Frage an Jürgen Trittin von Frank Castro C. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Was denn nun Herr Trittin, haben Sie sich an der Abstimmung über die Fortsetzung der deutschen Beteiligung am Krieg gegen die Bevölkerung Afghanistans nun "enthalten" oder haben sie sich "nicht beteiligt"? Beides geht nicht.
Wie kommt es eigentlich, dass Sie immer noch so unschlüssig sind, nach fast 10 Jahren Krieg ?
Sehr geehrter Herr Castro Camargo,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Verständlicherweise ist das Abstimmungsverhalten einer "Enthaltung" in einer so wichtigen Frage wie dem Afghanistan-Einsatz den Bürgerinnen und Bürgern oft nur sehr schwer zu erklären. Es gibt aber -- neben einer Zustimmung und einer Ablehnung -- keine andere Wahlmöglichkeit, die die Gründe, warum man weder zustimmen noch ablehnen kann, differenziert ausdrücken würde. Insofern habe ich mich weder "nicht beteiligt" noch mit dem Abstimmungsverhalten meine Gleichgültigkeit zum Ausdruck bringen wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Denn keine Abstimmung ist so schwierig wie die über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Keine Abgeordnete und kein Abgeordneter des Deutschen Bundestages tut sich mit dieser Entscheidung leicht.
Wir Grüne haben eine Reihe von schwerwiegenden Kritikpunkten am uns vorgelegten Mandat. Gleichzeitig kommt für uns eine Ablehnung, also ein Sofortabzug, nicht in Frage, weil das Land sonst in einen offenen Bürgerkrieg zurückfallen würde und wir damit die Afghaninnen und Afghanen im Stich lassen würden. Deshalb war es für die Mehrheit meiner Fraktion nicht zu verantworten, dem Mandat zuzustimmen, ebenso wenig aber, es abzulehnen. Ich erkläre Ihnen gerne, warum:
Wir fordern eine Agenda für den Aufbau statt offensiver Kriegsführung.
Auf Wunsch der afghanischen Regierung, im Verbund mit vielen internationalen Partnern und mit Mandat der Vereinten Nationen, hat Deutschland in Afghanistan Verantwortung übernommen. Wir Grünen stehen zu dieser Verantwortung gegenüber den Frauen, Männern und Kindern in Afghanistan, die große Hoffnungen in eine friedliche Zukunft legen. Wir unterstützen die zivilen Helferinnen und Helfer, die Soldatinnen und Soldaten, die Diplomatinnen und Diplomaten, die sich um einen stabilen afghanischen Staat bemühen, in dem Menschenrechte und rechtsstaatliche Normen respektiert werden.
Die Konflikte in Afghanistan können nur politisch gelöst werden. Dazu sind Verhandlungen mit und unter den Konfliktparteien unter Berücksichtigung der afghanischen Verfassung notwendig. Eine militärische Lösung der Probleme gibt es nicht. Die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung mit gezielten Tötungen, an der sich auch die Bundeswehr beteiligt, lehnen wir ab. Sie ist kontraproduktiv, weil sie die Gräben nur noch tiefer macht und viele Opfer kostet. 2010 wurden mehr Menschen getötet als in den Jahren zuvor. Daher unterstützen wir das von der Bundesregierung eingebrachte Mandat nicht.
Die afghanischen Polizei- und Streitkräfte müssen die Sicherheitsverantwortung des Landes übernehmen. Ein überhasteter und unkontrollierter Abzug der internationalen Truppen würde diesen Prozess behindern. Der Rückzug, insbesondere der Bundeswehr, muss aber noch in diesem Jahr beginnen und soll in Absprache mit der afghanischen Regierung und den internationalen Partner bis 2014 erfolgt sein.
Was wir jetzt brauchen ist eine entwicklungspolitische Agenda für den Aufbau. Ohne ein gut durchdachtes und langfristiges Konzept wird Afghanistan keine Stabilität gewinnen. Die internationale Gemeinschaft und die afghanischen Partner müssen in dieser Agenda die veränderten Rahmenbedingungen nach einem militärischen Abzug berücksichtigen und darin auch die entwicklungspolitischen Anforderungen anderer Staaten der Region einbeziehen. Begleitend muss ein ziviler Friedensbildungsprozess geschaffen werden, der über das Jahr 2014 hinausgeht.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin