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Jürgen Trittin
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Frage von Björn M. •

Frage an Jürgen Trittin von Björn M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Trittin,

Ich bin Physiker und zutiefst bestürtzt über das Abstimmungsergebnis zu der Frage "Unterirdische Speicherung von CO2", da wir uns das nächste Endlagerproblem anheften lassen (für mehr als 1Mrd. Jahre wenn man es ernst meint), Gefahren für die Bevölkerung ignoriert werden und evtl. wertvolle Gasspeicherplätze für sinnlose Projekte verschwendet werden.

Wenn ich die Abstimmungsergebnisse zu der Frage anschaue wurde bei allen Parteien relativ nach den Regeln des Fraktionszwanges abgestimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Abstimmung ohne Fraktionszwang aller Parteien das selbe Ergebnis erreicht hätte. Deshalb:

1. Was halten sie von einem Fraktionszwang?
2. Warum wird allgemein davon ausgegangen, dass heutzutage ein gewisser Fraktionsdisziplin für ein parlamentarisches Regierungssystem nötig ist?
3. Wären geheime Wahlen nicht sinnvoller um die Mandate zu schützen?
4. Führt nicht gerade der Fraktionszwang zu indirekterer Demokratie?

Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Meyer,

zu Ihren Fragen möchte ich wie folgt Stellung nehmen:

1.: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind laut Art. 38 Grundgesetz an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Ein Fraktions"zwang" -- im Sinne einer Weisung bzw. Verpflichtung, sich so zu verhalten, wie die Fraktion/Fraktionsführung es wünscht - würde dem widersprechen.

2.: Abgeordnete -- in der Regel ein und derselben Partei - schließen sich zu Fraktionen zusammen, weil sie gemeinsam die Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler besser vertreten und die Wahlprogramme der Parteien, die für die sie in den Bundestag gewählt wurden, umsetzen können. Die Vielfalt der Themen, mit denen sich der Bundestag beschäftigt, bringt es mit sich, dass nicht jede/r einzelne Abgeordnete sich intensiv mit jedem Thema beschäftigen kann. Sie/er ist darauf angewiesen, dass die jeweiligen Fachpolitiker/innen der eigenen Fraktion in ihrem Sinne handeln. Umgekehrt sind die Fachpolitiker/innen auf die Unterstützung ihrer Fraktionskolleg/innen angewiesen, um für ihre Anträge, Gesetzentwürfe etc. die notwendigen Mehrheiten zu bekommen. Eine gewisse Fraktionsdisziplin, die auf Vertrauen in Fachkompetenz der Kolleg/innen der eigenen Fraktion beruht, ist daher sinnvoll und notwendig.

Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder Abstimmungen, bei denen sich einzelne Abgeordnete gerade meiner Fraktion anders verhalten als die Mehrheit. Das ist ihr gutes Recht und etwas, was in einer Demokratie selbstverständlich ist. Bei bestimmten Themen -- zuletzt bei der Präimplantationsdiagnostik -- werden bewusst schon die Fraktionsgrenzen überschritten, denn hier geht es um Fragen, die nicht nach politischer Überzeugung beantwortet werden können, sondern die jede/r Abgeordnete für sich nur sehr persönlich entscheiden kann.

3. Wenn ich Ihre Frage richtig verstehe, geht es um die namentlichen Abstimmungen. Sie möchten wissen, warum die Namen veröffentlicht werden? Ich halte das im Sinne der Transparenz und Nachvollziehbarkeit für ausgesprochen wichtig. So kann jede Bürgerin und jeder Bürger zum Beispiel sehen, wie ihr/sein Wahlkreisabgeordneter abgestimmt hat. Ein "Schutzbedürfnis" des Abgeordneten davor, dass die Öffentlichkeit von seinem Abstimmungsverhalten erfährt, existiert nicht und würde jeder demokratischen Grundregel widersprechen.

4. Hierzu möchte ich auf die Antworten auf Ihre Fragen 1 und 2 verweisen und ergänzen, dass wir Grüne uns seit langem für mehr direktdemokratische Elemente auch auf Bundesebene einsetzen. Wir haben bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, um Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide im Grundgesetz zu verankern. Leider fehlt dafür bis heute die parlamentarische Mehrheit. Ich kann mir vorstellen, dass ein Volksentscheid über die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid zu einem anderen Ergebnis geführt hätte als die Bundestagsabstimmung mit schwarz-gelber Mehrheit.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin