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Jürgen Trittin
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Frage von Harald R. •

Frage an Jürgen Trittin von Harald R. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Trittin,

es wird immer offensichtlicher: Was früher in wenigen Internet-Blogs diskutiert und ausgesprochen wurde, ist heute auch in mainstream Medien zu lesen.

Der Euro ringt um seine Existenz, denn er ist auf einem System von Behauptungen aufgebaut, die sich immer mehr als Fehleinschätzungen oder Lügen entpuppen (siehe Wirtschaftswoche im Aug. 2011 und www.foonds.com).

Das Grundgesetz wird ausgehöhlt, das Vermögen und damit die Zukunft der Bürger wird verschleudert.

Das deutsche Parlament entwickelt sich zusehends zur Farce. Wichtige Entscheidungen werden vom europäischen Durchwinkparlament getroffen. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben sich weit von der Demokratie entfernt.

Was unternehmen Sie? Beteiligen Sie sich an diesem Staatsstreich gegen die Deutsche Verfassung und die Bürger?

Mit freundlichen Grüßen

Harald Riegsinger

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Riegsinger,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die mich über abgeordnetenwatch.de erreicht hat.

Zunächst möchte ich vorweg schicken: Kein anderes Land in Europa hat so vom Euro profitiert wie das exportstärkste Land Europas, und das ist Deutschland. Ein Auseinanderbrechen der Währungsunion hätte drastische Folgen für die Unternehmen in Deutschland und würde hunderttausende Arbeitsplätze kosten. Stammtischparolen aus den Reihen von Schwarz-Gelb und von der Bild-Zeitung lassen den Eindruck entstehen, Deutschland sei der Zahlmeister und würde ständig wieder neue Milliarden an Griechenland überweisen und hätte selbst nichts davon. Das Gegenteil ist der Fall. Während Schwarz-Gelb sich durch kurzfristig erfolgversprechende Rhetorik Aufwärtswind in den Meinungsumfragen erhofft, sehen wir Grüne uns weiterhin als die Europapartei, die an langfristig richtigen Entscheidungen festhält.

Aber nicht nur Deutschland, auch die anderen europäischen Staaten haben -- insbesondere in der Finanzkrise -- enorm durch den Euro profitiert. Während sich in anderen EU Staaten viele Unternehmen, die sich in niedrig verzinsten Euro Darlehen finanzierten, nach Abwertungen in der Finanzkrise mit großen Schwierigkeiten konfrontiert sahen, waren die Euro-Länder vor Währungsschwankungen geschützt, da der Euro als zweit wichtigste Reservewährung kaum Spekulationen ausgesetzt ist. Die Tatsache, dass die isländische Regierung auf ihre Bankenkrise mit dem Wunsch nach einem schnellstmöglichen Beitritt zur Euro-Zone antwortete, ist ein Zeichen, wie stabil und erfolgreich der Euro eingeschätzt wird. Trotz dieser Vorteile hat die Vergangenheit uns gezeigt, welche Konsequenzen sich aus Ungleichgewichten im Währungsgebiet ergeben können. Eine gemeinsame Währung braucht einen gemeinsamen Rahmen für die Wirtschafts-, Haushalts-, Steuer- und Sozialpolitik, um wirtschaftlichen Ungleichgewichten vorzubeugen. Diese Krise zeigt, dass wir mehr Europa brauchen!

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel endete am 21. Juli mit einem Beschluss für mehr Europa. Es ist ein Beschluss für ein gemeinsames europäisches Handeln und gegen das Zögern und Zaudern der Regierung Merkel. Die Regierung hat in der Eurokrise jede Glaubwürdigkeit verloren. Die CDU hat entgegen ihrer europafreundlichen Geschichte die Krise durch ihre skeptische bis polemische Rhetorik verschlimmert; die Unsicherheit an den Finanzmärkten wurde immer größer. Wir Grüne haben bereits in unserem Entschließungsantrag am 8. Juni im Bundestag die Maßnahmen gefordert, die nun weitgehend in Brüssel beschlossen wurden. Dazu gehören eine Schuldenreduzierung durch eine Beteiligung privater Gläubiger, die Möglichkeit für den europäischen Rettungsfonds EFSF, am Markt europäische Anleihen zur Stabilisierung kaufen zu können, ein europäischer Bankenrettungsfonds, um die Auswirkungen der Krise einzudämmen sowie ein Investitionsprogramm für Griechenland, das die dortige Wirtschaft wieder ankurbeln soll. Auch wenn die Höhe der Gläubigerbeteiligung nicht so stark ausfällt, wie wir das vorgeschlagen haben (die Gläubiger müssen nur auf 21Prozent und nicht auf circa 35 Prozent ihrer Forderungen verzichten), sind die Ergebnisse des Gipfels als Erfolg zu werten. Es ist jetzt das Gebot der Stunde, diese Beschlüsse in entsprechenden Verhandlungen so umzusetzen, dass der Bundestag diese ratifizieren kann. Das jüngste Treffen der Kanzlerin mit dem französischen Präsidenten Sarkozy war alles andere als der große Wurf. Von einer europäischen Wirtschaftsregierung kann keine Rede sein, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone zweimal im Jahr treffen. Stattdessen hätte über die Einführung europäischer Staatsanleihen (Eurobonds) beraten werden müssen.

Die ablehnende Haltung der Bundesregierung gegenüber Eurobonds ist kurzsichtig und krisenverschärfend. Schwarz-Gelb agiert in Europa nach dem Motto: Wir machen nur mit, was wir nicht verhindern können. Stattdessen sollte die Bundesregierung aktiv für die Einführung von Eurobonds eintreten. Das Stolpern von Krisensitzung zu Krisensitzung muss endlich ein Ende haben. Die Ausgabe von Eurobonds würde der Spekulation den Boden entziehen und Ruhe in die Märkte bringen. Eurobonds sollten nur bis zu einer bestimmten Grenze der Schuldenstandsquote ausgegeben werden, die stabilitätswahrend ist. Schulden, die darüber hinaus gehen, sollten die Staaten weiterhin national finanzieren müssen. Dieser Ansatz würde die europäische Schuldenkrise merklich entschärfen, ohne dass unterschiedlich hohe Zinssätze als Anreiz für solide Haushaltspolitik wegfielen.

Europa gibt es nicht umsonst. Eurobonds dürften sich aber langfristig als die kostengünstigere Alternative zum stümperhaften Krisenmanagement der Bundesregierung erweisen.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin