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Jürgen Trittin
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Frage von Wolf Michael K. •

Frage an Jürgen Trittin von Wolf Michael K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Trittin,

Das französische Parlament hat jüngst mit überwältigender Mehrheit beschlossen (1), die Leugnung des Genozids an die Armenier in der heutigen Türkei (2) mit einer einjährigen Haftstrafe oder einer Geldbuße in Höhe von 45.000 Euro zu belegen. Wann dürfen wir in Deutschland mit einem ähnlichen Gesetz rechnen?

Mit freundlichen Grüßen,
Wolf Michael Kröger

Quellen
(1) DER SPIEGEL (13/1992) vom 23.3.1992: "Wir werden euch ausrotten", über den Völkermord an den Armeniern ( www.spiegel.de/spiegel/print/d-13687666.html )
(2) Hamburger Abendblatt vom 22.12.2011: "Diplomatische Eiszeit: Türkei droht mit Handelskrieg" ( http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article2136315/Diplomatische-Eiszeit-Tuerkei-droht-mit-Handelskrieg.html )

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kröger,

vielen Dank für Ihre Frage, die ich gern wie folgt beantworten möchte:

Das Thema "Verbrechen an Armeniern" und die offene Aufarbeitung der dunklen Kapitel der türkischen Geschichte stehen für uns Grüne bereits seit Mitte der 1990er Jahre auf der Agenda. Wir sind der Meinung, dass es sich bei den diesen Verbrechen um einen Völkermord handelt, der entsprechend der Definition der UN-Konvention gegen Völkermord von 1948 auch so bezeichnet werden muss.

Vor über 15 Jahren gab es die ersten mit Hilfe der Grünen veranstalteten Diskussionsrunden zum Thema - sowohl in der Türkei wie in Deutschland. Sie haben dazu beigetragen, diese Fragen in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Die Forderung, dass dabei auch die Beteiligung des damaligen deutschen Militärs mit aufgearbeitet werden sollte, hat das konservative Lager in Deutschland heftig aufgeregt. Seitdem hat sich erfreulicherweise Vieles bewegt und verändert. Auch das Zustandekommen des fraktionsübergreifenden Bundestagantrags aus dem Jahre 2005 resultierte aus diesem Wandel. Die Forderungen des Antrags sind alles andere als nur verurteilend. Vielmehr ermutigt er beide Seiten, die Türkei und Armenien, gemeinsam an einem Versöhnungsprozess zu arbeiten. Denn nur so besteht die Chance, diese grausame Kapitel der Geschichte mit Wahrhaftigkeit und im Sinne der Wahrheit zu beleuchten.

In der Debatte zur Aufarbeitung der türkischen Geschichte geht es uns nicht einfach um ein Schuldeingeständnis der türkischen Seite, sondern darum, dass mit Tabus und Tabuisierungen in der Türkei, in der offiziellen türkischen Geschichtsschreibung und im türkischen Bildungssystem endlich zu brechen. Wir sind dagegen, diese Debatte zu missbrauchen und das Thema Völkermord zu instrumentalisieren, um die Türkei aus der EU herauszuhalten. Das Schüren von anti-türkischen oder gar antimuslimischen Ressentiments in Europa ist falsch und gefährlich. Parlamentsinitiativen und Resolutionen, die versuchen, die Türkei zu verurteilen, müssen sich auf ihre politische Wirkung hin befragen lassen, ob sie einer demokratischen Debatten- und Diskussionskultur in der Türkei, einer glaubwürdigen Versöhnung und dem Frieden in der Region schaden oder nutzen.

Die Initiative im französischen Parlament ist leider eine wahlkampfbedingte und innenpolitisch motivierte Farce. Bereits im Januar 2001 hat das Land offiziell den armenischen Völkermord als solchen anerkannt. Fünf Jahre später scheiterte ein Gesetzesentwurf, der die Leugnung des Genozids strafbar machen wollte, am Widerstand des damaligen Präsidenten Chirac. Sarkozy holte das Thema im Zuge seines Wahlkampf wieder hervor, um es auch gleich wieder fallen zu lassen. Mit dieser Wiedervorlage hat er keinen seriösen Beitrag zur nötigen Aufarbeitung geleistet, sondern die Opfer des Massakers zur bloßen Staffage für eine populistische Wahlkampfmobilisierung gemacht. Ich hoffe sehr, dass diesem durchsichtigen Manöver der Erfolg versagt bleibt.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin