurobonds für sinnvoller als die unkonditionierte Vergemeinschaftung von Schulden über die EZB. Letzteres ist Ergebnis schwarz-gelber Verweigerungshaltung und die schlechteste Form von gemeinsamer Haftung -- nämlich gemeinsame Haftung ohne Kontrolle.

Der Schuldentilgungsfonds wäre ein zentraler Schlüssel zur Überwindung der Krise. Er würde den dramatischen Zinsdruck, der auf Krisenländern lastet, mindern, Schuldenabbau erleichtern und das Wachstum stärken. Und er kann eine Brücke des Vertrauens schaffen, um die notwendigen weiteren Integrationsschritte diskutieren und auf den Weg bringen zu können. Wir sind der Überzeugung, dass wir die Kompetenzen der europäischen Ebene stärken müssen und dies einhergehen muss mit der Stärkung des europäischen Parlamentes.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Denter