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Jürgen Trittin
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Frage von Heinrich W. •

Frage an Jürgen Trittin von Heinrich W. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Trittin!

Es liegt mir der Entwurf vor über einen "Vertrag zur Einrichtung des europäischen Stabilitätsmechanismus"(herunterzuladen: http://www.freiewelt.net/blog-3321/der-vertragsentwurf-zur-transferunion-ist-%F6ffentlich(!)---ziel-ist-die-beendigung-staatlicher-haushaltssouver%E4nit%E4t.html ). Ihnen wird dieses Papier bekannt sein, da der Bundestag Ende September darüber abstimmen soll.
1. Nach diesem Entwurf würden wir uns "bedingungslos" und "unwiderruflich" verpflichten, Geld in den ESM zu geben (Art.8/4). Nach Art. 9/3 kann der geschäftsführende Direktor neuen Kapitalbedarf reklamieren ohne dass der Bundestag nun ein Recht hat zur Debatte darüber und eventuell zur Zahlungsverweigerung, denn die BRD muss dann ebenso "unwiderruflich" und "bedingungslos" Geld zuschießen. Sehen Sie und Ihre Partei diese Vertragstexte auch als eine Entmündigung des Bundestages an und als ein auf finanziellem Gebiet umfassendes Ermächtigungsgesetz?
2. Neben anderen Bestimmungen erhalten die Verantwortlichen des ESM "umfassende gerichtliche Immunität" nach Art. 27. Die Archive des ESM "sind unverletzlich". Warum unterliegen diese Beauftragten keiner Gerichtsbarkeit? Hebeln solche Bestimmungen nicht die Vorstellungen der Gewaltenteilung in einem demokratischen Staatswesen aus und können Sie und Ihre Partei für solch ein Ermächtigungsgesetz stimmen?
3. Erkennen Sie und Ihre Partei in dieser Entwicklung auch einen Bruch von Abmachungen (Stabilitätskriterien, illegale Duchsetzung einer Transferunion) wie Erwin Teufel feststellt?
http://www.faz.net/artikel/C31147/erwin-teufel-regierungen-halten-sich-nicht-mehr-an-gesetze-30476337.html
4. Sind Sie und Ihre Partei wirklich überzeugt, wir retten Griechenland usw., oder ist nicht dies die Wirklichkeit: mit diesem Vertrag retten wir allein die Banken und sorgen für die Vermehrung ihrer Gewinne auf Kosten der Steuerzahler? Siehe: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=327

Mit freundlichen Grüssen
Heinrich Westner

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Westner,

die Ereignisse in der Eurozone stellen uns alle vor enorme Herausforderungen. Die momentane Situation verdeutlicht, wie sehr die Volkswirtschaften Europas miteinander verflochten sind. Deutschland hat von der gemeinsamen Währung und dem gemeinsamen Binnenmarkt bislang stark profitiert. Wir wollen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird und engagieren uns deshalb für eine solide, realistische und nachhaltige Lösung zur Überwindung der Eurokrise. In der Einrichtung des dauerhaften Rettungsschirms ESM sehen wir einen zentralen Baustein für die dauerhafte Stabilisierung der Euro-Zone. Wir halten es für unbedingt notwendig, ein stabiles und glaubwürdiges Instrument zu schaffen, mit dem Euro-Staaten geholfen werden kann, die sich in einer Notlage befinden und am Markt keine bezahlbaren Kredite mehr bekommen. Ohne ein solches Instrument kann die Schieflage eines einzelnen Mitgliedstaates schnell zu einem Problem der gesamten Euro-Zone werden. Zudem ist ein handlungsfähiger ESM auch ein wichtiges Zeichen gegenüber den Finanzmärkten. Die Euro-Staaten machen damit deutlich, dass sich die Spekulation gegen einzelne Euro-Staaten nicht lohnt.

Das Begleitgesetz zum ESM wird in seinen Einzelheiten derzeit beraten. Die grüne Bundestagsfraktion beteiligt sich intensiv an dem Prozess und setzt sich für eine starke Beteiligung des Deutschen Bundestags ein, wie sie auch kürzlich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil gefordert hat.

Wir unterstützen den ESM, weil er ein zentrales Prinzip beinhaltet: Es gibt nur Hilfe gegen Auflagen. Diese Konditionierung bedeutet: Der ESM greift nur ein, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten vorab getroffene Vereinbarungen auch einhalten. Außerdem werden die Kredite nur dann vergeben, wenn der Empfänger seine Schulden auch tatsächlich tragen kann. Das wird in einer sogenannten Schuldentragfähigkeitsanalyse überprüft.

Konsum auf Pump ist kein tragfähiges Geschäftsmodell. Deshalb ist eine konsequente Rückführung der Defizite unverzichtbar und notwendig. Dass die Strategie "Hilfen gegen Auflagen" funktionieren kann, zeigen die erheblichen Fortschritte Irlands beim Abbau der Neuverschuldung. Und selbst Griechenland hat sein Defizit von über 15% des BIP in 2009 inzwischen auf unter 10% gesenkt.

Ein Fass ohne Boden ist der ESM nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen klar gesetzlich begrenzt ist. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden. Der Gouverneursrat kann den ESM nur erhöhen, wenn der Deutsche Bundestag vorher diesem Schritt zugestimmt hat. Wenn ein Land unter den Rettungsschirm kommt, muss der Deutsche Bundestag ebenfalls vorher zustimmen. Der ESM schränkt die staatliche Souveränität nicht ein.

Im Gegensatz zur Koalition bekennen wir uns eindeutig dazu, dass ohne gemeinsame Gewährleistungen ein Ausweg aus der Krise nicht möglich ist. Die Koalition hat mit ihrem zögerlichen Verhalten bisher nur erreicht, dass der größte Teil der Krisenstrategie momentan durch die EZB ausgeführt wird. Dadurch werden de facto Risiken aus den nationalen Haushalten auf die EZB verlagert. Hinter der EZB stehen am Ende jedoch dieselben europäischen Steuerzahler. Die Risiken bei der EZB übersteigen mittlerweile das Volumen des ESM bei weitem. Somit ist die Bundesregierung nicht ehrlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie behauptet, sie sei gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden. Diese gibt es bereits.

Deutschland allein hat in einer globalisierten Welt auf Dauer kein Gewicht -- um politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen brauchen wir eine handlungsfähige und starke Europäische Union.

Der ESM kann aber nur ein Baustein hin zu einer krisenfesten finanz-, haushalts- und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit in der EU sein. Gleichzeitig brauchen wir einen starken Stabilitäts- und Wachstumspakt mit klaren Regeln zur Vermeidung von übermäßiger Verschuldung, eine Wirtschafts- und Solidarunion, die Fehlentwicklungen in einzelnen Staaten und somit wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten frühzeitig erkennt sowie eine Kultur finanzpolitischer Verantwortung. Dafür muss sich die Bundesregierung in Brüssel einsetzen -- ohne Wenn und Aber.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin