Frage an Jürgen Trittin von Erich H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Werter Herr Trittin,
die Rot/Grüne Bundesregierung hat unter Kanzler Schröder den Afghanistaneinsatz beschlossen.
Wie viel Kinder der Bundestagsabgeordneten haben bisher an dem Einsatz teilgenommen?
Ungefähr 80% der Bundesbürger lehnen diesen Einsatz ab.
Warum haben Sie trotzdem dem Einsatz zugestimmt?
Weshalb ist es notwendig, Kriegseinsätze ohne die Zustimmung der Bevölkerung durchzuführen?
Mit freundlichen Grüßen
E. Humplik
Sehr geehrter Herr Humplik,
vielen Dank für Ihre Frage zum Afghanistaneinsatz, die mich über abgeordnetenwatch.de erreicht hat.
Als Partei, die für Gewaltfreiheit, den Schutz der Menschenrechte und des Friedens steht, haben wir uns immer mit dem Einsatz in Afghanistan und mit einfachen Antworten schwer getan.
Keine andere Partei hat sich so intensiv, so kritisch und so konstruktiv mit dem Militäreinsatz auseinandergesetzt wie Bündnis 90/ Die Grünen. Grüne Abgeordnete wie auch ich selbst waren und sind daher immer wieder persönlich vor Ort, um sich selbst über die Probleme und Fortschritte im Land zu informieren. Wir Grüne haben - im Gegensatz zur Bundesregierung - früh Fehler und Mängel benannt und unsere Analysen und Berichte der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und uns der Diskussion gestellt. Unsere Kritik und Forderungen zum Afghanistaneinsatz hat die grüne Bundestagsfraktion immer wieder in ihren Anträgen im Bundestag dargelegt.
Grundsätzlich stehen wir aber zu der Verantwortung, die die internationale Gemeinschaft 2001 nach dem Sturz des Taliban-Regimes für den Wiederaufbau und die Stabilisierung Afghanistans übernommen hat. Die internationale Staatengemeinschaft ist auf Wunsch der afghanischen Regierung und unter dem Mandat der Vereinten Nationen in Afghanistan engagiert.
Zum jetzigen Zeitpunkt geht es in Afghanistan aber nicht mehr um das "Ob" eines Abzugs der internationalen Truppen, sondern um das "Wie". Die NATO hat auf ihrem Gipfel in Lissabon im November 2010 beschlossen, die Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte bis 2014 zu übergeben. Viele unserer Nachbarländer haben bereits konkrete Abzugspläne beschlossen, die USA hat erst jüngst wieder angekündigt, im Juli dieses Jahres die ersten Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Nur von der Bundesregierung hören wir nichts dergleichen. Im neuen Mandatstext findet sich kein klarer Plan, der den Abzug der Bundeswehr beginnend in diesem Jahr bis 2014 festschreibt und darlegt, was bis dahin noch erreicht werden und wie das geschehen soll. Dabei ist klar: Militärisch kann der Konflikt in Afghanistan nicht gelöst werden. Wir brauchen eine deutliche Verstärkung des zivilen Wiederaufbaus, funktionierende Verwaltungsstrukturen auf Provinz- und Distriktebene und ein funktionierendes Justizwesen. Gleichzeitig ist eine politische Verhandlungslösung und ein innerafghanischer Aussöhnungsprozess notwendig. Hier sind für uns Grüne aber "rote Linien", was Menschen- und vor allem Frauenrechte angeht, von höchster Priorität. Von alledem hören wir von der Bundesregierung keine Vorschläge, der Fokus liegt im neuen Mandat nach wie vor zu sehr auf dem militärischen Engagement, weswegen meine Fraktion dem neuen Mandat nicht mehrheitlich zugestimmt hat.
Trotzdem möchte ich klar betonen, dass meine Fraktion nicht für einen Sofortabzug aus Afghanistan steht. Das wäre unverantwortlich, weil das Land in einen Bürgerkrieg zurückfallen würde, das bisher Erreichte im zivilen Aufbau und vor allem bei den Frauenrechten zunichte gemacht würde und wir die Afghaninnen und Afghanen ihrem Schicksal überlassen würden. Das ist nicht unser Verständnis von Verantwortung, die wir in einer internationalen Staatengemeinschaft und im Rahmen der Vereinten Nationen haben.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin