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Jürgen Trittin
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Frage von Gregor S. •

Frage an Jürgen Trittin von Gregor S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Trittin,

mit großer Verwunderung habe ich am Wochenende Ihre Äußerung zum Anschlag in AFG gelesen. Mit Verlaub, habe ich die Vermutung, die Diskussion über den Einsatz läuft gerade in Ihrer Partei darauf hinaus, sich parteipolitisch anders zu positionieren, als Sie es in der Vergangenheit getan haben. Ich als Soldat, der in Kürze in den Einsatz verlegt wird, fühlt sich bei Weitem nicht ausreichend durch die Politik unterstützt. Wäre es nicht sinnvoller, eine Diskussion in den Fraktionen zu führen, und die Soldaten stark und ausdauernd zu unterstützen? Denn gerade eine Unterstützung durch Ihre Partei findet leider in meinen Augen nicht statt. Man redet sehr viel über Opfer auf ziviler Seite, wobei ich unterstreichen möchte, dass jedes Opfer aus meiner Sicht eines zu viel ist. Leider habe ich den Eindruck, dass selten jemand aus Ihren Reihen über die eigenen Kräfte redet (außer sie kommen ums Leben) und sie schon gar nicht wortstark unterstützt. Viele meiner Kameraden fühlen sich nicht nur NICHT unterstützt, sondern gerade von Parteien wie GRÜNE, LINKE und Teile der SPD verlassen. Wie ist Ihre Meinung zu dieser Thematik?

Mit freundlichen Grüßen

Schmitt

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schmitt,

vielen Dank für Ihr Schreiben. Abgeordnete der Grünen sind immer wieder mal in Afghanistan und oft im Gespräch mit Soldatinnen und Soldaten, die dort im Auftrag des Bundestages unter Einsatz ihres Lebens ihren Dienst tun. Auch wenn unsere Fraktion in den vergangenen Jahren dem Einsatz der Bundeswehr auf Grund ziviler, polizeilicher und politischer Versäumnisse mehrheitlich nicht mehr zugestimmt hat, halten wir das bisherige Vorgehen der Bundeswehr über weite Strecken für verantwortbar. Die Bundeswehr praktizierte im vergleichsweise ruhigen Norden in der Vergangenheit ein militärisches Vorgehen, das der Verhütung von Kollateralschäden und dem Schutz von Leib und Leben der Soldaten große Priorität beimaß. Um so tiefer sitzt bei uns der Schock vom 04.09..

Erhebliche Lücken und Defizite gab und gibt es v.a. auf Seiten der afghanischen Regierung und beim Aufbau von Polizei und rechtsstaatlichen Strukturen, die auch im Norden zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage führten. Seit dem Frühjahr 2009 ist die Bundeswehr mit einem zahlenmäßig gewachsenen bewaffneten Gegner konfrontiert, der nicht nur Sprengfallen legt und Selbstmordattentate durchführt, sondern der Soldaten der Bundeswehr in Gefechte verwickelt und in Hinterhalte lockt. In der Öffentlichkeit wurde vor der Tanklaster-Katastrophe darüber gestritten, ob das Krieg sei und wie man darauf zu reagieren habe. Argumentativ war der alte Verteidigungsminister der veränderten Lage nicht gewachsen, politisch und militärisch hat man auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert, und die Einsatzrichtlinien geändert. Sie erlauben ein offensiveres Vorgehen, gehen aber immer noch vom "mildesten Mittel", d.h. von einem restriktiven und verhältnismäßigen Waffeneinsatz aus.

Die Bundeswehr ist nicht als Besatzungsarmee nach Afghanistan gegangen. Und sie ist unseres Erachtens auch nicht ein Instrument der afghanischen Regierung oder regionaler Provinzfürsten zur Niederschlagung bewaffneter und unliebsamer Rebellengruppen. Es wäre fahrlässig und unverantwortlich, "die Soldaten zu einem kriegsmäßigen Vorgehen gegen die Taliban zu befähigen", d.h. in einen Offensiv- oder Guerillakrieg zu schicken, von dem alle -- inklusive der Generale - wissen, dass er trotz der vielfachen militärischen und technologischen Überlegenheit der internationalen Staatengemeinschaft nicht zu gewinnen ist. Der Einsatz der Bundeswehr und der internationalen Staatengemeinschaft hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Mehrzahl der afghanischen Bevölkerung dies möchte und sich die Bundeswehr nicht als Kriegspartei instrumentalisieren lässt. Die Vorstellung, man könnte durch das Töten möglichst vieler potentieller Gegner den Krieg, die Auseinandersetzung oder die Herzen der Afghanen "gewinnen" ist uns -- aber zum Glück auch vielen Soldatinnen und Soldaten - fremd.

Nachdem wir jahrelang das unverhältnismäßige und robuste Vorgehen der USA in Afghanistan kritisiert haben, haben wir den Kurswechsel des neuen Kommandeurs der ISAF, General McChrystal, zur Vermeidung von Zivilopfern sehr begrüßt. Dass ausgerechnet die Bundeswehr gegen die neuen ISAF-Regeln verstoßen verstoßen würde, hätten wir nie erwartet. Statt "entschuldigen -- untersuchen -- entschädigen" (apologize-investigate-compensate) wurde von höchster politischer Seite vertuscht und schön geredet. Einzelheiten muss jetzt der Untersuchungsausschuss klären. Wir haben in der Auseinandersetzung nach dem 04.09. immer darauf verwiesen, dass es uns nicht darum geht, den Stab über Einzelpersonen zu brechen, zumal Oberst Klein in den vorangegangenen Stunden, Tagen und Wochen vor dem 03./04.09. viele Angriffe und Opfer zu beklagen hatte und dies das subjektive Lagebild stark beeinflusst haben dürfte. Von den Tanklastern ging -- wie wir heute wissen - keine unmittelbare Bedrohung aus; der Tod vieler Zivilisten konnte nicht ausgeschlossen werden; ein Teil der hochrangigen Talibanführer hatte sich schon abgesetzt. Wie der Luftangriff rechtlich zu werten ist, wird die Generalbundesanwaltschaft entscheiden. Politisch halten wir ihn für falsch menschlich für eine Tragödie. Es ist auch nicht, wie zunächst erwartet worden war, ruhiger geworden, sondern die Übergriffe gehen weiter.

Es ist unseres Erachtens an der Zeit, dass die Bundesregierung offensichtlich bestehende Zweifel beseitigt, mit welchem Auftrag, auf welcher Rechtsgrundlage und mit welchen Befugnissen die Soldaten vor Ort agieren. Es reicht nicht, dass die Soldaten ihre Aufgabe gut und gewissenhaft erledigen. Sie brauchen eine Erfolgsaussicht und eine Abzugsperspektive. Dies gibt es nur, wenn afghanische Partner und die zivile Seite ihre Verantwortung endlich erfüllen. Geschieht dies nicht, muss man daraus die Konsequenz eines Truppenabzugs ziehen. Weitere Einzelheiten entnehmen Sie bitte dem Antrag, den wir im Bundestag zur Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz eingebracht haben.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin