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Jürgen Trittin
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Frage von Kanstansin K. •

Frage an Jürgen Trittin von Kanstansin K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Trittin,

mir ist es ein Rätsel warum SPD und Grüne Herrn Gauck als Bundespräsidentschaftskandidaten aufstellten. Herr Gauck äußert sich zu den Protesten gegen die Finanzkrise sehr eindeutig und zwar negativ über die Demonstranten.
Ich sende Ihnen diesen Link zum besseren Verständnis mit:

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,792098,00.html

Wie Sie selbst sehen, ist Herr Gaucks Demonstrationsverständnis beschränkt auf das DDR-Unrecht. Von dem geht jedoch die derzeitige Bedrohung gewiss nicht mehr aus.
Würden Sie die Nominierung von Herrn Gauck als Fehler bezeichnen? Wird die SPD ihn gar nochmals aufstellen?

Mit freunldichen Grüßen

Kanstansin Kavalenka

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kavalenka,

in puncto Proteste gegen die Finanzkrise sind wir Grüne tatsächlich anderer Ansicht als Herr Gauck. Wir meinen, dass die Protestierenden ein berechtigtes Anliegen vertreten, nämlich die Verursacher der Finanzkrise endlich auch an den Kosten zu beteiligen und die Macht von Banken und Finanzspekulanten wirksam zu begrenzen. Wir unterstützen die Proteste, viele Grüne haben sich am vergangenen Wochenende selbst daran beteiligt. Gauck verkürzt sehr stark und verzerrt deren Anliegen, indem er den Protestierenden pauschal eine romantische Vorstellung von einer heilen Welt jenseits kapitalistischer Marktmacht unterstellt. Damit trifft er wohl kaum den Kern der Forderungen der mehrheitlich eher bürgerlichen DemonstrantInnen.

Wenn man den Blick etwas über dieses konkrete Thema hinaus hebt, und selbst wenn man sich vorstellt, Gauck wäre heute Bundespräsident, so stellt man indes fest: Es ist kein außergewöhnlicher Vorgang, dass ein Bundespräsident eine andere Meinung vertritt als eine Partei, die ihn als Kandidaten vorgeschlagen hatte. Die CDU/CSU erlebt das aktuell mit Christian Wulff beim Thema Islam (Wulff vertritt die -- richtige -- Auffassung, dass der Islam ein Teil Deutschlands ist, und steht damit im Widerspruch zum Bundesinnenminister Friedrich und weiteren Konservativen aus der Union.) Auch frühere Bundespräsidenten haben Parteien oder Koalitionen, denen sie ihre Mehrheit in der Bundesversammlung "verdankten", explizit widersprochen und sie zum Teil sogar scharf kritisiert. Eine prominente Paarung, die auch wegen ihrer Konfliktträchtigkeit in Erinnerung bleiben wird, sind Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl.

Joachim Gauck wurde von uns Grünen und der SPD in einer Situation vorgeschlagen, in der viele Deutsche durch den plötzlichen Rücktritt von Horst Köhler irritiert waren. Viele Menschen hatten den Eindruck, der höchste Repräsentant des Staates habe sich wegen einer relativ geringfügigen Kritik an seiner Person quasi über Nacht aus dem Staub gemacht und sie, das Volk, damit im Stich gelassen. In dieser Situation musste eine Persönlichkeit gefunden werden, der zuzutrauen war, diese Irritationen schnell wieder auszuräumen, wieder Vertrauen herzustellen und so viel Bindekraft und Weitblick zu entfalten, dass sich möglichst viele Menschen mit ihr als Staatsoberhaupt identifizieren könnten. Dass Joachim Gauck, der bis weit in bürgerliche und konservative Kreise hinein ein hohes Ansehen genießt, die richtige Wahl war, zeigt auch die Tatsache, dass sich der CDU/FDP-Gegenkandidat Wulff trotz numerisch klarer Mehrheit der Koalition in der Bundesversammlung erst im dritten Wahlgang durchsetzen konnte.

Christian Wulff ist nun seit gut einem Jahr Bundespräsident, er füllt das Amt gut aus. Turnusmäßig steht die nächste Wahl 2015 an. Seien Sie versichert, dass wir Grünen dann wieder einen ausgezeichneten Kandidaten oder eine ausgezeichnete Kandidatin finden werden. Und auch wenn es -- wider Erwarten von heute aus gesehen -- früher notwendig sein sollte, werden wir ebenso wie bei der Aufstellung von Joachim Gauck innerhalb kurzer Zeit eine Persönlichkeit finden, die den Anforderungen des Amtes in bester Weise gerecht werden würde. Wen die SPD dann nominieren wird, kann ich Ihnen nicht beantworten, da müssen Sie sie schon selbst fragen.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin