Frage an Jürgen Trittin von David N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Trittin!
Der Verteidigungsminister zu Guttenberg soll laut Newsticker seine Doktorarbeit gefälscht haben. Laut Newsticker hat er jetzt auf seinen Dr. Titel für immer verzichtet. Wie Bewerten sie das?
Gruß David Nagel (11Jahre)
Lieber David,
vielen Dank für Deine Nachricht, die mich über abgeordnetenwatch.de erreicht hat.
Um zu verstehen, warum meine Fraktion und ich in der Diskussion um die gefälschte Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg seinen Rücktritt so nachdrücklich gefordert haben, muss man sich die Tragweite der Handlungen von Herrn zu Guttenberg klar machen.
Der Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano hatte bei einer Routineprüfung Texte anderer Autoren entdeckt, die Herr zu Guttenberg als seine eigenen Gedanken ausgegeben hat. Professor Fischer-Lescano sprach sogar von "Täuschung". Der damalige Minister wies diese Vorwürfe zunächst als "abstrus" zurück.
Das ganze Ausmaß der gefälschten Arbeit wurde erst in den darauf folgenden Tagen öffentlich. Der Internetseite http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/Zwischenbericht/ zufolge sollen sich auf über 270 Seiten der Arbeit abgeschriebene Textteile befinden. Damit konfrontiert gab zu Guttenberg zunächst "handwerkliche Fehler" zu. Als ihm klar wurde, dass ihm unter diesen Bedingungen der Doktortitel entzogen werden würde, beantragte er bei der Universität Bayreuth, dass ihm der Titel entzogen werden möge. Er betonte aber zugleich, dass er "zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht" habe.
Für alle befragten Juristen und auch für uns Grüne ist klar: Niemand fügt auf über 270 Seiten seiner Doktorarbeit fremdes geistiges Eigentum "unbewusst" ein. Es ist möglich, dass man sich an der einen oder anderen Stelle verzettelt, es ist möglich, dass man mal eine Fußnote vergisst oder nicht korrekt zitiert. Aber dass man in diesem Umfang, wie Herr zu Guttenberg es getan hat, fremde Gedanken und Textstellen abschreibt, ohne sich dessen bewusst zu sein, ist unvorstellbar. Es ist dreist, das abzustreiten.
Herr zu Guttenberg ist nicht der erste, der bei einer wissenschaftlichen Arbeit abschreibt. In der Wissenschaft gibt es immer wieder Fälle, in denen das getan wurde. In Göttingen wurde ein Wissenschaftler wegen einer Doktorarbeit, in der er Texte abgeschrieben hatte, wegen Betrugs zu einer Strafe verurteilt. Er musste sein Amt als Vorsitzender eines Landesverbandes räumen.
Auch an Bundeswehrhochschulen wird ein solcher Täuschungsversuch bestraft: Als ein Offizier der Bundeswehr beim Vordiplom keine selbst erstellte Hausarbeit vorgelegt, sondern nahezu wörtlich von der Arbeit eines Kameraden abgeschrieben hatte, wurde das als schweres Dienstvergehen verurteilt. So etwas kann zu einer Degradierung des militärischen Ranges oder zu einem Ausschluss aus der Bundeswehr führen. Wie also hätte dem Offiziersnachwuchs in einer Bundeswehrhochschule erklärt werden sollen, dass man nicht mit Tricks und Täuscherei durchs Leben kommt, wenn der oberste Dienstherr - Herr zu Guttenberg - mit einer einfachen Entschuldigung davongekommen und Minister geblieben wäre?
In Deiner Schule wird es sicher auch die Regel geben: wer abschreibt, der wird mit der Note 6 oder einer anderen Strafe bestraft. Wieso soll für einen Verteidigungsminister etwas anderes gelten als für Euch Schüler?
Damit komme ich zum Kern: Es ging nicht nur um Täuschung und um den Diebstahl geistigen Eigentums. Es ging darum, wie Karl-Theodor zu Guttenberg mit seinem Vergehen umgegangen ist. Erst leugnete er den Tatbestand, nannte ihn "abstrus". Zwei Tage später gab er "handwerkliche Fehler" zu, gab seinen Doktortitel "vorübergehend" zurück. Herr zu Guttenberg hat Fehler also erst dann eingeräumt und Konsequenzen gezogen, als er merkte, dass anders kein Durchkommen mehr möglich war. Natürlich können sich Menschen irren, und es ist gut, wenn man sich korrigieren kann und Fehler zugibt. Auffällig ist aber, dass dieses sprunghafte Verhalten des Ministers schon in seinen früheren Entscheidungen offensichtlich wurde.
Man kann den Menschen zu Guttenberg, der abgeschrieben hat, nicht abspalten von einem Minister zu Guttenberg - er ist ein und derselbe Mensch. Deswegen ging es die ganze Zeit nicht um eine Kleinigkeit, es ging nicht "um ein paar Fußnoten", sondern es ging um Werte wie Ehrlichkeit, Verantwortung und Glaubwürdigkeit, die der damalige Verteidigungsminister von seinen eigenen Untergebenen erwartete, an die er sich aber selbst nicht hielt.
Herr zu Guttenberg hat die Öffentlichkeit belogen. Deshalb war sein Rücktritt - den er selbst und nicht etwa die Opposition, die Medien oder die Wissenschaft verschuldet hat - überfällig. Das hätte auch die Kanzlerin viel früher erkennen müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin